Alexander Van der Bellen: "Fast wären mir die Tränen gekommen"
* Beide Bundespräsidentschaftskandidaten thematisieren die Heimat in ihren Kampagnen. profil wollte deshalb mit beiden über ihren Heimatbegriff reden. Norbert Hofer lehnte unsere Bitte um ein Interview leider ab.
profil: Am Nationalfeiertag haben Sie in einem Video die Bundeshymne vorgelesen. Haben Sie die Hymne jemals freiwillig gesungen? Alexander Van der Bellen: Schon, aber mit dem Vorbehalt, dass ich ein sehr schlechter Sänger bin.
profil: Bei welchen Anlässen war das? Van der Bellen: Bei Spielen der Nationalmannschaft und bei der Angelobung und Verabschiedung von Heinz Fischer.
profil: Bei den meisten Parteitagen wird am Schluss die Bundeshymne gesungen. Bei den Grünen ist das nicht üblich, oder? Van der Bellen: Nein, das haben wir nie gemacht. Aber vielleicht wäre das eine gute Idee -obwohl ich natürlich nicht mehr zuständig bin.
profil: FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl meinte, Sie seien ein Last-Minute-Patriot. Hat er recht? Van der Bellen: Ich habe es aufgegeben, über verletzend gemeinte Äußerungen von Herrn Kickl nachzudenken.
Das lässt sich rational nicht erklären, warum einem die Berge so ein Gefühl der Ruhe und Aufgehobenheit geben können.
profil: Aber es stimmt ja, dass Sie vor diesem Wahlkampf nicht viel zum Thema Heimat zu sagen hatten. Warum erst jetzt? Van der Bellen: Das war eine Art intuitive Eingebung im Vorfeld der Wahlen.
profil: Wo hat Sie diese Intuition ereilt? Gab es eine Art Damaskus-Erlebnis? Van der Bellen: Wahrscheinlich beim Fotografieren im Kaunertal. Es kam irgendwie ganz natürlich, weil dort sozusagen meine primäre Heimat ist. Ich bin genauso gerne am Attersee oder in Wien. Aber aufgewachsen bin ich halt im Kaunertal.
profil: Der Journalist Michael Fleischhacker schrieb unlängst in seinem Blog, dass er neulich zum ersten Mal ergriffen gewesen sei, als er daheim auf seinen Hausberg schaute. Er habe sich zuerst geniert, aber dann sei er sogar stolz darauf gewesen. Van der Bellen: Ja, so kann es einem gehen. Das lässt sich rational nicht erklären, warum einem die Berge so ein Gefühl der Ruhe und Aufgehobenheit geben können.
profil: Zum Landleben gehört das Brauchtum. Was halten Sie von den Tiroler Schützen? Ihre ehemaligen Parteifreunde finden deren Aufmärsche wohl eher lächerlich. Van der Bellen: Das glaube ich nicht. Es würde mich nicht wundern, wenn der eine oder andere selbst Mitglied bei einer Schützenkompanie wäre.
profil: Aber Sie waren nie Mitglied, oder? Van der Bellen: Nein, ich bin auch zu früh nach Innsbruck gezogen.
Ich habe immer gesagt, dass mein Heimatbegriff nicht ausschließend, sondern einschließend ist.
profil: Es wird nicht nur daran gescheitert sein. Van der Bellen: Wenn Sie im Dorf bleiben und einigermaßen musikalisch sind, hat es eine gewisse Automatik, dass Sie Mitglied der Musikkapelle werden oder vielleicht auch einer Schützenkompanie.
profil: Der Begriff Heimat ist links der Mitte negativ besetzt. Der Schriftsteller Martin Walser sagte einmal, Heimat sei der schönste Name für Zurückgebliebenheit. Die Berliner Tageszeitung "taz" fand, man könne das Wort nicht positiv besetzen, weil seine Funktionsweise jene der Ausgrenzung sei. Was entgegnen Sie? Van der Bellen: Das ist eine oberflächliche Kenntnis der Literatur und der Etymologie. Es ist sicher richtig, dass die Nazis mit ihrer Deutschtümelei dazu beigetragen haben, den Heimatbegriff zu diskreditieren. Wenn das hinreichend wäre, dürfte ich nie eine blaue Krawatte tragen, weil das die Farbe der FPÖ ist. Das ist mir aber egal. Václav Havel hat sich einmal mit der Herkunft des Wortes Heimat beschäftigt. (Van der Bellen liest von einem mitgebrachten Zettel ab): " wird vom urgermanischen Haima abgeleitet, welches nicht nur die uns nahestehende und vertraute Welt, also eine Schicht unseres Zuhauses bezeichnete, sondern auch die Welt und das Weltall in ihrer Gesamtheit."
profil: Das ist eigentlich das Gegenteil von dem, was man heute darunter versteht. Van der Bellen: Ja, man öffnet den Blick nach außen. Das finde ich gut. Ich habe immer gesagt, dass mein Heimatbegriff nicht ausschließend, sondern einschließend ist. Insofern kann ich der "taz" nur sagen: Think again!
profil: Trotzdem kann man sich schlecht vorstellen, dass Sie als Grünen-Chef auf einem Wahlplakat vor der österreichischen Fahne posiert hätten. Van der Bellen: Das Schöne ist ja, dass wir seit einem Jahr unseren eigenen Wahlkampf führen. Ich muss nicht rückfragen, sondern ich informiere darüber, was wir machen. Und das wurde zu meiner eigenen Überraschung wohlwollend aufgenommen.
