Vor einer Woche hat SPÖ-Chef Andreas Babler das von Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser ausgearbeitete Positionspapier überarbeitet und „kommunikativ nachgeschärft“.
Asyl

Hat SPÖ-Chef Babler mit seiner Kritik an Ungarn recht?

Aus Sicht der SPÖ ist Ungarn Schuld an den hohen Asylzahlen. Aber stimmt das auch? Und könnte eine von den Sozialdemokraten geforderte Klage gegen Viktor Orbán funktionieren?

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Die SPÖ ist beim Thema Asyl und Migration seit Jahren gespalten. Parteichef Andreas Babler ist innerhalb der Partei eher dem Flügel zuzurechnen, der für Menschlichkeit statt Härte plädiert. Doch angesichts der anstehenden Nationalratswahl wuchs auch der Druck aus den roten Landesparteien auf Babler, eine klare Position in puncto Asyl und Migration zu beziehen. Am vergangenen Wochenende hat die SPÖ deshalb ihre roten Linien im Umgang mit Schutzsuchenden definiert.

Dabei orientierte sich SPÖ-Parteichef Andreas Babler am seit 2018 bestehenden Positionspapier der beiden SPÖ-Landeshauptleute Peter Kaiser (Kärnten) und Hans Peter Doskozil (Burgenland). Im Wesentlichen deckt sich der neue SPÖ-Masterplan zu Asyl, Migration und Integration mit den im April 2024 beschlossenen Vorhaben der EU.

Dass das europäische Asylsystem nicht funktioniert und Österreich zu viel Last trägt (an der Einwohnerzahl gemessen stellten im Vorjahr EU-weit am zweitmeisten Menschen einen Asylantrag in Österreich; Anm.), sagt nun auch Andreas Babler. Aus seiner Sicht gibt es dafür einen eindeutigen Schuldigen: Ungarn und sein rechtskonservativer Premier Viktor Orbán.

Bei der Präsentation des neuen roten Papiers versuchte Babler aus der Defensive zu kommen, indem er Orbán frontal angriff. Er fordert österreichische Sanktionen gegen Ungarn. Weil das Nachbarland nicht nur Unionsrecht im Umgang mit Geflüchteten bricht, sondern die ungarische Asylpolitik auch keine faire Verteilung von Schutzsuchenden vorsieht.

Aber liegt Babler richtig? Ist Ungarn wirklich schuld an den hohen Asylzahlen in Österreich? Oder sorgt das rigorose – teils menschenrechtswidrige – Vorgehen der ungarischen Polizei nicht in Wirklichkeit dafür, dass kaum mehr Menschen über die Grenze im Burgenland nach Österreich kommen?

„Wenn ungarische Behörden mit einer Person in Kontakt kommen, die sich rechtswidrig in Ungarn aufhält, setzen sie die Person in ein Polizeiauto, fahren sie an die serbische Grenze und schieben sie ohne ein individuelles Verfahren oder Dokumente zurück.“

András Léderer, Migrationsexperte Hungarian Helsinki Committee

über den ungarischen Umgang mit Geflüchteten

Ein „Durchwinken“ der Geflüchteten durch Ungarn Richtung Österreich und Deutschland gibt es heute nicht mehr, sagt András Léderer, Migrationsexperte des ungarischen Helsinki-Komitees, einer der wichtigsten Nicht-Regierungsorganisationen des Landes. Denn anders als im Jahr 2015 geht Ungarn heute mit voller Härte gegen Schutzsuchende vor. „Sollten die ungarischen Behörden mit einer Person in Kontakt kommen, die nicht das Recht hat, sich in Ungarn aufzuhalten, setzen sie die Person in ein Polizeiauto, fahren sie an die serbische Grenze und schieben sie ohne ein individuelles Verfahren oder Dokumente zurück“, erzählt Léderer.

Festlegen möchte sich der Migrationsxperte nicht, ob das harte Vorgehen Ungarns gegen Geflüchtete die Erklärung für die österreichische Statistik ist und sich deshalb die Route möglicherweise verlagert hat: Statt über Ungarn würden Asylsuchende derzeit eher über Kroatien kommen, von wo aus die Menschen nach Slowenien und Italien und dann nach Österreich und Deutschland reisen.

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó ist sich hingegen sicher, dass Österreich durch Ungarns unionswidrige Asylpolitik profitiert. Laut Szijjártó habe Ungarn in den vergangenen Jahren durch den Schutz seiner Südgrenze nicht nur Ungarn, sondern auch Österreich und die gesamte EU geschützt, betonte er am Dienstag bei einem Besuch in Wien.

Pushbacks an der ungarisch-serbischen Grenze

In Ungarn hat man sich in den vergangenen Jahren an einem rechtlichen Trick bedient: In Ungarn steht der Grenzzaun zu Serbien einige Meter hinter der eigentlichen Grenze. Flüchtlinge durch ein Tor im Zaun zu begleiten, gelte laut Ungarn daher nicht als Abschiebung, da sie sich weiterhin auf ungarischem Territorium befinden.

Die EU-Kommission sieht das bekanntlich anders und hat das Verhalten Ungarns vor den Europäischen Gerhichtshof (EuGh) gebracht, weil das Land höchstrichterliche Entscheidungen zum Asylsystem nicht umgesetzt hat. Vor circa zwei Wochen folgte dann das Urteil: Ungarn muss 200 Millionen Euro sowie ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro für jeden Tag des Verzugs zahlen, entschieden die Richter.

