Arbeitskräftemangel

Asylwerber am Arbeitsmarkt: „Politik hinkt der Realität hinterher“

Jahrelang war es politisch opportun, Asylwerber vom Jobmarkt fernzuhalten. Der Arbeitskräftemangel sorgt nun für ein Umdenken: Ausgerechnet das ÖVP-geführte Land Tirol geht mit Beschäftigungsinitiativen für Geflüchtete voran.

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Das Hotel Löwe und Bär im Tiroler Serfaus ist ein Familienbetrieb, der dringend Arbeitskräfte sucht und dabei auch unkonventionelle Wege geht: Seit 2017 arbeitet der gebürtige Afghane Murtaza als Koch im Löwe und Bär-Hotel im Tiroler Ort Serfaus. Angefangen hat der 28-Jährige im Juli 2017, damals noch als Asylwerber. Eine andere Mitarbeiterin lernte den Koch während eines von ihr organisierten Deutschkurses kennen und stellte ihn den Besitzern des Hotels, Lukas und Karl Heymich, vor. Murtaza schloss die Kochlehre im Betrieb ab, ist seit seiner absolvierten Lehrabschlussprüfung 2020 Besitzer einer Rot-Weiß-Rot-Karte und konnte dem Betrieb eine weitere Mitarbeiterin vermitteln: Seine Frau, die im Vorjahr nach Österreich nachzog und nun als Servicekraft im Hotel arbeitet. Für Karl Heymich ist der 28-Jährige eine wertvolle Arbeitskraft. Den Weg zur absolvierten Lehre und Rot-Weiß-Rot-Karte bezeichnet er als Arbeitgeber jedoch als Papierkrieg, der nicht ohne gewesen sei. 

Asylwerber bekommen nur in wenigen Ausnahmefällen eine Arbeitserlaubnis. Und diese ist mit viel Bürokratie und oftmals einer langen Wartezeit verbunden. Wird sich das in Anbetracht des derzeit herrschenden Arbeitskräftemangel ändern? AMS-Vorstand Johannes Kopf forderte in einem Interview mit dem Standard” ein Sonderbudget von 100 Millionen Euro, um Geflüchtete besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen den Zutritt in den Job zu erleichtern. Auch in Anbetracht des Fach- und Arbeitskräftemangels gibt es von manchen die Überlegung, für Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit schon vor Abschluss ihres Asylverfahrens einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt zu schaffen. Dies würde die Integration sowohl in den Arbeitsmarkt als auch in die Aufnahmegesellschaft fördern, so Johannes Kopf gegenüber profil. Ob das realisiert wird, entscheide jedoch die Politik. Vom Arbeitsministerium heißt es, die Sonderbudget-Verhandlungen würden laufen und man könne deshalb keine weiteren Auskünfte geben. 

Nichtsdestotrotz legt man in Tirol jetzt bereits großen Wert darauf, Asylwerbern den Zugang zum Arbeiten zu ermöglichen. Die Tiroler ÖVP-Landesrätin Astrid Mair positionierte sich in einem Interview mit dem Kurier folgendermaßen: Mit der Einbeziehung dieser Menschen (Anm.: Geflüchteten)  in den Arbeitsmarkt unterstützen wir nicht nur die Tiroler Wirtschaft, sondern setzen zusätzlich eine wichtige Integrationsmaßnahme

Herkunft ist entscheidend

Laut der Wirtschaftskammer Tirol waren Ende Juni über 300 Asylwerber in Tirol über eine Beschäftigungsbewilligung in einem Betrieb beschäftigt. Hierbei handelt es sich um Personen, bei denen eine hohe Anerkennungswahrscheinlichkeit bestehe. Heißt: Hier ist vor allem die Herkunft entscheidend, aus welcher Region Geflüchtete kommen. Laut WKO könnten es durchaus schon mehr Asylwerber sein, die bereits in Betrieben arbeiten. Denn der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel sei über alle Branchen groß, so groß, dass in dem Bundesland laut Definition bereits Vollbeschäftigung herrscht. Die Arbeitslosenquote betrug im August unter drei Prozent. 

Das Ziel von Wirtschaftskammer und Landespolitik: Sie wollen die Tiroler Sozialen Dienste, die in Tirol für Asylsuchende zuständig sind, direkt mit den Betrieben, die Bedarf an Arbeitskräften haben, vernetzen. Denn aktuell sind es vor allem Gastronomiebetriebe und die Hotellerie, die Asylsuchende beschäftigen und die auch die höchste Nachfrage haben. Außerdem bringen diese Branchen einen großen Vorteil mit: Sie können für die neuen Arbeitskräfte, die aus betreuten Einrichtungen kommen, im Idealfall auch gleich eine Unterkunft stellen. Bei anderen Betrieben sei das nicht gewährleistet.