Heimat kann man sich nicht nehmen, sie muss einem auch gegeben werden.
profil: Kennen Sie den Film "Das Fest des Huhnes"? Van der Bellen: In dem ein afrikanischer Soziologe in Oberösterreich unterwegs ist?
profil: Genau. Haben Sie sich so ähnlich gefühlt, als Sie im Sommer von Volksfest zu Volksfest unterwegs waren. Hatte das Safari-Charakter? Van der Bellen: Hübsches Bild. Was in Ihrem Gedächtnis wahrscheinlich am meisten hängen blieb, ist mein Besuch beim Altausseer Kirtag. Das war nicht der Besuch des Afrikaners in einem fremden Dorf. In Altaussee hatte ich bei der Stichwahl am 22. Mai eine Mehrheit. Jedenfalls: Hannes Androsch hatte uns eingeladen. Und er sagte , wenn ihr kommt, muss es in irgendeiner Form von Tracht sein, sonst seid ihr hier fremd. Das stimmte hundertprozentig. Wenn Sie da im Straßenanzug hingehen, sind Sie ein Fremdling.
profil: Haben Sie das Trachtensakko extra gekauft? Van der Bellen: Dieses Sakko war neu, sagen wir mal so.
profil: Soziologisch das Gegenteil von Altaussee sind Teile von einigen Wiener Bezirken, in denen sehr viele Ausländer leben. Ist das auch Heimat? Van der Bellen: Ja sicher. Aber Heimat kann man sich nicht nehmen, sie muss einem auch gegeben werden. Ich könnte das Kaunertal nicht als meine Heimat bezeichnen, wenn die Menschen dort mich nicht so freundlich aufgenommen hätten. Und das war so, weil sich meine Eltern offenbar richtig verhalten haben. Das ist ja ein beidseitiger Prozess. Vor Kurzem stellte der Kaunertaler Bürgermeister einen Film über die Entwicklung des Tals vor und sagte in seiner Ansprache auch ein paar Worte zu mir: "Der isch als Flüchtlingskind kemma, und iatz isch er oana von ins." Das fand ich sehr berührend.
profil: Verstehen Sie, dass es Österreicher gibt, die sich in Teilen von Favoriten oder Ottakring nicht mehr zu Hause fühlen? Van der Bellen: Der Zuzug ging sehr schnell, das erschwert die Anpassung. Ich verstehe schon, dass sich ein Pensionist, der sein Leben lang in Ottakring oder in Rudolfsheim gewohnt hat, plötzlich fremd fühlt. Aber die Welt verändert sich, und es hilft leider nicht, darauf zu beharren, dass alles so bleiben muss, wie es war.
Ich bin überzeugt, dass das Bundesheer eine notwendige, wichtige Einrichtung ist.
profil: Diese Haltung gibt es aber auch in den sogenannten Bobo-Bezirken. Da wird um jede Hausfassade gestritten. Van der Bellen: Stimmt, das Phänomen ist nicht schichtspezifisch. Veränderungen sollen immer nur bei den anderen stattfinden.
profil: Sind Sie stolz auf Österreich? Van der Bellen: Mit dem Begriff muss man vorsichtig sein. Was heißt das, stolz zu sein? Beeindruckend ist die Entwicklung seit 1945 auf jeden Fall. Österreich hat sich unter höchst ungünstigen Ausgangsbedingungen in der Welt etabliert. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Menschen in den vergangenen 70 Jahren etwas Tolles geleistet haben. Jetzt müssen wir schauen, dass wir das auch in Zukunft so machen.
profil: Als Bundespräsident wären Sie Oberbefehlshaber des Bundesheeres. Fühlen Sie sich wohl in dieser Rolle? Van der Bellen: Ich bin überzeugt, dass das Bundesheer eine notwendige, wichtige Einrichtung ist -nicht zuletzt durch die Auslandseinsätze und die Katstrophenhilfe.
profil: Und die Heimat muss mit Abfangjägern verteidigt werden? Van der Bellen: Mein Gott, über die Details wird man immer geteilter Meinung sein können. Was ein Land inmitten der NATO konkret an Ausrüstung braucht, dazu werde ich mich jetzt sicher nicht äußern.
profil: Hatten Sie schon einmal richtig Heimweh? Van der Bellen: Mir ist einmal etwas passiert, völlig unvermutet. Ich war noch bei den Grünen, und wir waren im Wahlkampf unterwegs. Da fahren wir mit dem Auto über den Felbertauern nach Osttirol. Und wenn Sie aus dem Tunnel rauskommen , sind Sie plötzlich in einer ziemlich schroffen Welt von Dreitausendern. Irgendwie musste ich mich zusammenreißen, weil mir fast ein bisschen die Tränen gekommen wären.