Nahost-Konflikt

Antisemitismus an Brennpunktschulen: „Herr Lehrer, sind Sie Jude?!“

Antisemitismus unter Muslimen: Jetzt sollen es wieder einmal die Lehrer richten. Die einen haben Angst, andere halten bewusst dagegen.

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Bastian De Monte ist Klassenvorstand einer polytechnischen Schule in einem Wiener Außenbezirk. Vergangene Woche beobachtet der 30-Jährige, wie einer seiner Schüler im Hof mit einem fremden Burschen über ihn tuschelt. „Danach kommt er zu mir und fragt mich frontal: ‚Herr Lehrer, sind Sie Jude?!‘ Eine heikle Situation. Manche unserer Schüler weisen ein gewisses Gewaltpotenzial auf.“ De Monte ist Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde in Wien. Der Gaza-Krieg schlägt auf heimische Klassenzimmer durch. In sozial benachteiligten Mittelschulen, aber auch in Volksschulen mit hohem Anteil muslimischer Schüler, grassiert nach dem Terrorangriff auf Israel eine latente bis offene Judenfeindlichkeit. Auf den Gängen kommt es zu „Free Palestine!“-Rufen, islamistische Propaganda-TikTok-Videos vergiften im Schulhof die jungen Köpfe.

profil hat bei Lehrern und Direktoren in Wien, Graz, Linz, Wels nachgefragt. Manche mieden das Gespräch „aus Zeitgründen“; andere wollten nur anonym reden; andere wiederum waren froh, Missstände und Lösungsansätze schildern zu können. Die Einstellung, die sie unter ihren Schülern mit arabischen, türkischen, afghanischen oder tschetschenischen Wurzeln orten, scheint ziemlich einhellig: Palästinenser sind Opfer, Israeli Täter. Es dominiere die Genugtuung, dass auch einmal Israel „eins über die Rübe bekommen hat“, gibt ein Mittelschullehrer seine Wahrnehmung wieder. Der Anlass des Krieges, das Massaker der Hamas an Juden, tritt in dieser pubertären Parallelwelt völlig in den Hintergrund.

Politik schickt Lehrer vor

Lehrkräfte an urbanen Brennpunktschulen sollen sich dieser Welle des Antisemitismus, die sich vor ihnen aufgebäumt hat, nun entschlossen entgegenstellen. „Es ist unsere Aufgabe, im Klassenzimmer aufzuzeigen, dass wir Antisemitismus als Gesellschaft nicht akzeptieren“, sagt etwa der Wiener Stadtrat für Bildung und Integration, Christoph Wiederkehr von den NEOS. Bildungsminister Martin Polaschek stößt ins selbe Horn: Die Vorgänge in Nahost müssen im Unterricht behandelt werden. Nicht nur in Geschichte oder Politischer Bildung, selbst in Fächern wie Mathematik, wenn es die Dynamik in der Klasse verlange.

Massiver Lehrermangel, fehlendes Unterstützungspersonal, Sprachbarrieren, Vernachlässigung daheim, gestiegene Gewaltbereitschaft: Das Bildungssystem ist voller Baustellen. Ist es nicht absurd, zu verlangen, dass Lehrer nun auch noch den Nahost-Konflikt im Klassenzimmer entschärfen sollen?

De Monte sieht genau das als seine Aufgabe. „Als ich von der Demo am Stephansplatz mit judenfeindlichen Parolen erfuhr, dachte ich mir: Darunter könnten Schüler von mir sein. Das will ich durch meinen Unterricht verhindern.“ Dem tschetschenischen Burschen, der ihn nach seiner Herkunft fragte, erklärte er, wie unangenehm das für ihn gewesen sei. „Man muss sich menschlich zeigen und ja, dadurch macht man sich natürlich angreifbar.“

