Analyse

Absprung aus Dreier-Koalition: Wie sich die Neos am Ende treu blieben

Die Neos wollten seit ihrer Gründung mitregieren, um zu reformieren. Dieses „Lebensziel“ ausgerechnet mit ÖVP und SPÖ zu erreichen, war am Ende ein doch zu gewagtes Manöver.

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Man kann den Neos nach ihrem Absprung aus den Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und SPÖ vieles vorwerfen: Dass sie der FPÖ womöglich den Weg ins Kanzleramt ebnen; dass sie beim Sparen auch die heilige Kuh Pensionsantrittsalter antasten wollten; dass sie erst nach Monaten drauf kamen, wie unrealistisch der Anspruch war, mit ÖVP und SPÖ große Reformen umzusetzen. Soweit ein Auszug aus kritischen Kommentaren. 

Als Kanzler-Kickl-Macher taugen die Neos durch ihren Absprung eher nicht. Denn einerseits können ÖVP und SPÖ auch ohne die Pinken eine Regierung bilden. Sie haben eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Und andererseits sind die Neos für den Höhenflug der FPÖ in den vergangenen Jahren noch am wenigsten verantwortlich. Eine Dreier-Koalition der kleinsten gemeinsamen Nenner aus ÖVP, SPÖ und Neos hätte den weiteren Aufstieg der FPÖ außerdem nicht zwingend gestoppt, sondern nur herausgezögert.

Die Mutter aller Reformen 

Kommen wir zum Vorwurf, die Neos hätten auf eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters gepocht. Hintergrund: Die drei Parteien wollten das faktische Antrittsalter in den kommenden Jahren erhöhen. Für den Fall, dass der Plan scheitert, drängten die Neos auf eine Anhebung des gesetzlichen Antrittsalters. Sich nie der Realität einer alternden Gesellschaft mit einer schrumpfenden Zahl an Einzahlern ins Pensionssystem zu stellen, ist schwer von den Neos zu verlangen. Eine Pensionsreform war für sie schon immer die Mutter aller Reformen. Spätestens ab 2034 sehen auch Expertinnen, die nicht unter Neoliberalismus-Verdacht stehen, den Zeitpunkt für eine Anhebung des gesetzlichen Antrittsalters gekommen. Ein Schritt, der gesetzlich schon Jahre vorher eingeleitet werden muss. 

Waren Neos vorsätzlich naiv?

Der dritte Vorwurf der vergeudeten Monate wiegt am schwersten. Ja, Neos haben seit ihrer Gründung 2013 gesagt, sie wollen regieren, um zu reformieren. Es wäre schräg gewesen, hätten sie die Einladung von SPÖ und ÖVP zu Dreier-Verhandlungen ausgeschlagen. Aber warum kam die Partei erst nach Monaten drauf, dass die großen Würfe mit den beiden nicht gelingen? Wenn klar ist, dass Neos zumindest eine große Reform heim spielen müssen, um ihrem Anspruch als Reformpartei gerecht zu werden, hätten sie zumindest eine frühzeitig außer Streit stellen sollen. Besonders deswegen, weil ihre Koalitionspartner ÖVP und SPÖ geheißen hätten. Jene Parteien, die für die Neos immer schon die größten „Betonierer“ waren. Wegen ihrer Verzahnung mit der Sozialpartnerschaft und dem Föderalismus.

Dachten Neos wirklich, dass man so lange klein, klein verhandelt bis die Reformbereitschaft von ÖVP und SPÖ über die Wochen und Monate immer größer wird?

Gegen Postenschacher in eigener Sache

Eines kann man den Neos sicherlich nicht vorwerfen: Dass sie sich selbst Untreu wurden. 

Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ging mit der Ansage in den Wahlkampf, mitzuregieren. Das hätte sie nach dem gescheiterten Sprung in eine Regierung, 2017 und 2019, endlich einlösen können. Sie hätte auch ein Ministerinnenamt sicher gehabt. So wie auch ihr Vize, Christoph Wiederkehr. Dessen Tage als Bildungsstadtrat in Wien könnten gezählt sein - weil nach der nächsten Landtagswahl im Herbst 2025 eine SPÖ-ÖVP-Koalition wahrscheinlicher ist. Doch den Neos war das Machen wichtiger als die Macht, die Positionen kamen vor den Posten.

Jetzt muss Meinl-Reisinger darauf hoffen, dass sich diese klare Haltung bei den nächsten Wahlen bezahlt macht. Wann immer diese anstehen.  

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.