AMS-Vorstand Herbert Buchinger

AMS-Vorstand Buchinger: "Ernstzunehmende Vertrauenskrise"

Arbeitsmarktservice-Vorstand Herbert Buchinger über die angekündigten Regierungspläne, seine eigene Jobsicherung und das unauflösbare Dilemma einer Vermittlungsbehörde.

Drucken

Schriftgröße

Ein interner Revisionsbericht des AMS bringt seine Vorstände Johannes Kopf (ÖVP) und Herbert Buchinger (SPÖ) gehörig unter Druck. Mitarbeiter berichten darin von gravierenden Problemen bei der Betreuung von Migranten und Flüchtlingen. Mangelnde Deutschkenntnisse, religiöse Bekenntnisse und Integrationsunwilligkeit würden eine Jobvermittlung zum Teil verunmöglichen. ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz wirft dem AMS nun "Überforderung und Ineffizienz" vor: Da müsse "sich dringend etwas ändern", sagt der Kanzler. Was wird das sein?

INTERVIEW: CHRISTINA PAUSACKL UND CHRISTA ZÖCHLING

profil: Herr Buchinger, sind Sie ablösereif? Buchinger: Ich glaube, die Regierung respektiert, dass die Verträge von Johannes Kopf und mir im Oktober um sechs Jahre verlängert wurden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jetzt aus Jux und Tollerei Geld in die Hand nimmt, um die Verträge vorzeitig aufzulösen. Aber ich kann mich auch irren.

profil: Bundeskanzler Sebastian Kurz hat dem AMS nicht nur Überforderung mit der Zuwanderung, sondern generelle Ineffizenz vorgeworfen. Hat Sie die heftige Kritik überrascht? Buchinger: Bei seiner ersten Kritik im Bezug auf die Zuwanderungsfrage dachte ich noch: Das muss nicht unbedingt heißen, dass man sich jetzt am AMS abputzt. Bei der Integration der geflüchteten Menschen ist zweifellos die Gesamtgesellschaft gefordert. Aber als der Kanzler in weiteren Interviews nachgeschärft hat, wusste ich, dass es hier um mehr geht. Zwischen der Regierung und der Führung des AMS herrscht eine ernstzunehmende Vertrauenskrise.

profil: Woher kommt dieses Misstrauen? Buchinger: Für mich ist das prinzipiell nichts Neues. Wir haben das schon öfter erlebt. Viktor Klima war der erste Bundeskanzler (Anm.: von 1997 bis 2000), der dem AMS massiv misstraut und uns auch in der Öffentlichkeit heftig kritisiert hat, weil trotz Beschäftigungswachstums die Arbeitslosigkeit nicht zurückging. Auch ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (Anm.: von 2000 bis 2008) hat im Jahr 2000 eine Sonderprüfung beim Rechnungshof beauftragt. Die schwarzblaue Regierung ist damals angetreten, um den Einfluss der Sozialpartner zurückzudrängen. Bartenstein ist dann zurückgerudert, weil er gesehen hat, dass die Sozialpartnerschaft im AMS doch ganz gut funktioniert. Das wird auch unsere Diskussion in der Aussprache mit der neuen schwarz-blauen Regierung nach Ostern sein.

profil: Der interne Revisionsbericht, der jetzt solche Wellen schlägt, stammt bereits vom Juni 2017. War der Bericht der vorigen Regierung nicht bekannt? Buchinger: Doch. Den Bericht haben damals das Sozial- und das Finanzministerium bekommen. Jeder Revisionsbericht wird unserem Kontrollausschuss im Verwaltungsrat vorgelegt, wo auch diese beiden Ministerien vertreten sind.

Wir waren nach der Flüchtlingswelle im Herbst 2015 mit einer großen Gruppe von Menschen konfrontiert, mit denen eine Verständigung in Deutsch kaum möglich war.

profil: Der damalige ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling sah offenbar keinen Anlass, groß Alarm zu schlagen und die Öffentlichkeit zu informieren? Buchinger: Nein. Der Kontrollausschuss stellte damals fest: Ja, es gibt Probleme, aber man hat hingeschaut und es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Probleme zu minimieren.

profil: Warum wurde der Bericht in Auftrag gegeben? Buchinger: Wir waren nach der Flüchtlingswelle im Herbst 2015 mit einer großen Gruppe von Menschen konfrontiert, mit denen eine Verständigung in Deutsch kaum möglich war. Wir haben natürlich wahrgenommen, dass unsere Mitarbeiter teilweise überfordert sind. Wir haben uns angesehen, was in den AMS-Stellen wirklich los ist, wie man damit umgeht und wie man besser damit umgehen könnte.