Ich bin so etwas wie das AMS der Asylwerber

Ich bin sowas wie das AMS der Asylwerber, sagt Gerd Trimmal, Geschäftsführer des Vereins Ute Bock zu profil. Er vermittelt Asylwerber an große Unternehmen. Ob ein Asylwerber arbeiten darf, obliegt jedoch einem Expertengremium des Arbeitsmarktservices. Bisher war es so, dass das Gremium mittels Einstimmigkeitsprinzip darüber abstimmte, ob die arbeitswillige Person auf den Arbeitsmarkt zugelassen wird. Es dauerte teilweise mehrere Monate, bis eine Entscheidung fiel, kritisiert Trimmal. Doch ein positiver Bescheid bedeutet noch lange keinen fixen Arbeitsplatz für die Person. Wenn sich das Gremium dafür entscheidet, hat das AMS sechs Wochen Zeit, um einen österreichischen Staatsbürger zu finden, der die Stelle des Asylbewerbers ersetzen könnte. Im Juli fiel das Einstimmigkeitsprinzip, seither genügt eine einfache Mehrheit im Expertengremium Trimmal sieht darin eine positive Entwicklung, die den Prozess beschleunige.

Die Politik hinkt der Realität hinterher

Erst 2021 hob der Verfassungsgerichtshof zwei Erlässe aus dem Jahr 2018 bzw. 2004 als gesetzeswidrig auf, die die Beschäftigung von Asylwerbenden eingeschränkt hatten. Der Erlass aus dem Jahr 2004 stammte vom damaligen Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und besagte, dass Asylwerbende nur in der Erntearbeit oder Saisonarbeit eingesetzt werden dürfen; jener aus dem Jahr 2018 von der damaligen Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) schaffte den Zugang von Asylwerbern zur Lehre ab.

Man sollte die Realität anerkennen und Asylwerber am Arbeitsmarkt integrieren, sagt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich zu profil. Diese Position war über viele Jahre eine Minderheitenmeinung, nun kippt die Stimmung, weil die Wirtschaft händeringend Arbeitskräfte sucht. Es ist eine schikanöse und durch Ideologie getriebene Politik der Ära Kurz, die bis heute nachwirke. Denn das Problem sei, so der Asylexperte, dass sich kaum ein Arbeitgeber die Hürden antun würde, um einen Asylwerber anzustellen. So werde versucht, die Asylwerber vom Arbeitsmarkt fernzuhalten und eine schnelle Integration zu verunmöglichen. Integration könne nicht von einem auf den anderen Tag passieren, wenn die Aufenthaltsgenehmigung mal erteilt sei, so Gahleitner-Gertz: Aktuell hinkt die Politik der Realität hinterher.

Wichtiger Schritt in der Bekämpfung des Personalmangels

Und wie könnte das Matching zwischen Arbeitgeber und Asylbewerbern funktionieren, zwischen Angebot und Nachfrage? Die Tiroler Sozialen Dienste haben damit Erfahrung: Mit Hilfe des Tiroler Integrationskompass (der von der Landesregierung finanziert wird) werden durch Beratungen im Einzel- und Testungen im Gruppensetting Kompetenzen, Berufserfahrung und die Bildungsbiografie der Menschen erhoben. Laut den Sozialen Diensten seien die Strukturen also vorhanden - es wäre aber wünschenswert, wenn auch der Bund Mittel locker machen würde. Immerhin ist der Bund für die Organisation der Grundversorgung in Österreich verantwortlich. Neben der Vermittlung wäre es zudem wichtig, vorbereitende und begleitende Maßnahmen zu setzen: Zum Beispiel Vorbereitungskurse für Pflegeberufe oder Deutsch-Kurse für die Gastronomie. Das sei zwar schon im kleinen Maß gegeben, aber um eine flächendeckende und nachhaltige Struktur zu ermöglichen, sei man auf eine Finanzierung durch den Bund angewiesen. 

Für die Gebrüder Lukas und Karl Heymich wäre das ein wichtiger Schritt in der Bekämpfung des Personalmangels. Es gibt Menschen, die wirklich arbeiten und Unternehmen, die sie einstellen wollen, aber nicht können, so Heymich. 

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.