NS-PROPAGANDA: Antisemitismus wird zum Unterrichtsgegenstand.

Anschluss-Jahr 1938: "Warum ich Antisemit geworden bin"

profil-Serie zum Anschluss-Jahr 1938: Woche vom 9.4. bis 16.4.1938

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Anhand von Zeitdokumenten schildert profil, wie das nationalsozialistische Regime das Denken der Menschen und ihren Alltag dominierte.

Es sind die Tage des großen Triumphs. Am 10. April hat das "arische" Österreich, ausgenommen KZund Gestapo-Häftlinge, mit 99,7 Prozent für den "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich votiert. Juden ist es ab sofort verboten, auf Parkbänken zu sitzen -so wurde es in den Zeitungen verlautbart; aus beamteten Stellungen sind sie entlassen; als Anwälte dürfen sie nicht mehr tätig sein. Vielleicht hat das hier und dort zu Diskussionen geführt?

Das "Kleine Volksblatt" hat jedenfalls eine Kampagne gestartet, mit der sie der Hetze Unterfutter gibt. Sie hat ihre Leser aufgefordert, Erfahrungsberichte zum Thema "Warum bin ich Antisemit geworden?" einzuschicken. Täglich sind zwei, drei Seiten dafür reserviert. Es wird vorgeführt, wie kollektiver Hass gesellschaftsfähig wird. Die Texte sind nicht namentlich gezeichnet.

Es treten auf: ein Arbeiter, der von seinem jüdischen Chef offenbar mies behandelt wurde; ein "Christenmädel", das klagt, ihr jüdischer Dienstherr habe sich an ihr "vergreifen" wollen, ehe sie ihm eine Ohrfeige verpasste; ein an Gicht leidender älterer Herr, der auf einen Reha-Platz wartet und sich von einem jüdischen Arzt bei der Gebietskrankenkasse schlecht behandelt fühlt. Ein Kinobesitzer schildert, er habe als einer der Ersten in Wien nationalsozialistische Filme vorgeführt und sei deshalb von Filmverleihfirmen, "die doch alle verjudet waren", boykottiert worden. Ein Mann berichtet, er habe bei einem jüdischen Uhrmacher eine Uhr reparieren lassen, die zwei Stunden später schon wieder stehenblieb. Einem anderen wurde die Wohnung gekündigt, ein Dritter klagt über eine "kokette" Jüdin, die ihn stehengelassen hat. Eine "kleine Geschäftsfrau", wie sie sich nennt, schreibt: "Mein Geschäft kam immer mehr herunter, weil alles zu den Juden lief." Ein Theatergeher protzt: Er sei schon lange ein Antisemit, aus einem "natürlichen Abwehrgefühl" heraus, ein glühender sei er geworden, weil sich "die Juden vordrängen und Arier sich mit kleinen Rollen begnügen mussten". Das Wüten wird von Tag zu Tag radikaler. "Ihr Ziel war unsere Degeneration." - "Jetzt sind wir vom Joch befreit."

Das Furchtbarste sei der "satanische Angriff auf die deutsche Frau". Am Ende ist klar: Der Jud' ist an allem schuld.

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Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik