Sind Matratzenlager auf Hütten noch zeitgemäß, Herr Schnabl?
Ein Jahrhunderthochwasser in Niederösterreich, Murenabgänge bis in Ortszentren und auf Passstraßen – 2024 war ein Jahr voller Extremwetterereignissen. Wie blicken Sie als Alpenvereinschef auf das Jahr zurück?
Wolfgang Schnabl
Wir bemerken das natürlich genauso, das fängt bei den Wegen an, die vor allem durch Starkregenereignisse enorm in Mitleidenschaft gezogen werden. Es tauen aber auch Permafrostböden auf, wo es dann vermehrt Felsstürze gibt. Es schwemmt uns Brücken weg, es kommt zu mehr Murenabgängen. Wir sehen hier auch, dass es vermehrt Ehrenamtliche zur Wiederherstellung braucht und auch diese sind nicht immer einfach zu finden.
Was kostet die Instandhaltung?
Schnabl
Mit Ehrenamtlichen kostet uns der Wegkilometer 40 Euro pro Kilometer, mit professionellen Bautrupps sind es 400 Euro. Da sieht man schon, wie viel man sich mit Ehrenamtlichen spart. In der Schweiz, wo der Wegebau verstaatlicht ist, kostet es ungefähr 800 Euro pro Kilometer. Letztendlich wird bei uns durch Ehrenamtliche eine Infrastruktur instand gehalten, die ja nicht nur für die Mitglieder da ist, sondern für ganz Österreich da ist. Und für unsere Touristen. Zwei Drittel der Besucher kommen wegen der Berge im Sommer.
Wer wird also die Wege in Österreich in Zukunft herrichten?
Schnabl
Je administrativer es wird, desto schwieriger wird es, Ehrenamtliche dafür zu finden. Einzelne Sektionen versuchen jetzt ein neues Modell, das heißt „Microvolunteering“. Das bietet die Möglichkeiten für kurzfristige Einsätze ohne langfristige Verpflichtungen.
Eine Entscheidung, die auch langfristige Folgen hat, wird in Kärnten am 12. Jänner gefällt. Bei einer Volksabstimmung geht es um die Frage, ob Windräder auf Bergen und Almen landesgesetzlich verboten werden sollen. Der Alpenverein ist gegen Windräder im alpinen Gelände – und auch im Mühlviertel. Warum?
Schnabl
Der Alpenverein ist natürlich für erneuerbare Energie und auch für Windkraft, keine Frage. Der Ausbau darf allerdings nicht auf Kosten des Naturschutzes geschehen. Bei uns gibt es seit etlichen Jahren ein Positionspapier zur Windkraft, wo wir sie sehen oder wo wir sie nicht sehen.
Ein Papier, an dem sich in Kärnten die FPÖ momentan sehr stark bedient.
Schnabl
Für mich ist es sehr unglücklich, wie das läuft, weil es parteipolitisch ausgeschlachtet wird. Es ist immer schwierig, wenn eine Partei die Forderungen aufgreift, die man selbst schon jahrelang hat.
Was sagen Sie zur Kritik, dass Sie sich von der FPÖ vor den Karren spannen lassen?
Schnabl
Das stimmt nicht. Die Kärntner Debatte läuft sehr undifferenziert. Es geht ja um die Frage nach Windrädern in den Bergen und auf den Almen, wo unser Positionspapier sagt: in sensiblen Zonen wollen wir diese massiven Eingriffe in die alpine Natur nicht.
Diese Debatte ist mittlerweile emotional so stark aufgeladen, dass man sachliche Argumente kaum mehr anbringen kann.
Die FPÖ will weitere Windkraftanlagen in ganz Kärnten verbieten, Kärnten soll generell windkraftfrei sein.
Schnabl
Das ist sicher nicht unser Weg.
Das Thema beschäftigt aber auch Ihre Mitglieder. Uns liegen Informationen darüber vor, dass die Position und Äußerungen von Funktionären dazu führen, dass Leute austreten.
Schnabl
Ja, ich kenne diese E-Mails und auch darüber sind wir nicht glücklich. Diese Debatte ist mittlerweile emotional so stark aufgeladen, dass man sachliche Argumente kaum mehr anbringen kann. Und das ist schade, dass komplexe Sachverhalte oft auf einzelnen Botschaften reduziert werden. Da geht die Differenzierung verloren.
Viele Ihrer Hütten sind stark sanierungsbedürftig. Mit einer Petition wollen sie mehr Geld von der künftigen Regierung. Wie realistisch ist das?