Welche Sanktionsmöglichkeiten gegen Ungarn gibt es noch?

Rechtliche Sanktionen gegen Ungarn wünscht sich auch SPÖ-Chef Andreas Babler. Laut dem Völkerrechtler Ralph Janik gebe es auch drei konkrete Ansatzpunkte:

  • Die österreichische Regierung könnte bei der EU ein Vertragsverletzungsverfahren anregen, womit diplomatische Verstimmungen mit Ungarn vermieden werden könnten.
  • Österreich leitet selbst ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Solch ein Vorgehen sei zwar selten, aber schon vorgekommen, etwa die Klage Österreichs gegen Deutschland in Sachen Pkw-Maut.
  • Als dritte Option führt der Völkerrechtler eine Staatenbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.

Eine profil-Anfrage, welche Möglichkeit für die SPÖ in Frage käme, ließ das Team von Andreas Babler bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Fest steht jedenfalls, dass die SPÖ die Regierung zu einer Klage auf EU-Ebene bewegen möchte.

Der ungarische Außenminister empfindet das als „nicht nur ungerecht, sondern auch seltsam“. Schließlich hat Ungarn laut Szijjártós Ansicht großen Anteil an den wenigen illegalen Grenzübertritten im Burgenland.

Befürchten muss Szijjártó eine österreichische Klage vorerst aber nicht. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) verwies diesbezüglich bereits auf die EuGH-Verurteilung Ungarns und auf die „gute Zusammenarbeit“, die laut Karner sowohl an der ungarisch-serbischen als auch an der österreichisch-ungarischen Grenze fortgesetzt werden soll.

Innenminister Karner (ÖVP) besucht ungarisch-serbische Grenze

Im November 2023 besuchte auch der österreichische Innenminster Gerhard Karner (ÖVP, in der Mitte; Anm.) die ungarisch-serbische Grenze. An den dortigen gemeinsamen Polizei-Operationen möchte Karner festhalten, die illegalen Pushbacks lehnt man ab.

Dass sich die Route verlagert habe und deshalb weniger Geflüchtete versuchen über Ungarn nach Österreich zu kommen, liege laut Innenministerium nicht am rigorosen Vorgehen Ungarns, sondern vor allem an den Anstrengung serbischer Behörden, die organisierte Schlepperkriminalität im Grenzgebiet zu Ungarn zu bekämpfen.

SPÖ bei Asyl-Obergrenze uneins

Uneinig ist sich die Bundes-SPÖ mit den Verantwortlichen im Grenzgebiet zu Ungarn: der SPÖ Burgenland. Und zwar, wenn es um eine Asyl-Obergrenze geht. Im Burgenland möchten die Verantwortlichen der SPÖ an ihrem Themenpaket zu „Asyl, Migration, Integration und Grenzschutz“ aus dem Februar 2024 festhalten. Auch an der darin beschlossenen Obergrenze von 10.000 Asylanträgen. „Und nachdem wir mit Mai bereits bei rund 11.200 Asylanträgen liegen, werden wir den verantwortlichen Innenminister damit auch konfrontieren, denn unter keinem Innenminister hat es mehr Asylanträge gegeben als unter Karner“, sagt Roland Fürst, Klubobmann der SPÖ Burgenland.

Experten sehen eine solche Obergrenze äußerst kritisch, denn: Um eine solche Notverordnung zu aktivieren, braucht es nicht nur aufrechte Grenzkontrollen. Sondern auch die Feststellung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind. Dafür bedarf es einer umfassenden schriftlichen Begründung, die neben der Anzahl der Asylanträge auch die Aufzählung der dadurch beeinträchtigten staatlichen Systeme beinhalten muss. „Es handelt sich also um das österreichische Rechtsinstrument zum Umgang mit Massenmigration“, schreibt die Juristin Julia Kienast in einem Blogbeitrag der Vereinten Nationen.

Zwar spüren einzelne Teile der österreichischen Infrastruktur wie das Schulsystem die Auswirkungen der großen Fluchtbewegung im Jahr 2015 immer stärker – profil berichtete ausführlich. Mit rund 1989 neueinreisenden Asylwerber:innen (bis März 2024) ist Österreich von einer Massenmigration derzeit aber weit entfernt.

Was würde eine Asyl-Obergrenze bedeuten?

„Mit dieser Notverordnung (Obergrenze; Anm.) würde ein Innenminister ermächtigt, Registrierstellen in Grenznähe einzurichten. Das könnte also zur Folge haben, dass so ein Erstaufnahmezentrum, wie wir es aus Traiskirchen kennen, in Zukunft auch im Burgenland entstehen könnte“, sagt Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der Asylkoordination Österreich. An den Problemen mit dem Nachbarland Ungarn, wo Geflüchtete nicht menschenrechtskonform behandeln werden, würde eine solche Obergrenze hingegen nichts ändern, meint der Asylexperte.

Zu einer Asyl-Obergrenze soll es laut der Bundes-SPÖ aber gar nicht erst kommen, vielmehr möchte man in der Löwelstraße auf schnellere Verfahren an den EU-Außengrenzen, eine faire Verteilung geflüchteter Menschen innerhalb der EU und sichere Rückführungen pochen. Dafür wird es wohl aber auch ein Einlenken des ungarischen Premiers Viktor Orbán brauchen. Mit oder ohne Klage.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.