Aus der Redaktion
Liebe Leserin, lieber Leser
Man könnte meinen, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust seien von der historischen Forschung inzwischen bis ins letzte Detail ausgeleuchtet worden. Doch die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende geschrieben, wie die aktuelle Coverstory belegt. In deren Mittelpunkt steht Günther Niethammer, seines Zeichens Ornithologe, der sich freiwillig zur Waffen-SS meldete, auf dem Areal von Auschwitz, wo der NS-Vernichtungswahn auf die Spitze getrieben wurde, ausgiebig Vogelkunde betrieb und nach dem Krieg zum Doyen seines Faches aufstieg.
Marianne Enigl und Christa Zöchling schildern das bizarre Wirken des "Vogelfängers von Auschwitz", das vor dem Hintergrund der monströsen Mordmaschinerie umso beklemmender wirkt. Im Naturhistorischen Museum Wien werden die Relikte von Niethammers Feldstudien gelagert. Anita Gamauf, die Leiterin der Abteilung Ornithologie, hatte zwei Dutzend ausgestopfte Vögel für Enigl, Zöchling und den Fotografen Philipp Horak vorbereitet. Sie waren seinerzeit von einem KZ-Häftling sorgfältig präpariert worden. "Man meint, seine Angst zu spüren, aber auch die Hoffnung, dass diese Arbeit für ihn einige leichter erträgliche Tage bringe. Anfassen sollte man die Vogelpräparate aber besser nicht, wegen des hochgiftigen Arsens, mit dem sie, wie damals üblich, behandelt wurden."
Seit vielen Jahren berichtet Gregor Mayer für profil aus den neuralgischen Zonen Osteuropas. Vergangene Woche tauchte sein Name (neben mehreren anderen) auf einer Liste in der regierungstreuen ungarischen Tageszeitung "Magyar Idök" auf, mit der unliebsame – sprich: unabhängige und kritische – Journalisten an den Pranger gestellt wurden. Robert Treichler nimmt diesen skandalösen Vorgang in seinem Leitartikel zum Anlass für einige prinzipielle Überlegungen zur „illiberalen Demokratie“ à la Viktor Orbán.