Schnabl
Hier sieht es im Moment schlecht aus. Die Koalitionsverhandlungen sind mittlerweile weit fortgeschritten und wir hoffen natürlich, dass wir noch Gehör finden. Aber wenn man hört, wie viel gespart werden muss und wo überall etwas gestrichen werden soll, haben wir gedämpfte Hoffnungen. Obwohl es dringend notwendig wäre.
Von wie viel Geld sprechen wir hier?
Schnabl
Da geht es um 95 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre. Die brauchen wir vor allem für Hütten, die 100 bis 150 Jahre alt und massiv sanierungsbedürftig sind. Für die gewöhnliche Instandhaltung kommen ohnehin die Mitglieder auf. Bei unserer Petition geht es wirklich um Hütten, die weit oben liegen und teilweise neu gebaut werden müssen, weil sie nicht mehr sanierbar sind. Und wir haben eine Hütte, die rutscht uns weg, weil der Permafrost taut. Anderen Hütten stehen solche Großsanierungen bevor, weil Fassaden durch massiven Hagel zerstört worden sind oder Dächer von orkanartigen Stürmen abgedeckt wurden.
Wegen Budgetloch kein Geld für Hüttensanierungen?
95 Millionen Euro bräuchte der Alpenverein, um teils 150 Jahre alte Hütten im hochalpinen Gelände zu sanieren oder neu zu bauen. Laut Schnabl gab es darüber gute Gespräche mit allen Parlamentsparteien – allerdings bevor bekannt wurde, wie viel der Staat einsparen muss.
Gab es darüber Gespräche mit den Parteien?
Schnabl
Ja, die gab es im Sommer und die verliefen auch äußerst positiv. Aber das war noch bevor bekannt wurde, wie groß das Budgetloch ist.
Bei Sanierungen und Neubauten wird man sich auch die Frage stellen, ob Matratzenlager noch zeitgemäß sind, oder?
Schnabl
Ja. Die Gäste sind auf jeden Fall anspruchsvoller geworden. Der Wunsch geht klar Richtung mehr Betten statt Lager. Grundsätzlich denke ich aber, dass es kein Hotel am Berg sein muss. Es ist ja auch das Erlebnis, die Einfachheit, die Schlichtheit, die man in den Bergen sucht.
Wie schwierig ist es denn heute, Pächter zu finden, die Ihre Hütten bewirtschaften?
Schnabl
Es ist schwieriger geworden, weil es auch anspruchsvoller geworden ist. Die Hütten haben heute von einer Photovoltaikanlage bis zum Hightech-WC alles Mögliche, das man technisch halbwegs gut bedienen können muss. Hütten-Wirtsleute müssen Allround-Techniker sein, sich überall ein bisschen auskennen. Früher hat man vieles mit Schraubenzieher und Hammer reparieren können, das geht heute nicht mehr. Und gleichzeitig wird der kulinarische Anspruch der Gäste größer.
Und wie sieht es mit dem Nachwuchs bei Ausbildnern und auf der Funktionärsebene aus?
Schnabl
Die Ausbildungen sind sehr professionell geworden. Wir haben eine eigene Alpenvereinsakademie, wo von der Risikoabschätzung bis zum Kartenlesen einiges angeboten wird. Und viele, die sich ehrenamtlich betätigen, wollen das auch gut ausgebildet machen. Das wird sehr gut angenommen und motiviert die Leute auch wieder.
Schauen wir zum Abschluss noch kurz nach vorne. Was raten Sie denn Naturbegeisterten jetzt in den Weihnachtsferien?
Schnabl
Sich selbst richtig einzuschätzen. Das ist wahrscheinlich für einen Anfänger schwierig. Wenn man sich einmal ausprobieren will, geht man einfach in einer Sektion bei geführten Touren mit. Wo ausgebildete Tourenleiter die Risiken einschätzen. Da gibt es Touren für Beginner, genauso wie für Fortgeschrittene. Da wird bei der Planung das Wetter mitbedacht, die Lawinengefahr richtig eingeschätzt und wenn man dann dabei bleiben will, gibt es genug Angebote, wo man sich weiterbilden kann.
Zur Person
Wolfgang Schnabl übernahm im Jahr 2000 das Amt des Obmanns der Sektion Stockerau, von 2009 bis 2017 saß er dem Landesverband Niederösterreich vor. Seit 2009 ist Schnabl Mitglied des Bundesausschusses des Alpenvereins und seit 2018 als Vizepräsident Mitglied des Präsidiums. Im April 2024 folgte Schnabl als Präsident Gerald Dunkel-Schwarzenberger nach, der das Amt aufgrund von persönlichen Gründen zurücklegte. Der 64-jährige promovierte Biochemiker ist beruflich als Experte für Informationssicherheit in Niederösterreich tätig.