Anti-Kurz-Campaigning: "Schnell und schmutzig"
Freitag vergangener Woche wurde Georg Niedermühlbichler offenbar von Unruhe befallen. Der Grund: Am Vormittag hatte profil dem SPÖ-Bundesgeschäftsführer einen Fragenkatalog übermittelt. Dessen brisanter Inhalt: Wie aus einem Konvolut von Dokumenten hervorgeht, beauftragte die SPÖ eine Werbeagentur damit, eine Negativkampagne gegen ÖVP-Chef Sebastian Kurz zu entwickeln. Am Nachmittag übermittelte Niedermühlbichler profil die Antworten - um Freitagabend leicht panisch die Flucht nach vorn anzutreten. In einer Aussendung verurteilte Niedermühlbichler einen angeblichen "Datendiebstahl", gegen den die SPÖ "alle rechtlichen Mittel" prüfen würde. Niedermühlbichler: "Hacken und interne Daten missbräuchlich zu verwenden, ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen." Und weiter: "Wir haben uns ganz klar dazu entschieden, einen sauberen Wahlkampf mit einer harten, aber fairen inhaltlichen Konfrontation zu suchen."
Niedermühlbichler irrt zweifach. Zum einen: Weder der SPÖ-Server noch die IT der von der SPÖ beauftragten Werbeagentur wurden von profil gehackt. "SPÖ-Leaks" liegen nicht vor. Und zum Zweiten: Ganz so "sauber", wie von Niedermühlbichler behauptet, wickelt die SPÖ ihren Wahlkampf auch nicht ab.
Im Mittelpunkt der Affäre, welche die SPÖ vergangenen Freitag mit ihrer Aussendung selbst publik machte, steht - neben der Partei - die Wiener Werbeagentur GGK MullenLowe mit Sitz in der Mariahilfer Straße - eine fixe Größe in der Kreativbranche. In den diversen Agenturrankings liegt sie stets unter den Top Five in Österreich. Entsprechend prominent sind auch ihre Kunden: Kika, Römerquelle, ORF, Palmers, A1 Telekom Austria, Casinos Austria, Wien Holding. Vor wenigen Monaten sicherte sie sich einen besonders prestigiösen Werbeetat. GGK MullenLowe wurde auserkoren, den Wahlkampf der SPÖ zu gestalten. Agentur-Chef Michael Kapfer erklärte damals den Erfolg im Branchendienst "medianet" so: "Ich persönlich denke, das hat sehr viel mit der Person Christian Kern zu tun, dem Inhalt und Kompetenz wichtiger sind als Vernetzung."
Die Wahlkampf-Kompetenz der Agentur dürfte breit gefächert sein. GGK MullenLowe verantwortet nicht nur die offizielle Kampagne der SPÖ, sondern unterstützte auch das rote Negative Campaigning gegen Christian Kerns größten Widersacher, Sebastian Kurz. Wie die profil vorliegenden Unterlagen beweisen, produzierte die Agentur im Auftrag der SPÖ Anti-Kurz-Videos. Eines davon landete ausgerechnet auf einer Facebook-Site, die antisemitische Inhalte verbreitet.
Beim Wahlkampf-Auftakt der SPÖ in der Grazer Messe widmete sich SPÖ-Chef Kern vergangenen Donnerstag intensiv seinem Herausforderer - ohne ihn jedoch konkret beim Namen zu nennen. Es sei wieder eine Gruppe von Politikern am Werk, so Christian Kern, die "Wolfgang Schüssel, Karl-Heinz Grasser und die damalige Buberlpartie für großartig halten". Buberlpartie? Auf einem der profil vorliegenden Dokumente der GGK MullenLowe aus dem August findet sich das Projekt "Negative Campaign, Buberlpartie‘" (siehe Faksimile). Produziert werden sollte dabei ein Video im Stil einer Kinofilmwerbung, in dem Jörg Haiders damalige Jungmänner-Runde (Gernot Rumpold, Peter Westenthaler, Walter Meischberger, Karl-Heinz Grasser) mit Sebastian Kurz’ engstem Beraterkreis, der "Buberlpartie II", gleichgesetzt wird. Das Video tauchte bisher allerdings nicht im Internet auf.