profil: Kanzler Kurz hat also recht, wenn er sagt, das AMS ist überfordert. Buchinger: Einen Irrtum möchte ich schon ausräumen: Das war keine repräsentative Studie, sondern eine Problemsammlung. Der Bericht sagt nicht, wie oft Konflikte zwischen Betreuern und Klienten auftreten, sondern dass sie auftreten und woran sie sich entzünden. Es wurden sechs AMS-Stellen besucht und die an diesen Tagen anwesenden Mitarbeiter befragt. Das AMS ist mit dem Problem Zuwanderung und Integration genauso "überfordert", wie es alle gesellschaftlichen Institutionen in ganz Europa sind, weil wir kein Patentrezept haben und nicht sagen können, dass das Problem in zwei Jahren gelöst sein wird. Unsere deutschen Kollegen gehen davon aus, dass die Arbeitsmarktintegration in zehn Jahren bei 50 Prozent der Zugewanderten gelingen wird. Da liegen wir viel besser. Wir beobachten seit 2015 eine repräsentative Gruppe und sind im dritten Jahr schon bei fast 30 Prozent.

profil: Aber gerade hier kürzt die Regierung jetzt. Für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen soll es anstelle der geplanten 155 Millionen Euro für 2018 nur noch 50 Millionen geben. Wird das den Integrationsprozess verlangsamen? Buchinger: Ich glaube schon, aber eine eindeutige Antwort gibt es hier nicht. Wir haben Hinweise, dass vielleicht die eine oder andere Maßnahme weniger den Zug zur Arbeit und stattdessen mehr das Einrichten im Versorgungssystem fördert. Wir haben zum Beispiel eine kleine Gruppe von Leuten, die schon zum fünften Mal einen Deutschkurs besucht und die Sprache immer noch nicht richtig kann. Ob der sechste da noch einen Sinn hat?

Das Ziel ist immer das Zusammenführen von Arbeitsuchenden und Arbeitgebern. Wir müssen auf beide Seiten Rücksicht nehmen.

profil: Welche Maßnahmen haben Sie nach der Revision in Gang gesetzt? Buchinger: Unsere Diversity-Seminare für Mitarbeiter werden nun regelmäßig evaluiert, und auch der Pool an Dolmetschern wurde erweitert. Außerdem wurde eine umfangreiche Handlungsanleitung für die häufigsten Fragen der Mitarbeiter erstellt.

profil: Die lässt aber zum Teil einen großen Spielraum offen. Ein Beispiel: Will ein Kunde nicht von einer Frau beraten werden, gilt die AMS-Regel: Prinzipiell ist diesem Wunsch nicht nachzukommen - außer es gibt einen triftigen Grund dafür. Dies müsse im Einzelfall geprüft werden. Ist es überhaupt möglich, für solche Fragen eine Handlungsanleitung zu erstellen, die dann tatsächlich gilt? Buchinger: Das ist das Dilemma eines Vermittlers. Ein Vermittler kann nicht einfach sagen: Friss oder stirb. Er muss ja vermitteln. Das Ziel ist also immer das Zusammenführen von Arbeitsuchenden und Arbeitgebern. Wir müssen auf beide Seiten Rücksicht nehmen.

profil: Will eine Arbeitsuchende ihr Kopftuch nicht abnehmen, der Arbeitgeber hingegen keine Frau mit Kopftuch, sucht das AMS dann eine andere Stelle oder wird der Frau nahegelegt, das Kopftuch abzulegen? Buchinger: Wir probieren alles. Wir fragen den Arbeitgeber, ob es wirklich notwendig ist, das Kopftuch abzulegen. Wir fragen die Frau, ob sie es unbedingt tragen muss. Wenn man trotzdem nicht zusammenkommt, müssen wir uns letztendlich auf die gesetzliche Grundlage stützen. Die ist aber in diesem Fall äußerst kompliziert. Prinzipiell fällt das Tragen des Kopftuches unter die freie Religionsausübung. Der Arbeitgeber kann nur mit einem triftigen Grund von einer Frau verlangen, das Kopftuch abzulegen. Inzwischen können auch allgemeine Einschränkungen der Religionsausübung vorgenommen werden, aber nur dann, wenn es nicht diskriminierend gegen eine Religionsgemeinschaft gerichtet ist, wenn es also für alle gilt.

profil: Was passiert, wenn sich eine Person aufgrund ihrer Religion oder kulturellen Einstellung gänzlich weigert, eine Ausbildung oder einen Job anzunehmen? Buchinger: Wenn sich die Person offensichtlich weigert, müssen wir sanktionieren. Das kann man den Zuwanderern nicht ersparen: Die Zukunftsaussichten sind nicht sehr rosig, wenn sie sich nicht anpassen.

profil: Das AMS kann von sich aus die Mindestsicherung nicht entziehen. Das läuft über die Sozialhilfebehörde. Weiß das AMS, wem die Sozialhilfe gekürzt wurde? Buchinger: Nein. Meine Mitarbeiter würden sich das aber wünschen. Wenn sie ein Verweigerungsverhalten dokumentieren, hätten sie gerne die Bestätigung, dass ihre Arbeit etwas gebracht hat.

