Außenminister Sebastian Kurz soll die ÖVP retten. Kann er das?
Plötzlich beginnen in den Autos nacheinander die Mobiltelefone zu läuten, und der Konvoi, der eben das Gelände des KFOR-Camps Film City in Pristina verlassen hat, hält an. Außenminister Sebastian Kurz und seine Kabinettsmitglieder steigen aus und versammeln sich neben einem der Fahrzeuge. Die Gesichter sind ernst, die Haltung bleibt lässig die Hände in den Hosentaschen. Kurz ist auf einem dreitägigen Besuch in Serbien und Kosovo, doch jetzt es ist Ende Februar, und die Krise in der Ukraine eskaliert hat sich die Lage für den Außenminister und sein Team eben zugespitzt. Eine Entscheidung muss her.
Wenige Tage zuvor hat die Europäische Union bei einem Außenministertreffen beschlossen, Sanktionen gegen Mitglieder und Unterstützer des Regimes von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch zu verhängen. Doch bisher ist nichts geschehen, die EU hat noch niemanden auf die Liste gesetzt. Österreich wird derweil in internationalen Zeitungen als einer jener Staaten genannt, in denen Janukowitsch-Vertraute den größten Teil ihres mutmaßlich mittels Korruption erwirtschafteten Vermögens auf Bankkonten geparkt haben sollen. Die unangenehme Situation kristallisiert sich in einer heiklen Frage: Soll Österreich einen Alleingang wagen und ohne Konsens in der EU tätig werden? Die Besprechung vor dem KFOR-Camp dauert nicht mehr als zehn Minuten.
Will dieser Mann vielleicht gar Politik machen?
Tags darauf geht das Außenministerium mit einer Meldung an die Öffentlichkeit: Österreich wird bei den Sanktionen als einziges EU-Mitglied gemeinsam mit der Schweiz vorpreschen. Eine Liste von 18 Personen, darunter Viktor Janukowitsch, wird veröffentlicht, für die Betroffenen gilt ab sofort ein Einreiseverbot, ihre Konten werden eingefroren. Kurz hat damit eine für österreichische Verhältnisse ziemlich mutige Entscheidung getroffen. Unter seinen Amtsvorgängern galt: Österreich wartet ab, bis beziehungsweise: ob die EU sich einigt, und zieht dann mit.
Kurz hat offenbar nicht vor, seinen Job aus Angst vor Fehlern als sprichwörtliches Kaninchen vor der Schlange auszuüben, obwohl es gerade in seiner Funktion als Außenminister kaum auffiele, wenn er Entscheidungsschwäche als diplomatisches Vorgehen kaschierte. Will dieser Mann vielleicht gar Politik machen?
Kurz soll die ÖVP retten
Sebastian Kurz war mit 24 Jahren das jüngste Regierungsmitglied der österreichischen Geschichte. Jetzt ist er 27 und gilt als Wunderwaffe bei der Rettung seiner zuletzt arg gebeutelten Partei. Nicht nur politische Beobachter schwärmen über den Nachwuchs. Im sogenannten Vertrauensindex des Meinungsforschungsinstituts OGM rangiert Kurz gleich hinter dem Bundespräsidenten und der Nationalratspräsidentin weit vor dem Bundeskanzler und ein politisches Lichtjahr vor ÖVP-Chef Michael Spindelegger. Laut aktueller profil-Umfrage wäre Kurz auch der beste Mann für die Parteispitze. Auf die Frage, wer die Volkspartei in Zukunft führen soll, antworten 23 Prozent der Österreicher mit Sebastian Kurz. Nur 16 Prozent halten den amtierenden Boss für geeigneter.
Idealvorstellung
Offenbar erfüllt der junge Mann aus Wien-Meidling die Idealvorstellung von einem konservativen und trotzdem modernen Politiker. Er wirkt unverbraucht und dennoch ernsthaft. Seine Sätze klingen nicht nach Funktionärssprache, telegen ist er auch. Wann immer nach Positivbeispielen für die Regierungsarbeit gefahndet wird, fällt der Suchscheinwerfer auf Kurz. Deshalb scheint derzeit kein Szenario zu tollkühn, um mit dem Jungstar durchgespielt zu werden. Parteichef, Vizekanzler, Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl und am Ende, wer weiß, vielleicht sogar Bundeskanzler?
Dazwischen liegt allerdings noch die Realität. Weiß man etwa, wo Sebastian Kurz in brisanten politischen Debatten steht? Falls er von der ÖVP-Linie abweichen sollte wird er den Mut aufbringen, das auch durchzufechten? Kann er seine Partei aus ihrem strategischen Fiasko herausführen? Ist Kurz nur ein sympathischer Sachpolitiker, oder taugt er auch als Identifikationsfigur einer Volkspartei? Eine weitere Frage kann sich jeder selbst stellen: Würde ich wegen Sebastian Kurz die ÖVP wählen?