Sendungsbewusstsein

De Monte landete über „Teach for Austria“ im Klassenzimmer. Die private Bildungsinitiative schickt ihre akademischen „Fellows“ bewusst an sozial prekäre Mittelschulen oder polytechnische Schulen. Die Absolventen werden entsprechend darauf vorbereitet und unterstützen einander gegenseitig. Davon profitiert auch Nikos Hamah-Said. Der 29-Jährige ist seit zwei Monaten Geschichtslehrer an einer Neuen Mittelschule in Wien-Donaustadt. Sein Vater ist irakischer Muslim. Bei muslimischen Schülern hat er damit einen großen Stein im Brett. „Ich habe in Israel gelebt und erzähle von meinem jüdisch-arabischen Freundeskreis.“ Die mehrheitlich muslimischen Schüler würden ihn drängen, sich nun auf eine Seite zu schlagen. „Ich sage ihnen dann: ‚Auf der Seite der Hamas steht in meiner Welt niemand.‘“

Was die Terrororganisation am 7. Oktober in Israel verbrochen hat, wissen viele gar nicht so genau, schildert Hamah-Said. „Das war schon ein Schock für mich.“ In den TikTok-Kanälen der Schüler wird dieses Kapitel ausgeblendet. Es dominiert das Danach: zerstörte Häuser im Gazastreifen durch israelische Bomben. Den Palästinensern fühlen sie sich durch ihre kulturelle Prägung verbunden. Warum Österreich auf dem Bundeskanzleramt die israelische Fahne hisst, ist bei diesem Hintergrund schwer nachzuvollziehen. „Alle sind gegen uns, sogar Österreich“, beschreibt Hamah-Said das Opfer-Narrativ, das er dahinter vermutet und das er zurechtrücken will.

Nervensache

Quellen von Handy-Videos checken, historische Hintergründe des Krieges erklären, Mitleid für Muslime zulassen, dabei rote Linien zum Terror ziehen – all das mit Schülern, die dem Unterricht sprachlich nicht immer gut folgen können, denen Grundkenntnisse wie der Name des österreichischen Bundeskanzlers fehlen, die dafür aber vollgepumpt sind mit einschlägigen TikTok-Videos. Dieser Kampf gegen den neuen Judenhass im Klassenzimmer braucht Zeit, Geduld, Expertise und eine dicke Haut. „Es zahlt sich aus“, will Hamah-Said andere dazu ermutigen.

Ein Klassenvorstand aus einer Mittelschule in Wien-Simmering, schildert, wie persönlich es werden kann. Ein neuer Schüler habe zunächst panische Angst gehabt, seine jüdischen Wurzeln zu outen. Er sei in seiner alten Schule von muslimischen Mitschülern deswegen drangsaliert worden. „Ich dachte mir, das kann es nicht sein. Wir haben das in der Klasse erfolgreich aufgearbeitet.“

Der Lehrer hat Erfahrung mit religiösen, ethnischen oder kulturellen Konflikten im Klassenzimmer. Seine jüngeren Kollegen seien derzeit aber oft überfordert. „Sie haben Angst, dass sie sich vor den Eltern rechtfertigen müssen, wenn sie zu klar Stellung beziehen.“

„Das tue ich mir nicht an“

Ein weiterer Klassenvorstand aus Wien-Favoriten, macht sein Engagement von der ethnischen und religiösen Durchmischung seiner Klasse abhängig. „In einer Klasse sitzen mehrheitlich türkischstämmige Schüler, die beim Thema Islam schnell aufmüpfig werden. Ich glaube nicht, dass ich mir das antue, offen über Israel zu reden. Ich muss dabei auch mich schützen, als Atheist zu sehr in den Saft zu gehen.“

In Wien ist Thomas Krebs als oberster Personalvertreter der Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer erste Anlaufstelle bei Anliegen und Problemen. Er kennt die „Angst“ der Lehrer – auch vor Übergriffen – und rät ihnen, genau auf die Dynamiken in einer Klasse zu achten. „Im Zweifelsfall ist es besser, erst einmal die Quellen hinter problematischen Aussagen zu hinterfragen, ohne zu werten.“ Zu schweigen, aus Angst vor Konsequenzen, wäre aber „das Fatalste“, ist Krebs überzeugt. „Konflikte aufzuarbeiten, ist Teil unseres Berufs.“ Christian Klar, ein resoluter Mittelschul-Direktor in Wien-Floridsdorf und ÖVP-Lokalpolitiker, pflichtet ihm bei.

„Wir müssen dagegenhalten, sonst geben wir unser Gesellschaftsmodell auf.“ Ihm tun aber die jungen Lehrer und Studenten leid, die ohne jegliches Rüstzeug für religiös, kulturell oder ethnisch motivierte Konflikte vor hoch emotionalen Schülern stünden. Und diese Konflikte nehmen seiner Analyse nach markant zu. So viele Mädchen im streng-islamischen Überkleid Abaja, mit Handschuhen und dem Kopftuch übers Kinn gezogen, habe er noch nie erlebt. Die Forderung nach Gebetsräumen käme an immer mehr Schulen, schildern Klar und Gewerkschafter Krebs unisono. Wenn sich Schuldirektor Klar bei Debatten über Gaza nicht mehr anders zu helfen weiß, zitiert er „Koranverse, um sie zur Räson zu bringen.“

"Lehrer haben Angst"

Susanne Wiesinger, Volksschullehrerin in Wien-Favoriten, hat 2018 das Buch "Kulturkampf im Klassenzimmer - wie der Islam die Schule verändert", geschrieben. Sie hält den Anspruch der Politik, dass Lehrer offensiv über den Gaza-Krieg reden sollen, für "fahrlässig". Lehrer hätten Angst vor Übergriffen.

„Fahrlässig“ von der Politik

Bei einer Pressekonferenz verwies Bildungsminister Polaschek auf spezifisches Lehrmaterial zum Nahost-Konflikt, das allen Schulen zur Verfügung gestellt werde. Bei Verdacht auf Radikalisierung solle aber sofort die Polizei gerufen werden. Verblüffender Nachsatz: „In den vergangenen Monaten haben wir eine zunehmende Radikalisierung feststellen müssen.“

Dieser Befund geht einher mit einer Zunahme der Gewaltbereitschaft. Im vergangenen Schuljahr vervierfachte sich die Zahl der Anzeigen gegen Schüler wegen Tätlichkeiten allein in Wien auf 528 Fälle. Die Zahl der Suspendierungen – auch wegen verbaler Gewalt oder wegen Vandalismus – verdoppelte sich auf 814 Fälle. Mittelschulen sind hauptbetroffen.

Susanne Wiesinger ist Volksschullehrerin in Wien-Favoriten und Autorin des 2018 erschienenen Buchs „Kulturkampf im Klassenzimmer – wie der Islam die Schulen verändert“. Buchthese ist die zunehmende Ghettoisierung entlang religiöser Grenzen. Kritiker werfen der 59-Jährigen vor, Probleme aus Eigen-PR zu überzeichnen. Wiesinger findet es „fahrlässig“, wenn die Politik von Lehrern nun verlangt, offensiv über Israel zu reden. „Lehrer haben Angst. Der Dienstgeber hat Obsorgepflichten.“

Paralysiert von TikTok

Die Kassandra des Schulbetriebs wird nicht müde, darauf hinzuweisen, wie stark die Pandemie in Brennpunktschulen bis heute nachwirkt. „Wir haben es mit Schülern zu tun, die in ihren Heimatländern wie Syrien oder Afghanistan nicht alphabetisiert wurden und durch die Lockdowns noch weiter abgehängt wurden. Wir erreichen sie sprachlich oder kulturell kaum noch.“ Jetzt seien sie noch „abgemeldeter“ als sonst, sagt Wiesinger und glaubt, den Grund zu kennen. „Schon manche Volksschüler sind ständig am Handy, daheim bekommen sie Kriegsvideos von ihren Eltern und Geschwistern oft ungefiltert mit.“

Der „Kulturkampf im Klassenzimmer“ ist in diesen Tagen ein Kampf gegen die Parallelwelt auf TikTok. „Social Media ist ein grauenhafter Ort in dieser Zeit“, sagt der Wiener Bildungsstadtrat Wiederkehr. Deswegen müssten Eltern dafür sensibilisiert werden, was ihre Kinder dort sehen und was sie ihnen zeigen. Dem NEOS-Politiker ist längst bewusst geworden, dass nettgemeinte Tipps oft nicht mehr reichen. Deswegen fordert seine Partei Geldstrafen, wenn sich Eltern wiederholt der Aufforderung widersetzen, in der Schule zu erscheinen.

De Monte wird die Eltern seines tschetschenischen Schülers zu sich zitieren. Noch fand das Gespräch nicht statt. Bleiben sie fern, müssen sie vorerst nicht mit Konsequenzen rechnen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.