Androsch: „Sonst wird SPÖ eine Sekte“
„Selbstbestimmt. Sichtbar. Stolz. Für ein gutes Leben für alle – unabhängig von der Geschlechteridentität.“ So heißt ein Antrag, den die Parteigruppe SoHo und die SPÖ-Frauen am Parteitag im Juni einbringen werden. Der Antrag liegt profil vor. „Wir wissen, dass die Frage der Geschlechteridentitäten heute wichtiger denn je ist“, heißt es darin. Gefordert werden unter anderem die freie Wahl des Geschlechts im Reisepass, im Schul-Zeugnis oder auf der E-Card, unabhängig vom ursprünglichen Geschlechtereintrag; die freie Wahl des Vornamens unabhängig vom Geschlecht; die volle Kostenübernahme für Geschlechts-Operationen; die durchgängige Verwendung des Gendersterns (*) im Schriftverkehr der gesamten SPÖ; die Einbeziehung von Trans/Inter/Non-Binären Personen in die Geschlechterquote auf SPÖ-Wahllisten (Definition siehe unten). Im Papier heißt es, rund zwei Prozent der Bevölkerung würden sich zu dieser Gruppe zählen.
„Man muss auch kleine Gruppen würdevoll behandeln. Aber man darf die Gewichtung nicht verlieren. Wenn man sich nur auf solche Themen fokussiert, wird man eine Sekte“, sagt Androsch im profil-Gespräch. Die Hauptthemen müssten sein: „Wirtschaft, Arbeit, Bildung, Finanzierung des Sozialstaates.“ Sonst dürfe man sich nicht wundern, warum die Arbeiterschaft weitestgehend zur FPÖ abgewandert sei und nicht zurückkommt. „Leiharbeiter, Alleinerzieherinnen, Fahrrad-Boten, diesen Personen widmen wir uns zu wenig“, sagt das 83-jährige SPÖ-Urgestein aus der Ära Bruno Kreisky.
„Darf keinen Rausch des Tugendterrors geben“
Auf einem Parteitag gehen Hunderte Anträge ein, warum sieht Androsch ausgerechnet in diesem Antrag einen Beleg einer falschen Themengewichtung? „Ein Antrag ist ein Antrag. Es geht um das Gesamtbild. Darum, was ein Schwerpunkt ist und was nicht.“ Welchen Anteil schreibt Androsch SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner an diesem - aus seiner Sicht - falschen Fokus der SPÖ zu? „Ich will mich nicht auf Einzelpersonen fokussieren. Was ich sagen möchte: Es darf keinen Rausch des Tugendterrors geben. Das gilt für die gesamte Sozialdemokratie in Europa.“ Inspiriert habe ihn in dieser Frage das neue Buch von Sahra Wagenknecht: „Die Selbstgerechten.“ Darin rechnet die frühere Fraktionschefin der Linken im deutschen Bundestag mit der „Life-Style-Linken“ ab.
In der deutschen Sozialdemokratie (SPD) hat der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (77) die Debatte über Identitätspolitik forciert. Er hat sich zum "Symbol für die normalen Menschen" ernannt, die "das Gendersternchen nicht mitsprechen wollen".
Definition: Weder Mann noch Frau
Non-binäre Personen verorten sich nicht im binären Mann/Frau-Spektrum und leben daher weder als Mann noch als Frau.
Transidente Personen sind Menschen, die nicht in dem Geschlecht leben, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde (z.B. Transfrauen; also Frauen, denen bei der Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen wurde).
Intergeschlechtliche Personen wurden mit nur einer Variante der Geschlechtsentwicklung geboren, also nicht mit einem klassischen Chromosomen-Paar.
2018 hat der Verfassungsgerichtshof das Recht auf das dritte Geschlecht in offiziellen Dokumenten bestätigt. Der SPÖ geht die aktuelle Umsetzung aber nicht weit genug.
Auffällig: Im Impfdashboard des Sozialministeriums waren zuletzt 3 nicht-binäre Personen zwischen 25 und 44 Jahren angeführt.