Der Wiener Minoritenplatz am Montag vergangener Woche gegen 22 Uhr. Im Außenministerium brennt kaum noch ein Licht, das Tor ist geschlossen, der Portier hat um diese Zeit erkennbar nicht mehr mit Besuch gerechnet. Im ersten Stock rund um das Ministerbüro herrscht noch Betrieb. Sebastian Kurz hat an diesem Tag eine Rede vor dem Europarat in Straßburg gehalten und kommt direkt vom Flughafen. Er weiß, dass die Nacht kurz sein wird: Am nächsten Morgen um 7.45 Uhr will ein Kamerateam des italienischen Staatssenders Rai Uno den jüngsten Außenminister der EU abfilmen. Der Minister wirkt nicht müde. Er erzählt von seiner Arbeit sehr darauf bedacht, nur ja keinen dieser verunglückten Sprüche zu liefern, die einem Politiker jahrelang nachhängen können.
Die ÖVP erlebe derzeit eine schwierige Phase
Das klingt ungefähr so: Die Tätigkeit als Außenminister sei intensiv und fordernd, aber auch sehr befriedigend. Die ÖVP erlebe derzeit eine schwierige Phase, werde sich aber wieder erholen. Als Wunderwaffe der Partei sehe er sich keineswegs. Bei der ÖVP gibt es sehr viele junge, talentierte Leute, die vielleicht noch nicht die mediale Aufmerksamkeit haben, aber einen sehr guten Job machen. Parteiobmann Michael Spindelegger habe ihn stets unterstützt, und umgekehrt gelte dasselbe. Seine Aufgabe ist alles andere als einfach. Die ÖVP kann es einem Bundesparteiobmann oft sehr schwer machen. Ich bin froh, dass er es macht und alles erträgt, was man da aushalten muss.
Damit ist Kurz der heiklen Frage nach seiner weiteren Karriere vorerst einmal ausgewichen. Es kursiert das Gerücht, Spindelegger wolle seinen Jungstar demnächst mit der Parteiführung betrauen, um selbst mehr Zeit für das Finanzministerium und die Regierungsarbeit zu haben. Auf Nachfragen reagiert Kurz kühl: Das ist überhaupt kein Thema. Ich fühle mich absolut ausgelastet und würde das nicht machen.
Klassenprimus
So perfekt ist das Auftreten, dass es mitunter streberhaft wirkt als trete der Klassenprimus, angepaukt bis unter den Scheitel, zur Maturaprüfung an. Doch es herrscht kein Zweifel, dass Kurz die wesentlichen Kulturtechniken seiner Branche besser beherrscht als die meisten Kollegen selbst nach jahrzehntelanger Übung. Seine Sätze verlieren sich nicht im grammatikalischen Niemandsland. Er vergisst nicht, worauf er eigentlich hinauswollte. Freundlich schafft er es dennoch, bei Bedarf einen Hauch von Aggression aufblitzen zu lassen. Kurz kann den Menschen das Gefühl geben, dass es lohnender ist, mit ihm zu arbeiten als gegen ihn. In der Politik ist das schon sehr viel.
Der macht seinen Weg
Josef Kalina, einst Kommunikationschef der SPÖ und Pressesprecher von Altkanzler Alfred Gusenbauer, prophezeit Kurz eine große Zukunft: Der macht seinen Weg, davon bin ich überzeugt. Die Frage wird nur sein, bei welchem Kassastand man ihm die Konkursmasse der ÖVP übergibt. Beate Meinl-Reisinger, Wien-Chefin der NEOS und früher für die ÖVP tätig, hält viel vom einstigen Parteifreund. Er hat eigene Ansichten und artikuliert sie. Ich finde auch, dass er als Integrationsstaatssekretär wirklich gute Arbeit geleistet hat. Mit ihm könne man über Parteigrenzen hinweg immer reden, sagt Meinl-Reisinger.
Sorge, dass er verheizt wird
Erhard Busek, ÖVP-Chef in den 1990er-Jahren, sorgte vor Kurzem für Aufsehen, weil er zugegeben hatte, bei der jüngsten Nationalratswahl nicht die eigene Partei, sondern die NEOS gewählt zu haben. Könnte ein Parteiobmann Sebastian Kurz ihn zurückholen? Ja, wenn er sich weiter gut entwickelt, sagt Busek: Meine Sorge ist nur, dass er verheizt wird. Im Moment soll er überall dabei sein. Ein wenig Zurückhaltung täte ihm gut.
