Affäre Kurt Waldheim: Als Österreich erwachsen wurde
Es war der geradezu unfassbare Grad an Verlogenheit, der vor 30 Jahren vor allem junge Menschen gegen Kurt Waldheim aufbrachte: Trieb hier doch jemand auf die Spitze, was Millionen Kriegsteilnehmer, was Väter und Großväter, Mütter und Großmütter als Lebenslüge in sich trugen. Und so wenig Kurt Waldheim damals verstand, wie ihm geschah, so haben bis heute viele nicht begriffen, warum Österreich immer wieder, angereichert durch den nationalsozialistischen Unterschleif eines Jörg Haider oder die Ausländerhetze eines Heinz-Christian Strache, als Nazi-Land hingestellt wird.
Das ist auch dem österreichischen Nationalcharakter geschuldet. Der sich herausgeschält hat aus dem Verlust imperialer Größe, verkommen zum kleinen (deutschen) Rest, verführt vom großen Bruder, mitgemacht wider Willen und wieder auferstanden, der unschuldig und unbefleckt geblieben sein will. „Österreich – erstes Opfer Hitlers“ war Staatsdoktrin der Zweiten Republik.
Die neuen Zeiten hatten sich im Jahr 1985 angekündigt. Der prominente Kriegsverbrecher Walter Reder, ein SS-Mann, der als Vergeltung für einen Partisanenanschlag ein ganzes Dorf hatte massakrieren lassen, war Anfang des Jahres begnadigt und aus seiner Haft in Italien entlassen worden. Am Grazer Flughafen wurde er vom damaligen Verteidigungsminister der SPÖ/FPÖ-Koalition, Friedhelm Frischenschlager, begrüßt wie ein verlorener Sohn. Die internationale Aufregung war groß.
„Entsorgung der Vergangenheit“
Sie wurde abgelöst vom „Bitburg“-Skandal. Der deutsche Kanzler Helmut Khol und US-Präsident Ronald Reagan hatten sich über deutschen Soldatengräbern versöhnt, doch nicht bedacht, dass auf dem Soldatenfriedhof der moselfränkischen Kreisstadt Bitburg auch ehemalige SS-Männer lagen. Der Philosoph Jürgen Habermas sprach von „Entsorgung der Vergangenheit“.
Zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus im Mai 1985 hielt dann Bundespräsident Richard von Weizäcker die vielleicht wichtigste Rede, die jemals in Deutschland gehalten wurde. Er sprach von der Schande, für Verbrechen verantwortlich zu sein, die einmalig sind in der Weltgeschichte. Die Mehrheit der Deutschen sei mitverantwortlich gewesen, jeder hätte wissen können, wenn er wissen hätte wollen. Man müsse der Wahrheit ins Auge sehen. „Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter“. Weizäckers Auftritt ging als „die Rede“ in die Geschichte ein.
In Österreich braute sich unterdessen „die Affäre“ zusammen …
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