Ärztin mit Grenzen
Wie viele Kinder sie schon zur Welt gebracht hat? Saher Tahan, 50, lacht: "Es sind zu viele, um sie noch zu zählen.“ Ihr Sohn Maher, 21, tippt ein paar Zahlen in sein Smartphone. An die 10.000 müssen es gewesen sein. Kurz bevor die syrische Ärztin nach Wien kam, führte sie in einer Privatklinik in Katar noch einen Kaiserschnitt durch. Die Operation verlief gut, es sollte für lange Zeit ihre letzte gewesen sein. In Österreich hängt Tahan seit September in der Warteschleife. Ihr Mann und ihr Sohn Maher sind als Flüchtlinge anerkannt; sie und ihre beiden anderen Kinder warten noch. Am Wohnzimmertisch bringt sie sich selbst Deutsch bei. Einen Kurs kriegt sie erst bezahlt, wenn sie Asyl bekommen hat.
Trotz Bedarf keine Genehmigung
Jeden Tag rufen Syrerinnen oder Irakerinnen bei ihr an, die verzweifelt nach einer Frauenärztin suchen, die Arabisch spricht. Eine einzige gibt es in Wien, und sie behandelt nicht auf Krankenschein. Tahan würde den Frauen gerne helfen. Doch bis sie wieder als Ärztin arbeiten darf, werden Jahre ins Land ziehen. "Ich bin 50.“ Sie spricht den Satz mehrmals. In Österreich zählen weder ihre 20 Jahre Erfahrung im OP noch ihre ins Deutsche übersetzten Diplome, solange sie nicht alle Fächer des Grundstudiums nachgeholt hat. Tahan hat sie alle vor langer Zeit studiert und nach ihrer Spezialisierung auf die Frauenheilkunde nicht mehr gebraucht.
Dass die Hürden für Flüchtlinge kaum irgendwo so hoch sind wie in der Medizin, bekam auch ihr Sohn Maher bereits zu spüren. Ein Jahr lang hat er für die Aufnahmeprüfung an die Meduni in Linz gelernt. 15 Bewerber ritterten um sechs Plätze, die für Studierende aus Nicht-EU-Ländern reserviert waren. So habe man es ihm vorab erklärt. "Ich habe gut abgeschnitten, aber den Platz nicht bekommen“, sagt Maher. Plötzlich sei von einer Quote für Drittstaatsangehörige keine Rede mehr gewesen. Ein Anwalt, der ihm helfen könnte, eine Beschwerde zu schreiben, verlangt 300 Euro. Einfach hinnehmen will Maher das nicht. Seine Mutter hat die Hoffnung, das heimische Gesundheitswesen könnte sich irgendwann etwas nachgiebiger zeigen, für sich persönlich schon aufgegeben. Vielleicht haben ihre Kinder es irgendwann leichter.