Abtreibung: Bürgerinitiative will späte Schwangerschaftsabbrüche einschränken
Im Oktober 2016 gingen Zehntausende polnische Frauen in schwarzer Kleidung auf die Straßen von Warschau, Breslau, Posen und Krakau. Sie demonstrierten gegen die Pläne der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Schwangerschaftsabbrüche verbieten und Ärzte mit Gefängnis bedrohen wollte.
Zwei Jahre später strömten in der italienischen Stadt Verona Dutzende Frauen in roten Mänteln und weißen Hauben auf den Palazzo Barbieri. Sie protestierten gegen den Beschluss des Stadtsenates, Abtreibungsgegner mit Geldmitteln zu unterstützen. Die Initiative der regierenden Rechtsaußenpartei Lega machte aus Verona die erste "Pro-Life-Stadt" Italiens.
In Ungarn will die Regierung von Fidesz-Chef Viktor Orbán mit allen Mitteln die Geburtenrate erhöhen. Vor wenigen Jahren startete sie eine Plakatkampagne, die Föten mit der Bitte "Lass mich leben" zeigte.
Das Recht auf Abtreibung war eine zentrale Errungenschaft der Frauenbewegung der 1970er-Jahre. Doch mehr als vier Jahrzehnte später wird das Recht auf Selbstbestimmung in vielen Staaten Europas wieder ernsthaft infrage gestellt. Auch in Österreich wackeln längst bestehende Gesetze bedrohlich. Im parlamentarischen Petitionsausschuss liegt derzeit die Bürgerinitiative "#fairändern", welche die Möglichkeit der Spätabtreibung bei schwerer körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung des Fötus abschaffen will. Unterstützt wird die Petition nicht nur von römisch-katholischen Bischöfen, sondern auch von hochrangigen Politikern der Regierungsparteien, darunter FPÖ-Infrastrukturminister Norbert Hofer sowie die ÖVP-Nationalratsabgeordneten Kira Grünberg und Gudrun Kugler. Letztere gilt als dezidierte Abtreibungsgegnerin.
Frauenrechtlerinnen und Fachärzte sind alarmiert. Sie fürchten, dass die Initiatoren nicht nur den Spätabbruch, sondern generell die sogenannte Fristenlösung (siehe unten) unterwandern wollen. Hinter der Petition stehen christliche Fundamentalisten, die unter der ÖVP/FPÖ-Regierung offenbar ihre große Chance wittern. "Die politische Lage für eine positive Veränderung im Lebensschutz war seit Einführung der Abtreibung 1975 noch nie so gut wie jetzt", schreibt der Verein "#fairändern" auf Facebook, der auch dieselbe Postadresse wie die Anti-Abtreibungs-Organisation Jugend für das Leben (JfdL) hat. Die Vorsitzende von "#fairändern", Carina Marie Eder, war in den Jahren 2015 und 2016 die Sprecherin von JfdL. Ein Werbeslogan von JfdL lautet: "Abtreibung abschaffen."
Wer von den Unterschützern der Petition kann eine Frau dazu zwingen, ein todgeweihtes Kind auszutragen?
"Wer von den Unterschützern der Petition kann eine Frau dazu zwingen, ein todgeweihtes Kind auszutragen? Das ist einfach unmenschlich", sagt der Gynäkologe Martin Langer. Er leitet die Frauenklinik am Wiener AKH, wo durchschnittlich 150 Spätabbrüche pro Jahr durchgeführt werden. Über Abtreibung nach der zwölften Woche kann eine Frau auch derzeit nicht selbst bestimmen – die Entscheidung liegt bei den Medizinern. Die meisten Spätabbrüche erfolgen bis zur 24. Woche. "Nur bei schwerster Krankheit führen wir danach einen Abbruch durch", sagt der Mediziner. Nach einem "langen Diagnoseprozess" bespreche eine Gruppe aus Fachärzten, ob ein Eingriff vorgenommen werden soll.
"Völlige Unkenntnis der Sache"
Das AKH führt keinen Katalog über die Kriterien, die einen Abbruch rechtfertigen. Entschieden wird jeweils im Einzelfall. "Ein Hauptkriterium ist die Korrigierbarkeit. Es gibt Diagnosen, bei denen die Entscheidung für den Abbruch eindeutiger ist, zum Beispiel wenn ein Kind ohne Schädeldecke zur Welt kommen würde", sagt Langer. Der Mediziner fürchtet, dass ohne die Möglichkeit der Spätabtreibung Frauen unter Druck geraten, noch innerhalb der Fristenlösung abzubrechen. "Dann würde auf Verdacht abgetrieben werden, weil eine exakte Diagnose noch nicht möglich ist. Letztlich gäbe es wohl mehr Abtreibungen." Die Petition kann sich der Oberarzt "nur mit völliger Unkenntnis der Sache" erklären – "und letzten Endes mit der Intention, an der Fristenlösung zu rütteln".
