Wie die Anklage gegen die Identitären in Graz scheiterte
Vergangene Woche ging in Graz ein Prozess zu Ende, und wenn es stimmt, dass die Zuhörerschaft charakteristisch ist für die Sache, die verhandelt wird, dann war während des wochenlangen Verfahrens eine Metamorphose zu beobachten. Am ersten Tag waren drei gerichtsbekannte Rechtsextreme aufmarschiert, was von Staatsanwalt Johannes Winklhofer nicht unbemerkt geblieben war und entsprechend kommentiert wurde. Einen der Herren hatte er mit seiner Klagsschrift einst für drei Jahre hinter Gitter gebracht. Am letzten Tag des Prozesses saßen im Publikum dagegen perfekt gestylte Postergirls der Identitären, das Antlitz einer neuen Zeit.
Winklhofer hatte sich alle Mühe gegeben, darzulegen, dass die Identitären eine Organisation mit dem Ziel der Verhetzung von Muslimen und Flüchtlingen seien. Ihre militärisch organisierte Struktur kam zur Sprache, ihr Elitedenken, ihre Ergebenheit gegenüber der Organisation, das Kampftraining, der völkische Grundsatz, wonach der Einzelne nichts sei ohne die Essenz seines Volkes, Integration nicht wünschenswert und Vermischungen gefährlich. Winklhofer hatte von gewalttätigem Aktionismus gesprochen, Sachbeschädigung und Körperverletzung. Das (nicht rechtskräftige) Urteil fiel milde aus. Zwei kleinere Geldstrafen; 720 Euro für einen Faustschlag in den Bauch von Oliver Vitouch, Rektor der Universität Klagenfurt, 240 Euro für Sprühereien in der Wallfahrtskirche von Maria Lankowitz, was unter Sachbeschädigung fiel. Vom Vorwurf der Verhetzung und damit auch der Bildung einer kriminellen Organisation wurden alle 17 Angeklagten freigesprochen.
Als der Richter das Urteil spricht, schwindelt ihn. Er unterbricht kurz. Ein Glas Wasser muss her. Es ist Mittag geworden. Die Sonne brennt durch die Scheiben, ein Standventilator müht sich vergeblich, feine Partikel tanzen in der Luft. Man atmet schwer.
Im Zweifel für die Angeklagten
Die Aktionen der Identitären seien verhetzend, doch mehrdeutig, und im Zweifel sei für die Angeklagten zu entscheiden, sagt der Richter. Winklhofer heftet den Blick auf seine Unterlagen; regungslos nimmt er die Niederlage hin. Sein ganzes Sein steckt in diesem Moment unter dem Talar des Staatsanwalts. Er scheint nicht einmal zu schwitzen.
Der Richter erläutert: Das Banner mit der Aufschrift „Islamisierung tötet“, das die Identitären auf dem Parteihaus der Grünen in Graz anbrachten, könne man auch als Kritik an einer Politik der offenen Grenzen verstehen, ebenso die aktionistische Störung einer Diskussion an der Universität Klagenfurt. Das Transparent auf dem Dach der türkischen Botschaft in Wien „Erdogan nimm deine Türken ham“ ziele auch gegen türkische Einflussnahme in Österreich, die Verhüllung von Heiligenstatuen in der Wallfahrtskirche Maria Lankowitz mit Müllsäcken à la Burka könne man gegen den politischen Islam gerichtet sehen.
Was der Richter in seiner Urteilsbegründung nicht erwähnt, was aber die ganze Zeit in diesem Saal schwebt wie die Staubflankerln im Sonnenlicht, ist die politische Kultur in diesen Zeiten, der Ton, in dem über Flüchtlinge, Migranten und Muslime geredet wird. Wer kann die Identitären mit ihren Kampagnen gegen den „großen Austausch“ und die „Integrationslüge“ der Verhetzung bezichtigten, wenn Politiker in ganz Europa und einige Mitglieder der Bundesregierung doch ähnlich reden? Einmal hatte der Richter das ganze Potpourri ausgebreitet: Begriffe wie „Asylindustrie“, „Asylwahnsinn“, „Asylbetrüger“, „Asyltourismus“, „Überfremdung“, „Umvolkung“, „gezielter Bevölkerungsaustausch“, „Der Islam gehört nicht zu Österreich“, „Fremd im eigenen Land“ und so fort. Das waren nicht die Identitären gewesen.
Einig waren sich in diesem Verfahren alle Parteien, dass frühere Regierungen in der Integration vieles versäumt, Probleme ignoriert oder gar geleugnet haben und das Jahr 2015 mit den offenen Grenzen und den Flüchtlingstrecks ein Fehler gewesen sei. Das war das Grundrauschen.
