Der All-inclusive-Mann: Andrä Rupprechter im Porträt
Es gibt spannendere Termine für einen Minister als einen Auftritt im Bundesrat. Aber von Zeit zu Zeit muss man sich als Ressortchef in der Länderkammer blicken lassen; der Föderalismus erfordert Opferbereitschaft. Am Donnerstag vergangener Woche ist Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter zu einer aktuellen Stunde geladen, um Auskunft über das Programm für ländliche Entwicklung zu geben. Routiniert rattert Rupprechter die Eckpunkte des Konzepts herunter. Dass er hier nicht vor einem Gremium internationaler Experten referiert, sondern vor rund 60 mehr oder weniger ambitionierten Teilzeitmandataren, hat allerdings Auswirkungen auf seine Performance: Rupprechter steht schräg am Rednerpult, zappelt herum, richtet den Blick nur selten ins Auditorium, wirkt nicht übermäßig inspiriert. Die Kritik einer grünen Bundesrätin aus Tirol, wonach es für den Biolandbau zu wenig Unterstützung gebe, pariert der Minister betont lässig: „Ihr seid’s jetzt in der Landesregierung. Da könnt’s ihr ja was dazu beitragen, dass es mehr Biobauern gibt.“
Ohne eine Prise Folklore kommt Rupprechter auch hier nicht aus. Gerade ihm müsse man nicht sagen, wie wichtig es sei, vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen zu schützen. „Ich bin ja selber Pate von zwei Pustertaler Sprinzen (eine Rinderart, Anm.) am Tirolerhof in Schönbrunn.“ Und der Tirolerhof insgesamt stamme bekanntlich aus Brandenberg, also aus seiner, Rupprechters, Heimatgemeinde.
Mehr kann man für die armen Viecher wirklich nicht tun, oder?
Ideologische All-inclusive-Agenda
Seit etwas mehr als einem Jahr amtiert Andrä Rupprechter als Landwirtschaftsminister – oder genauer: als Ressortchef des „Ministeriums für ein lebenswertes Österreich“. Der 53-Jährige löste den farb- und glücklosen Burgenländer Nikolaus Berlakovich ab und ist, so viel war von Anfang an klar, ein völlig anderer Typ als sein Vorgänger. Rupprechter steht gerne im Mittelpunkt und liebt den großen Auftritt. Hat er die Wahl zwischen einer sachlich fundierten Aussage und einem launigen Kommentar, entscheidet er sich vor größerem Publikum ungern für die ernsthafte Variante. „An apple a day keeps all Kummer away“, erklärte er etwa, als ihn ein Reporter nach dem Rücktritt von ÖVP-Chef Michael Spindelegger fragte, wie es in der Partei nun weitergehen solle. Der „Kronen Zeitung“ ermöglichte Bauernsohn Rupprechter im Sommer vergangenen Jahres eine Homestory vom Feinsten. Auf dem Hof seines Bruders bot er das komplette Programm: Er umarmte ein Kalb, stellte sich an das Familiengrab, fütterte die Hühner, küsste die Gattin. Sogar die „Krone“-Redakteurin war baff über so viel Entgegenkommen: „Ein Foto mit Traktor? Schwupps sitzt er drauf“, notierte sie. Nebenbei repräsentiert Rupprechter auch noch eine ideologische All-inclusive-Agenda. Er ist der brave Katholik, der für Notfälle stets einen Rosenkranz parat hat und schon bei der Angelobung auf das „Heilige Herz Jesu Christi“ schwor. Er ist der Liberale, der sich dafür ausspricht, dass Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen. Er ist ein Tiroler Kraftlackel, wie ihn Felix Mitterer nicht klischeehafter erfinden könnte. Und natürlich hat er – grün und rebellisch schon in der Jugend – einst in der Au gegen das Kraftwerk Hainburg demonstriert.