Im Regierungsprogramm wird das Thema Schwangerschaftsabbruch nicht explizit erwähnt; man will lediglich "Unterstützungsleistungen für Schwangere in Konflikt- oder Notsituationen" forcieren. Eine offizielle Stellungnahme zur Petition "#fairändern" liegt bisher nicht vor. Die FPÖ betont zwar regelmäßig, die Fristenlösung zu akzeptieren. Im Handbuch freiheitlicher Politik nennt sie die Gebärmutter wegen der vielen Abtreibungen aber auch den "Ort mit der höchsten Sterbewahrscheinlichkeit in Österreich". Die FPÖ-Frauensprecherin Carmen Schimanek sagte vor einigen Jahren: "Es gibt kein Recht auf Abtreibung."
Während Frauenvertreterinnen seit Jahrzehnten einen besseren Zugang zu der Möglichkeit einer Abtreibung fordern, wird das Thema von konservativen Politikern und Kirchenvertretern öffentlichkeitswirksam tabuisiert. Dabei ist Abtreibung in Österreich längst Alltag. Schätzungen zufolge werden jährlich rund 35.000 Schwangerschaften frühzeitig beendet. Österreich zählt damit zu den Ländern mit den höchsten Abtreibungsraten überhaupt. Eine offizielle Statistik gibt es nicht – sie wird unter anderem von "#fairändern" gefordert. Befürworter eines liberalen Abtreibungsrechtes befürchten hingegen, Statistiken könnten dafür missbraucht werden, Abbrüche zu skandalisieren.
"Wir haben bereits genügend Daten, um zu wissen, wie man die Prävention verbessern kann, etwa durch kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln", sagt der Wiener Gynäkologe Christian Fiala, der sich seit Jahren für die Enttabuisierung des Themas einsetzt. "Genauere Daten wären nur möglich, wenn man den Abbruch auf Krankenschein macht. Leider wollen aber diejenigen, die eine bessere Statistik fordern, dass die Frauen das weiterhin selbst zahlen."
Mein Sohn wurde nicht zu Geburtstagsfeiern eingeladen, weil 'sein Vater Babys tötet'.
Abtreibungen finden nach wie vor in einem gesellschaftlichen Graubereich statt. Weder über die Methode des Eingriffs noch über die Kosten herrscht Konsens. Da die österreichischen Krankenkassen – im Gegensatz zu allen anderen westeuropäischen Ländern – Abbrüche nicht übernehmen, gibt es keinen Fixsatz. In Bregenz etwa kostet der Eingriff rund 600 Euro, in Innsbruck 800, in St. Pölten kann es mehr als das Doppelte sein.
Die Versorgungslage ist in vielen Regionen des Landes prekär. In den öffentlichen Spitälern Vorarlbergs und Tirols etwa werden gar keine Abtreibungen durchgeführt. In beiden Bundesländern gibt es jeweils nur einen einzigen Arzt, an den sich ungewollt Schwangere wenden können. Werden die Mediziner krank, gibt es keinen Ersatz.
Gerade Ärzte in ländlichen Regionen erleben auch heute noch soziale Ächtung, wenn sie Abtreibungen durchführen. "Mein Sohn wurde nicht zu Geburtstagsfeiern eingeladen, weil ‚sein Vater Babys tötet‘", erzählt ein Gynäkologe, der aus gutem Grund nicht namentlich genannt werden will. Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, werden auf Websites von radikalen Abtreibungsgegnern an den Pranger gestellt, in Postfächern der Mediziner landen Todesdrohungen. "Für die eigene Karriere", sagt der Gynäkologe, sei es "in Österreich besser, keine Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen".
Hintergrund:
Der Weg zur Straffreiheit
Durch den öffentlichen Druck der Frauenbewegung kam 1973 unter SPÖ-Alleinregierung die sogenannte Fristenlösung zustande – gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ. In Kraft trat sie aber erst 1975. Gesetzlich regelt den Abbruch in Österreich seither Paragraf 97 im Strafgesetzbuch; dieser stellt den Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche straffrei – legal ist er jedoch nicht.
Ausgenommen sind Schwangerschaften, bei denen eine "ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde". In diesen Fällen darf auch später abgetrieben werden. Diese Ausnahmeregelung will die Bürgerinitiative "#fairändern", die rund 56.000 Unterstützer zählt, nun abschaffen.