Abschiebung trotz Lehre: "Völlig durch den Wind"
Florian Hubmann (Bild oben) glaubte an die südliche Steiermark. Sonst hätte er nicht das Kaufhaus übernommen, das Vorfahren vor 160 Jahren in Stainz gründeten. Er investierte in eine Bio-Kaffeerösterei, vernetzte sich mit Händlern, die ebenso nachhaltig denken wie er, und nahm vor zwei Jahren einen Lehrling auf. Wased, ein junger Afghane Mitte 20, kämpfte sich in der Berufsschule durch, machte im Ort beim Volkstanzen mit, putzte in der Früh den Hauptplatz, um sich etwas dazuzuverdienen - und war im Corona-Notbetrieb "voll da". Kommenden Mai beendet er die Lehre. Und dann? Von Gesetzes wegen muss er das Land verlassen. Asyl hat er nicht bekommen, ein anderer Aufenthaltstitel bleibt ihm verwehrt. Hubmann denkt viel über die Region nach, aus der die Jungen flüchten, und dass die Zahl der Erwerbsfähigen bis 2030 ständig sinken wird. An die Abschiebung seines Lehrlings will er nicht denken. Der Betrieb habe sich auf den Burschen eingelassen, sagt Hubman: "Wenn er wirklich gehen muss, haut uns das völlig durch den Wind."
Hunderte ähnliche Geschichten könnten noch an die Öffentlichkeit kommen. Rudolf Anschober (Grüne) hatte in seiner früheren Funktion als Soziallandesrat in Oberösterreich die "Ausbildung statt Abschiebung"-Initiative gestartet und mehrere ÖVP-Granden dafür gewonnen, unter anderem Christian Konrad, Franz Fischler, Wilhelm Molterer. Bevor die türkis-grüne Regierung antrat, verabschiedete das Parlament vergangenen Dezember einen Kompromiss. "Faul" nennen ihn die NEOS, als "unfassbaren Pfusch" bezeichnet ihn Lukas Gahleitner vom Verein Asylkoordination. Auch Anschober, inzwischen Gesundheitsminister, würde gerne neu verhandeln. Doch die ÖVP denkt nicht daran, das Paket aufzuschnüren. Die Kanzlerpartei hatte seinerzeit darauf gedrängt, dass abgewiesene Asylwerbern zwar ihre Lehre abschließen dürfen; der anschließende "Spurwechsel" in das Aufenthaltsrecht aber sollte verbaut sein. Der Grünen-Politiker willigte damals ein, wohl in der Hoffnung, dass in der Causa das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Doch er hat die Rechnung ohne die Volkspartei gemacht. Vergangene Woche konterte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) postwendend, Anschobers Vorstoß sei angesichts von "Rekordarbeitslosigkeit" kein Thema.
"Junge Menschen in Mangelberufen auszubilden, um sie danach ins Flugzeug zu setzen, ist unmenschlich und wirtschaftlich dumm."
NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper sieht "jetzt genau das passieren, wovor wir seit Monaten warnen und bei ÖVP und Grünen auf taube Ohren stoßen". Und: "Junge Menschen in Mangelberufen auszubilden, um sie danach ins Flugzeug zu setzen, ist unmenschlich und wirtschaftlich dumm." Krisper bleibt bei der Formel "3 plus 2",die es erlaubte, nach der Lehre zwei Jahre lang im Betrieb zu arbeiten. Der entsprechende NEOS-Antrag im Innenausschuss des Parlaments sei "überreif". Tatsächlich droht Österreich in naher Zukunft Hunderte fertig ausgebildete, junge Arbeitskräfte zu verlieren.
In einem Asylverfahren entscheidet sich, ob jemand Asyl bekommt. Falls nicht, wird subsidiärer Schutz geprüft (auch "kleines Asyl").Ist das ausgeschlossen, fällt eine Rückkehrentscheidung. Dabei werden persönliche Integration und nationale Interessen abgewogen. Hier schob der Gesetzgeber einen Riegel vor. Eine Berufsausbildung, etwa eine Lehre, ist nicht speziell zu gewichten. Danach beginnt eine 14-Tages-Frist für die freiwillige Ausreise zu laufen. Der Hebel setzte erst beim letzten Akt an, als es im Vorjahr darum ging, Lehrlinge vor der Abschiebung zu bewahren. Sprich: Die Rückkehrentscheidung blieb aufrecht, es wurde nur die Frist für die Ausreise "gehemmt". "Diese Firewall erschwert jeglichen normalen Aufenthalt",erklärt Asylkoordination-Sprecher Gahleitner.
Fünfeinhalb Monate. So viel Zeit bleibt Raziq, 21. Dann ist er ausgelernt. "Ich versuche, nicht daran zu denken. Die Angst und die Sorgen kommen eh automatisch", sagt er. Seit Februar 2018 gehört er zur Belegschaft der Manufaktur Matauschek in Kapfenberg. Raziq lernte, Alu-Bleche zu biegen und maßgefertigte Wintergärten aufzustellen; inzwischen fällt es ihm auch leicht, sich im ortsüblichen Steirisch zu verständigen. Vor wenigen Wochen kam der Asylbescheid: zweite Instanz, negativ. Franz Matauschek, sein Chef, der den Familienbetrieb mit über 60 Beschäftigen bereits in der vierten Generation führt, konnte es genauso wenig fassen wie Raziq selbst: "Für mich zählen meine Mitarbeiter mehr als Gewinn und ständiges Wachstum." Über 100 Lehrlinge habe man in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten ausgebildet. Er hofft nun, "dass ein Wunder geschieht und die Politik sich besinnt".Notfalls wolle er die Republik klagen. "Es kann nicht sein, dass ich 50.000 Euro in einen Burschen investiere, und dann schiebt man ihn ab."