Das ist ein bisschen viel auf einmal, und mitunter wirkt das Gebotene etwas zwangsoriginell. Aber bisher ist Rupprechter damit ganz gut gefahren. Die Bürger mögen ihn. Der regelmäßig vom Meinungsforschungsinstitut OGM erhobene Vertrauensindex weist für ihn gute Werte aus. Doch in der Spitzenpolitik ist der nächste Fettnapf oft nur einen Halbsatz entfernt. Wie schnell man sich in die Bredouille plaudern kann, musste Rupprechter vor Kurzem erfahren – zum Glück für ihn an einer Nebenfront. Im Rahmen des Hahnenkamm-Wochenendes in Kitzbühel hatte sich der Minister etwas zu locker mit ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel unterhalten. Gleich danach stand Schröcksnadel vor den ORF-Kameras und erklärte, Rupprechter habe ihm soeben „vor Zeugen“ versprochen, dass es bald einen City-Parallelslalom vor der Gloriette in Wien geben werde. „Er hat gesagt, ja, das machen wir. Ich bin mir sicher, er hält Wort.“
Rupprechter behielt die Fakten etwas anders in Erinnerung: „Der ÖSV-Präsident hat mir gesagt, dass es in meinem Ressortbereich, also bei den Bundesgärten, schier unüberwindliche Hindernisse gibt. Ich habe ihm geantwortet, dass ich da keine Schwierigkeiten sehe. Was ich beitragen kann, werde ich tun.“ Für die Umsetzung sei aber nicht er zuständig.
Die zwei Herren müssen da offenbar noch ein paar Details klären.
"Exporte in den offenen Markt verfünffacht"
Am Montag der Vorwoche sitzt Rupprechter in seinem schönen, großen Büro an der Wiener Ringstraße und gibt zur Abwechslung den ganz normalen Politiker ohne Schmähverpflichtung. Nach 25 Jahren als Beamter in der Agrarbürokratie weiß er, worüber er redet. TTIP, das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, hält er „grundsätzlich für positiv“ – allerdings nur, wenn europäische Standards nicht ausgehebelt werden. Die Milliardensubventionen für den Agrarbereich seien notwendig: „Wenn wir eine multifunktionelle Landwirtschaft wollen, die auch Landschaftspflege betreibt, wie bei uns im Gebirge, muss man die Kosten zur Kenntnis nehmen.“ Der EU-Beitritt (für den er das Landwirtschaftskapitel einst mitverhandelte) habe den heimischen Bauern viel gebracht. „Wir haben unsere Exporte in den offenen Markt verfünffacht und jetzt ein fast ausgeglichenes Agrarhandelssaldo.“
In seiner noch jungen Amtszeit gelang es Rupprechter, das jahrelang hin- und hergeschobene Problem der Almförderungen zu lösen – mit Geld, das machte es leichter. Außerdem gehörte Österreich im Dezember zu den ersten Ländern, deren Programm zur ländlichen Entwicklung von der EU genehmigt wurde. Bis 2020 sollen insgesamt 7,7 Milliarden Euro fließen. Die Agrarlobbies sind hochzufrieden: „Der Minister hat mehrfach seine Europakompetenz unter Beweis gestellt. Er kann als Tiroler den Westen sehr gut einbinden und findet Zugang zu den Medien“, sagt Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer. Für den SPÖ-Landwirtschaftssprecher Erwin Preiner ist Rupprechter „keine Fehlbesetzung“. Man habe ein korrektes Arbeitsverhältnis und tausche sich regelmäßig aus. Dem Grünen Wolfgang Pirklhuber gefällt, dass der Minister einige Pestizide verboten hat und diverse Sachfragen engagiert angeht. „Ich kenne ihn sehr lange. Er ist ein unkonventioneller Typ und immer für eine Überraschung gut“, sagt Pirklhuber. Allerdings sei die Agrar- und Umweltpolitik nach wie vor den Wünschen diverser Interessensvertreter unterworfen: „Das Programm zur ländlichen Entwicklung entspricht genau dem Mainstream im Bauernbund.“
Für einen kreativen Geist ist das Ressort Landwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft keine sehr geeignete Materie. Es gibt ein paar hübsche Fototermine – auf Bauernmärkten oder Messen zum Beispiel. Im Kern geht es aber hauptsächlich darum, Subventionen auszuhandeln und zu verteilen sowie um Grenzwerte und Quoten zu feilschen. Er habe 80 Prozent des Regierungsübereinkommens bereits erledigt, sagt Rupprechter stolz. Das ist natürlich lobenswert. Andererseits: Was macht er in den nächsten dreieinhalb Jahren?