Allergisch gegen Ideologien
Auch der Staatsanwalt sieht das so. Doch Winklhofer sieht noch etwas anderes. Eine Ideologie – und gegen Ideologien, ob sie nun als rechte, linke oder religiös verkleidete Weltanschauungssysteme daherkommen, ist der 59-Jährige allergisch. Er wies auf das vieldeutig Schimmernde der rechtsextremen Hipster-Bewegung hin, auf ihr Konzept der Metapolitik, mit der sie „niederträchtige Hetze“ in die Gesellschaft träufeln lasse und kalkuliere, so sei man „anschlussfähig“. Er kennt die Gedankenwelt ihrer Vorbilder – von Carl Schmitt, dem Kronjuristen des NS-Regimes, über den Philosophen Martin Heidegger, NSDAP-Mitglied, bis zum Schriftsteller Ernst Jünger, der die Demokratie radikal ablehnte und dem Nationalsozialismus intellektuell den Weg ebnete. Winklhofer konfrontierte den Anführer der Identitären mit dessen Notizen von „Krieg“ und „Kampf bis aufs Messer um jede Straße, jeden Gemeindebau, jedes Dorf“ und verglich das mit dem SA-Konzept des Straßenkampfs, und sein Unterkiefer begannen zu mahlen, als der Angeklagte sagte, das sei „nur privates Gekritzel“.
Winklhofer hat seine Richtschnur. Mit derselben Unerbittlichkeit, mit der er einen jungen Grazer Sozialdemokraten vor Gericht bringt, der einen Besucher einer FPÖ-Wahlveranstaltung des Hitler-Grußes bezichtigte, obwohl er es – nach Ansicht Winklhofers – besser hätte wissen müssen (ein Polizeivideo erbrachte den Beweis), klagt er den Geschäftsführer der rechtsextremen „Aula“, der seiner Ansicht nach eine Parte nutzte, um die SS zu ehren, und verlor. Auch der junge Heinz-Christian Strache hätte bei Winklhofer keine Chance gehabt. „Haben Sie da drei Bier bestellt?“, fragte er einen nach dem NS-Verbotsgesetz Angeklagten, der auf einem Foto mit drei ausgestreckten Fingern den rechtsradikalen Kühnengruß macht.
Winklhofer gilt in juristischen Kreisen als „gnadenlos“ und unbestechlich. Seit 25 Jahren ist er Staatsanwalt in Graz. Bei gesellschaftlichen Empfängen ward er nie gesehen. In der Politik hat er sich keine Freunde gemacht. Mit dem Fall Herberstein und dem verschwenderischen Umgang von Steuergeldern für den Tierpark hat er einst die steirische ÖVP gegen sich aufgebracht, mit der Anklage gegen den Sturm-Präsidenten Hannes Kartnig die Fußballfans, mit dem Verfahren des Briefbombentäters Franz Fuchs die Verschwörungstheoretiker. Über Österreich hinaus bekannt geworden ist Winklhofer mit Dschihadisten-Prozessen. Und damit auch höchst gefährdet. Er hat nie darauf bestanden, seinen Namen und sein Bild nicht zu veröffentlichen. Er sähe darin wohl eine Schwäche des Staates.
Hart gegen radikale Islamisten
Auf dem Feld dschihadistischer Netzwerke, wie radikale Islamisten denken und was sie tun, ist Winklhofer mittlerweile ein Experte geworden. In solchen Verfahren tritt er bisweilen mit besonderer Härte auf, und so mancher Verteidiger hat ihm schon vorgeworfen, auf der Welle des Volksempfindens zu surfen.
Tatsächlich ist Winklhofer von kaltem Blut, wenn er Abhängigkeiten vermutet und den Eindruck gewinnt, dass junge Menschen zu Straftaten verführt wurden. In einem langwierigen Verfahren klagte er einen ehemaligen Religionslehrer, der als Salafistenprediger wie ein Popstar verehrt wurde, in dessen Umfeld mehr als vier Dutzend junge Leute von der IS-Ideologie angefixt nach Syrien gingen oder gehen wollten, der Anstiftung des Verbrechens einer terroristischen und kriminellen Organisation an. Obwohl der Prediger selbst nicht in Syrien gewesen war, wurde er zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil hat europaweit Aufsehen erregt.
Keinen Milderungsgrund sah Winklhofer für zwei Ehepaare, die mit insgesamt sieben Kindern in die IS-Hochburg Raqqa gereist und die Kleinen dem Zuschauen öffentlichen Köpfeabschneidens ausgesetzt hatten. Zornesadern traten auf seine Stirn, als Zeugen nicht wagten, zu Vorgängen in einer Moschee auszusagen. Aus Angst vor der Gemeinschaft. Im Schlussplädoyer eines solchen Prozesses griff er den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen frontal an, weil dieser gesagt hatte, es könne einmal eine Zeit kommen, in der Frauen aus Solidarität mit Musliminnen ein Kopftuch tragen müssten. „Integration heißt Rechtsschutz“, polterte Winklhofer.
Winklhofer argumentiert gegenüber Dschihadisten nicht viel anders als gegenüber Rechtsextremen. Hier wie dort sieht er Liberalismus, Demokratie und die Werte der Aufklärung gefährdet. Den dschihadistschen Islam nennt er Zweiten Faschismus. „Das ist ein politisches, kein religiöses Problem. Vertreter des Islam sollten ihre Pflicht erkennen.“
Was immer nach dem jüngsten Urteil geschieht – ob die Identitären nun salonfähig werden und Positionen in der FPÖ und im akademischen Betrieb anstreben – mit ihnen wird zu rechnen sein.
Aber auch mit dem Staatsanwalt.