Abtreibungsgegner: Was sie wollen und wie sie sich organisieren
Kampagnen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe in Slowenien, Kroatien und Rumänien, Initiativen gegen Abtreibung in Spanien und Polen: Schon lange ist nicht nur unter Feministinnen von einem globalen Angriff auf sexuelle und reproduktive Rechte die Rede. Auch in Österreich ist die Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche neu entbrannt. Durch die Petition #fairändern gegen späte Schwangerschaftsabbrüche bei medizinischer Indikation in Österreich rückt nun ein Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung in Brüssel (EPF) aus 2018 erneut ins Rampenlicht. Dieser zeigt, dass die Gegner jener Rechte weit besser vernetzt sind, als bisher bekannt.
Unter dem Schirm der "Agenda Europe" vereinigen sich mindestens 50 Anti-Abtreibungs- und Anti-LGBT-Gruppierungen. Ihr Ziel, so der Bericht des EPF, das seinerseits ein Netzwerk von europäischen Parlamentariern für sexuelle und reproduktive Rechte ist, sei eine Welt in der es nur noch Familien mit Mann, Frau und Kindern gibt, ohne Verhütung oder Schwangerschaftsabbrüche. In ihren Worten: die Wiederherstellung der "natürlichen Ordnung" ("natural order").
Österreich mittendrin?
Österreich sei mittendrin in dieser "Anti-Choice"-Bewegung, so Petra Bayr, Nationalratsabgeordnete der SPÖ und Mitglied des EPF. ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler zum Beispiel soll laut dem Bericht aktiv beteiligt, sogar Gründungsmitglied und leitendes Mitglied der Agenda Europe in Österreich sein. Kugler weist das vehement zurück. Agenda Europe sei ein "loses Netzwerk", das auch keine radikalen Forderungen mittrage. Das EPF "von der Abtreibungsindustrie finanziert". Sie arbeite nicht an einem Abtreibungsverbot, sondern wolle Schwangerschaftsabbrüche möglichst "obsolet" machen.
Agenda Europe selbst ist im Internet fast von der Bildfläche verschwunden, der Blog mit demselben Namen ist nicht öffentlich ersichtlich. Auf der offiziellen Website ist lediglich ein Statement zum EPF-Bericht zu sehen: "Agenda Europe ist ein informelles Netzwerk, das eine Plattform für die Zusammenarbeit von Einzelpersonen, NGOs und Experten bietet, die sich mit Fragen des Lebens, der Familie und der Religionsfreiheit befassen", vertrauliche strategische Meetings seien gängige Praxis. Wer diese Meetings besucht, wird nicht offen gelegt.
"Restoring the Natural Order"
Die Agenden der Treffen über die Jahre, zeichnen laut EPF aber ein klares Bild der Ziele der Bewegung: Strategien gegen "Euthanasie", für Religionsfreiheit, für die Ehe und Familie, gegen Anti-Diskriminierungsgesetze und gegen Leihmutterschaft. Im Sommer 2017 erhielt der Sender "Arte" zentrale Dokumente des ersten Treffens 2013, darunter auch das "Manifest" "Restoring the Natural Order" eines anonymen Autors. Die Familie als Mann und Frau und deren Kinder zu definieren, wird darin als oberste politische Priorität genannt. Die Ehe wiederum sei zur Fortpflanzung da und Verhütung sowie Scheidung nicht vorgesehen. Leben beginne bei der Empfängnis und Schwangerschaftsabbrüche seien somit unmoralisch, Mütter sowie durchführende Personen sollen dafür bestraft werden. Gesetze gegen Diskriminierung von Frauen und LGBTIQ-Personen würden zu einer Diktatur der Masse führen, zitiert EPF das Manifest, von dem sich Agenda Europe und auch Gudrun Kugler aber distanzieren.