Rupprechter ist klug genug, die Harmonie nicht zu stören
Rupprechter war kaum im Amt, da hieß es schon, er mache sich Hoffnungen auf die Übernahme des Parteivorsitzes. Falls das so war, musste er diesen Plan bis auf Weiteres aufgeben. Reinhold Mitterlehner ist derzeit so unumstritten, wie ein ÖVP-Chef das überhaupt sein kann. Und Rupprechter ist klug genug, die Harmonie nicht zu stören. Fragt man ihn etwa, was er als jüngstes von elf Kindern einer Bergbauernfamilie über eine Vermögenssteuer für Reiche denkt, lächelt er milde: „Unser Parteichef und der Finanzminister haben deutlich gesagt, dass es mit uns keine Substanzbesteuerung geben wird.“ Außerdem sei ausgemacht, dass sich nicht jedes Regierungsmitglied zu den Verhandlungen äußern werde.
Gegen die Selbstinszenierung als buntester Vogel der Konservativen spricht aber wenig. Man muss sich nur kurz in Rupprechters Büro umsehen, um festzustellen, dass diesbezüglich maximaler Aufwand getrieben wird: An einer Wand prangt ein abstraktes Ölgemälde von Max Weiler, gegenüber durfte sich der Brandenberger Künstler Reinhard Artberg, ein Hundertwasser-Schüler, verewigen. Hinter dem Schreibtisch hängt sakrale Kunst, auf einem Bord darunter finden sich Devotionalien wie Rupprechters Säbel von den Tiroler Schützen, ein vergilbtes Foto seines Vaters beim Schützenaufmarsch und eine schwere Kuhglocke. Für die Wand neben der Balkontür hat sich der Hausherr einen Gag einfallen lassen: ein Stillleben mit Kruzifix und einem Porträt des Agnostikers Heinz Fischer. „Ich bin einer der wenigen Minister, die ein Bild vom Bundespräsidenten in ihrem Büro haben“, sagt Rupprechter grinsend. Und nein, der Fotograf müsse das Ensemble nicht extra knipsen. „Das war schon im ‚News‘.“
Ob das Sammelsurium vielleicht schon nächstes Jahr durch ein Foto vom Skirennen auf der Gloriettewiese ergänzt wird? ÖSV-Präsident Schröcksnadel habe bereits schriftlich um die Nennung eines Ansprechpartners in seinem Kabinett ersucht, sagt Rupprechter. „Das werden wir natürlich tun.“ Wie lästig die Tiroler sein können, weiß er ja.
Zur Person:
Andrä Rupprechter wurde am 31. Mai 1961 in Brandenberg geboren. Er studierte Agrarökonomie an der Universität für Bodenkultur in Wien, arbeitete beim Bauernbund und war danach Kabinettsmitarbeiter der Minister Franz Fischler und Wilhelm Molterer. Von 2002 bis 2007 war er Sektionschef für Landwirtschaft und Ernährung. Anschließend wechselte er nach Brüssel, wurde Direktor für ländliche Entwicklung im Generalsekretariat des EU-Rates, danach Direktor für Transparenz im Ratssekretariat. Ende 2013 wurde er zum Generalsekretär des Ausschusses der Regionen gewählt – verzichtete aber und trat stattdessen das Ministeramt an.