profil: Sollte das AMS selbst die Mindestsicherung auszahlen und im Anlassfall auch sanktionieren können? Buchinger: Das wäre eine gescheite Lösung. Dann könnte man unmittelbar nach dem Verweigerungsverhalten die entsprechenden Rechtsmittel setzen. Vielleicht wäre da auch der Erziehungseffekt größer.

profil: Wie geht das AMS mit vollverschleierten Frauen um? Werden Musliminnen mit Burka - seit das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz gilt - überhaupt betreut? Buchinger: Wir haben dazu noch immer keine offizielle Rechtsauskunft. Gleich nachdem das Vermummungsverbot im Vorjahr beschlossen wurde, haben wir den Verfassungsdienst gefragt, ob wir vermummte Frauen nun wegschicken dürfen. Der Verfassungsdienst hat sich als nicht zuständig erklärt und die Frage mit spitzen Fingern an das Innenministerium weitergereicht. Das Innenministerium erklärte sich aber auch für nicht zuständig und hat die Frage an das Sozialministerium weitergereicht. Eine Antwort haben wir bis heute nicht. Wir haben es jetzt selbst für uns geregelt: Wir schicken sie weg.

Der Einfluss der Sozialpartner soll zurückgedrängt werden, und es soll eine durchgängige Hierarchisierung geben.

profil: War es Zufall, dass der interne AMS-Bericht genau jetzt an die Öffentlichkeit gedrungen ist, oder vermuten sie eine politische Absicht dahinter? Buchinger: Ich denke, dem Bundeskanzler ist die Berichterstattung über den Revisionsbericht zupassgekommen, weil jetzt eine Stimmung im Land entsteht, mit der er eine Reform des AMS gut legitimieren kann. Eine solche Reform wird ja bereits im Regierungsprogramm angekündigt.

profil: Was erwarten Sie? Buchinger: Wir kennen keine Details. Wir können nur mutmaßen, aufgrund einer ähnlichen Regierungskonstellation im Jahr 2000. Dort hatte die Regierung den Plan, aus dem AMS eine GmbH zu machen. Auch der Rechnungshofbericht, der im Dezember veröffentlicht wurde, empfiehlt eine Strukturreform: Der Einfluss der Sozialpartner soll zurückgedrängt werden, und es soll eine durchgängige Hierarchisierung geben. Das AMS soll zentralisiert werden und der Minister ein Durchgriffsrecht bis auf die regionalen Geschäftsstellen hinunter erhalten. Ich vermute, es wird in diese Richtung gehen.

profil: Die Zentralisierung ist unter Schwarz-Blau I am heftigen Widerstand der Länder gescheitert. Die Landeshauptleute haben einstimmig eine Resolution gegen eine AMS-Reform verabschiedet. Wird der Widerstand diesmal geringer sein? Buchinger: Daran zweifle ich. Die Länder hätten gerne noch mehr Dezentralisierung.

profil: Wie hätten Sie es denn gerne? Buchinger: Ich glaube, die Grundstruktur mit einer verantwortlichen Einbindung der Sozialpartner hat sich in dieser Form bewährt. Es ist ein fein ausgewogenes Verhältnis zwischen zentralen und dezentralen Steuerungselementen. Die Landesorganisationen haben die Möglichkeit, sich an die regionale Wirtschaftsstruktur anzupassen. Zugleich ist aber gesichert, dass zentrale Vorgaben durch die Richtlinienkompetenz der Bundesorganisation umgesetzt werden.

profil: Neben dem Integrationsjahr wurde auch die "Aktion 20.000" für Langzeitarbeitslose über 50 gestrichen. Ein Fehler? Buchinger: Ich habe Verständnis dafür, dass die Regierung das gestoppt hat, aber mir ist es trotzdem persönlich leid darum. Auch wenn es teuer ist, war es das einzige Instrument, das wir für diese Zielgruppe zur Verfügung hatten. Diese Menschen haben wirklich kaum mehr eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

profil: Die Diskussion um das AMS konzentriert sich zurzeit auf das Thema Zuwanderung. Reden wir zu viel darüber und zu wenig über den großen Umbruch in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung? Buchinger: Wir reden nicht zu viel über Zuwanderung, aber zu wenig über Digitalisierung. Aber auch hier muss man nicht in Panik verfallen. Wenn man sich rechtzeitig darum kümmert, ist das bewältigbar.

profil: In der Gewerkschaft wird bereits über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Buchinger: Ich bin der Meinung, dass man das ernsthaft diskutieren und als Plan B konzipieren muss. Niemand kann heute genau sagen, wie sich der Arbeitsmarkt verändern wird. Ich glaube aber nicht, dass Plan B wirklich in Kraft treten muss. Die Prognosen sagen voraus, dass in den nächsten zehn bis 20 Jahren zehn Prozent der Arbeitsplätze durch Digitalisierung wegfallen werden. Solch einen Strukturwandel erleben wir immer.

Mehr zu diesem Thema: