Antonia Stabinger: „Eine Mutter, die selbst adoptiert hatte, riet mir zum Pflegekind“
Wenn Antonia Stabinger ihre Pflegetochter am Arm hält, mischen sich ihre Locken mit jenen ihrer zehn Monate alten Maria*. Das frische Mutterglück ist der 38-jährigen Drehbuch-Autorin und Kabarettistin (Flüsterzweieck, Clit/Doris) anzusehen. Die Kleine ist erst seit eineinhalb Monaten bei ihr. Im ersten Halbjahr nach der Geburt hatte die biologische Mutter versucht, selbst für Maria zu sorgen. Die Minderjährige scheiterte daran. Ein Vater war nicht präsent. Das Jugendamt schritt ein und übergab Maria in die Obhut einer Krisenpflegemutter. Dort dauerte die Abklärung, ob doch Verwandte die Erziehung Marias übernehmen könnten, drei Monate. Eine ungewöhnlich lange Zeit in der Krisenpflege. Seit eineinhalb Monaten ist das kleine Mädchen bei Stabinger. Die bereits vierte Station in ihrem so jungen Leben.
Am Tag vor dem Gespräch mit profil trafen Antonia und Maria die biologische Mutter zum ersten Mal nur zu dritt. Alle seien gut drauf gewesen, erzählt Stabinger. Auch Maria. In der Nacht schlief sie so schlecht wie lange nicht mehr. „Vielleicht hat das Treffen die Angst getriggert, schon wieder woanders hinzumüssen.“
Stabinger geht davon aus, dass Marias Reise bei ihr beendet ist. Das sagt nicht nur ihr Bauchgefühl. Nur zwei bis drei Prozent der Kinder würden von den biologischen Eltern zurückgefordert, zitiert sie einen Wert, der in den Vorbereitungskursen oft zitiert wird. Statistisch belegt ist es nicht.
In den ersten Tagen war Maria super brav. Dann kamen schwierige Einschlafphasen, die wie zornige Ausbrüche wirkten. Wenn ich sie beispielsweise streichelte, packte sie meine Hand und schleuderte sie weg. Man bekommt die Wut ab, die den verschwundenen Bezugspersonen gilt. Darauf kannst du nur mit Liebe und einem Gefühl der Sicherheit reagieren.
„In den ersten Tagen war Maria super brav. Dann kamen schwierige Einschlafphasen, die wie zornige Ausbrüche wirkten. Wenn ich sie beispielsweise streichelte, packte sie meine Hand und schleuderte sie weg“, erinnert sich die Pflegemutter an den Beginn ihres neuen Lebens. „Man bekommt die Wut ab, die den verschwundenen Bezugspersonen gilt. Darauf kannst du nur mit Liebe und einem Gefühl der Sicherheit reagieren.“ Derzeit lacht Maria oft und herzlich.
Der Pflegemutterschaft Stabingers ging der Entschluss voraus, in einer krisengeplagten Welt einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu wollen. Stabinger hatte sich nach der Trennung von einer langjährigen Beziehung mit alternativen Familienmodellen wie Pflegekindern beschäftigt. Dazu riet ihr ausgerechnet eine Freundin, die selbst adoptiert hatte. „Wenn ich du wäre, würde ich Pflegemutter werden. Das ist easier, du wartest nicht jahrelang und die Ausbildung kostet nicht Tausende Euro.“ Für Stabinger war es „die mutigste Entscheidung meines Lebens“. Die Eltern waren sofort an Bord. „Das ist ja keine Frage“, sagte der Vater. Jetzt pendeln sie nach Wien „Maria schauen“.
Einschneidend ist auch die Frage, welches Kind man sich zutraut. Stabinger schloss ein Drogenbaby, schwere Behinderungen und gewalttätige Eltern aus. „Es steht im Internet, auf welcher Bühne ich Auftritte. Dass mich ein rabiater, biologischer Vater abpasst, das brauche ich nicht.“ Antonia und Maria waren „ein Match“ wie bei einer Dating-App. „Die muss zur Frau Stabinger!“, sagte ihre Betreuuerin bei der MA 11 sofort, als der Pflegefall Maria intern aufpoppte.
Auf die Bühne will Stabinger im Frühjahr zurück. FM4-Beiträge schreibt sie, wenn Maria schläft. Nicht ausgeschlossen, dass ihre Erfahrungen als Pflegemutter Kabarett-Stoff liefern. Der Moment, als sie verdutzten Künstlerkollegen auf einem Fest offenbarte, „morgen“ ihr Kind zu bekommen, mit einem Weißen G„spritzten in der Hand und ohne jegliche Bauchwölbung, drängt sich förmlich auf.
* Um die Identität des Kindes zu wahren, ist der Vorname geändert
Foto: Sophie Salfinger