In einem anderen Video aus der roten Negative-Campaigning-Werkstatt wird Sebastian Kurz durch zusammengeschnittene Originalzitate unterstellt, Pensionen, Mindestlohn, Bildungs- und Gesundheitsausgaben kürzen zu wollen. Das Video mit dem Titel "Nein!" findet sich auf der Facebook-Site "Die Wahrheit über Sebastian Kurz", auf der seit Monaten teils hetzerisch Stimmung gegen den ÖVP-Obmann gemacht wird. Der Tiefpunkt: In einem Beitrag der Facebook-Site wird Kurz vorgeworfen, Teil eines "dubiosen politischen Netzwerks" des "Milliardärs George Soros" zu sein, der "die Politik nach seinen Interessen" steuere.
Soros steht seit Langem im Mittelpunkt antisemitischer Verschwörungstheorien im Internet. Aufgrund ihrer xenophoben Inhalte wird die anonyme Facebook-Site "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" eher FPÖ-nahen Kreisen zugerechnet. Was haben die SPÖ und ihr Anti-Kurz-Video damit zu tun?
Wir weisen jeglichen Zusammenhang mit dieser Site auf das Schärfste zurück
"Wir weisen jeglichen Zusammenhang mit dieser Site auf das Schärfste zurück", so SPÖ-Geschäftsführer Niedermühlbichler in seiner Stellungnahme vom vergangenen Freitagnachmittag gegenüber profil. Das inkriminierte "Nein!"-Video sei im Juni über die von der SPÖ unterstützte, mittlerweile aber stillgelegte Site politiknews.at "ausgespielt" worden, so Niedermühlbichler. Von dort wurde es offenbar weiterverbreitet.
Doch warum ließ die SPÖ überhaupt Anti-Kurz-Videos produzieren? Das "Buberlpartie"-Video und der "Nein!"-Clip seien von der SPÖ "nicht direkt beauftragt worden", so Niedermühlbichler. Vielmehr habe der frühere SPÖ-Berater Tal Silberstein - von dem sich die Partei nach seiner vorübergehenden Festnahme im August trennte - "verschiedenste Konzepte", darunter auch Videos, erarbeitet, um diese intern in sogenannten Fokusgruppen "abzutesten".
Auch Werbeagentur-Chef Michael Kapfer verweist auf Silberstein. Die Videos seien in Abstimmung mit dem SPÖ-Berater als Teil von etwa 30 Konzepten nur für den internen Gebrauch erstellt worden. Für die Veröffentlichung des "Nein!"-Clips im Netz sei man nicht "verantwortlich". Kapfer: "Wir haben von Anfang an mit der SPÖ vertraglich vereinbart, lediglich die klassische Wahlkampagne zu entwerfen, zu produzieren und zu betreuen. Das heißt, ich lege Wert auf die Feststellung, dass die GGK Mullen-Lowe kein einziges Negative-Campaigning-Konzept für den externen Gebrauch konzipiert und produziert hat."
Video will look and sound homemade, quick and dirty
Gemessen daran, dass die Anti-Kurz-Videos nur für den internen Gebrauch gedacht waren, betrieb man in der GGK MullenLowe einigen Aufwand. In einem Mail vom 6. Juni informiert ein Agentur-Mitarbeiter Silberstein detailliert über die Ausgestaltung des "Nein!"-Clips: "Video will look and sound homemade, quick and dirty, as if made by someone privately, not like a professional production. This is the intention, correct?" Die Anmerkungen lassen wohl nur einen Schluss plausibel erscheinen: Um den wahren Hersteller - nämlich eine von der SPÖ engagierte professionelle Agentur - zu verschleiern, sollte das Anti-Kurz-Video wie ein handgestricktes Schnellschuss-Produkt ("quick and dirty") wirken.
Georg Niedermühlbichler sah sich vergangene Woche in seiner Aussendung vor allem als Opfer. Er hoffe, so der SPÖ-Geschäftsführer, dass "diese brutale Art des Wahlkampfs" ein Ende finde.