Neil Datta, Mitautor des Berichts und auf Einladung der SPÖ für ein Hintergrundgespräch verfügbar, sieht in den Bemühungen der Agenda Europe einen Versuch, überholten Werten der katholischen Kirche zu neuem Erfolg zu verhelfen: "25 Jahre lang wurden die Menschenrechte immer weiter ergänzt, manche Gruppen haben dabei verloren, zum Beispiel der Vatikan." Sie bilden nun eine unheilige Allianz mit den Populisten und extremen Rechten Europas, die sich christliche Werte als Kriterium für ihr einwanderungsfreies und sozialkonservatives Europas auf die Fahnen geheftet haben, so Datta.
"Es gibt kein Recht auf Abtreibung"
Eine Allianz, die sich in der Petition #fairändern widerzuspiegeln scheint. Sie fordert unter anderem die Abschaffung der embryopathischen ("eugenischen") Indikation, also der medizinischen Begründung eines Spätabbruchs. Unterstützt wird die Petition mit rund 60.000 Unterschriften nicht nur von römisch-katholischen Bischöfen, sondern auch von hochrangigen Politikern der Regierungsparteien, darunter FPÖ-Infrastrukturminister Norbert Hofer. Er sieht die Möglichkeit des Spätabbruchs aus medizinischen Gründen als Benachteiligung von behinderten Kindern. Ärzte teilen diese Meinung nicht: "Nur bei schwerster Krankheit führen wir nach der 24. Woche einen Abbruch durch. Wer von den Unterschützern der Petition kann eine Frau dazu zwingen, ein todgeweihtes Kind auszutragen? Das ist einfach unmenschlich", sagt der Gynäkologe Martin Langer. Er leitet die Frauenklinik am Wiener AKH, wo durchschnittlich 150 Spätabbrüche pro Jahr durchgeführt werden. Er sieht in der Petition letztendlich die Intention an der Fristenlösung zu rütteln.
"Die politische Lage für eine positive Veränderung im Lebensschutz war seit Einführung der Abtreibung 1975 noch nie so gut wie jetzt", schreibt der Verein "#fairändern" auf Facebook. Vorsitzende Carina Marie Eder beschrieb bei einer Veranstaltung von Jugend für das Leben ihre Mission so: "Der Widerstand (...) wird nicht verstummen, bis nicht alles dafür getan wird, dass Abtreibung undenkbar wird." FPÖ-Frauensprecherin Carmen Schimanek sagte bereits vor einigen Jahren: "Es gibt kein Recht auf Abtreibung."
"Der Backlash ist da, jetzt müssen wir rote Linien festlegen"
"#fairändern wird von der Regierung ernst genommen, während das Frauenvolksbegehren mit rund 480.000 Unterschriften ignoriert wird", ärgert sich Lena Jäger, eine der Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens. Jäger, Ewa Dziedzic von den Grünen und Andrea Brunner von der SPÖ wollen mit ihrem Bündnis #keinenMillimeter, das von allen Oppositionsparteien und auch Organisationen wie dem Frauenring unterstützt wird, dagegen halten: "Der Backlash ist da, jetzt müssen wir rote Linien festlegen", so Jäger.
Hintergrund: Der Weg zur Straffreiheit
Von Christina Pausackl
Durch den öffentlichen Druck der Frauenbewegung kam 1973 unter SPÖ-Alleinregierung die sogenannte Fristenlösung zustande – gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ. In Kraft trat sie aber erst 1975. Gesetzlich regelt den Abbruch in Österreich seither Paragraf 97 im Strafgesetzbuch; dieser stellt den Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche straffrei – legal ist er jedoch nicht.
Ausgenommen sind Schwangerschaften, bei denen eine "ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde". In diesen Fällen darf auch später abgetrieben werden. Diese Ausnahmeregelung will die Bürgerinitiative "#fairändern" abschaffen.
§ 97 StGB Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
(1) Die Tat ist nach § 96 nicht strafbar,
1. wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird; oder 2. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird; oder 3. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Rettung der Schwangeren aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr unter Umständen vorgenommen wird, unter denen ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist. (2) Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn, daß der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten. Dies gilt auch für die in gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen tätigen Personen. (3) Niemand darf wegen der Durchführung eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder der Mitwirkung daran oder wegen der Weigerung, einen solchen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder daran mitzuwirken, in welcher Art immer benachteiligt werden.