Große Berater-Dichte
Busek gehört zum großen Kreis zumeist deutlich älterer Berater, die Kurz regelmäßig kontaktiert. Bevor er Außenminister wurde, hat er quer durch Österreich angefragt, ob das in seinem Alter geht, erzählt Busek: Ich habe ihm abgeraten, aber der Druck war dann wohl zu groß. Am Karfreitag erweiterte der Minister seine Consulting-Runde um so unterschiedliche Größen wie Ex-Botschafter Albert Rohan, Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und Museumsdirektorin Danielle Spera. Die große Berater-Dichte hat einen angenehmen Nebeneffekt: Wer einmal vom Herrn Minister um Input gebeten wurde, wird ihm später eher nicht in den Rücken fallen.
Kurz geht seine Karriereplanung durchaus strategisch an. In drei Jahren Bundespolitik unterlief ihm kein grober Fehler. Weder gab es peinliche Homestorys, noch Interviews mit privaten Bekenntnissen oder gar ideologische Fauxpas. Die meisten langjährigen ÖVP-Streitthemen umschiffte er so penibel, dass ihn keine Seite als Gegner sehen muss. Wie das geht, zeigt etwa die Debatte um die Homoehe. Ende Februar verschickte Kurz eine Aussendung, die an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig ließ: Die zunehmende Diskriminierung und sogar Kriminalisierung von homosexuellen, bisexuellen, trans- oder intersexuellen Personen in einigen Staaten bereitet mir große Sorgen, hieß es da. Als Beispiele nannte der Minister Nigeria, Uganda und Russland. Das brachte ihm einen begeisterten Kommentar im Kurier ein und entledigte ihn der Notwendigkeit, zum Tauziehen in der eigenen Partei Stellung zu nehmen.
Auf Anfrage sagt Kurz nun, er halte es für irrelevant, an welchem Ort eine Verpartnerung stattfinde. Für mich wäre es absolut legitim, das am Standesamt zu machen. Aber ich glaube, dass wir in Österreich auch noch andere Themen haben.
Aus den beschränkten Möglichkeiten eines Staatssekretärs holte Kurz das Maximum heraus auch für das eigene Standing. Zum undankbaren Asylbereich äußerte er sich gar nicht; dafür sei die Innenministerin zuständig, erklärte er gerne. Kurz initiierte lieber das Dialogforum Islam, war federführend am neuen Staatsbürgerschaftsgesetz beteiligt und setzte Maßnahmen zur Sprachförderung bei Kleinkindern. Sein Hauptverdienst war der neue Ton, den er in die Debatte brachte. Die Materie Ausländer kann nun, wenigstens gelegentlich, auch in positivem Kontext diskutiert werden.
Sein Amt als Außenminister legte Kurz ähnlich an wie jenes des Integrationsstaatssekretärs. Er suchte sich ein gutes Team, redete mit vielen Leuten und vertraute auf seine Stärken: Kommunikation, Fleiß, Menschenkenntnis. Wie das konkret aussieht, kann zum Beispiel der designierte serbische Premier Aleksandar Vucic erläutern oder jedes beliebige Mitglied der serbischen Regierung. Sie sind nämlich allesamt Fans des österreichischen Außenministers, seit Kurz im Januar dieses Jahres extra nach Brüssel gereist war, um dem offiziellen Start der EU-Beitrittsgespräche mit Serbien beizuwohnen. Kurz ist seitdem Duz-Freund von Vucic. Kleine Querelen wegen der Gedenkfeiern zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges können die serbisch-österreichische Harmonie nicht stören.
Dabei begannen nur wenige Karrieren in der Bundespolitik unter derart schlechten Vorzeichen wie jene von Sebastian Kurz. Als Michael Spindelegger im Frühling 2011 den damals 24-Jährigen zum Staatssekretär im Innenministerium machte, gab es Spott und Hohn. In den Medien wurde die Personalie als Zumutung, Marketinggag und Verarschung bezeichnet. Eine Facebook-Gruppe mit dem Titel Ich mach den Integrationsstaatssekretär bei Humboldt versammelte innerhalb weniger Tage 5000 Mitglieder. Die ersten Meinungsumfragen zur Person fielen so deprimierend aus, dass Kurz Mitarbeiter nach Kräften versuchten, sie vor ihrem Chef zu verheimlichen.
Schwarz macht geil
Gegen das neue Regierungsmitglied sprach damals nicht nur dessen jugendliches Alter. Sebastian Kurz hatte als Chef der jungen ÖVP auch eine besonders peinliche Kampagne im Wiener Landtagswahlkampf 2010 zu verantworten. Unter dem Slogan Schwarz macht geil war er mit einem Geländefahrzeug der Marke Hummer (genannt Geil-o-mobil) durch die Stadt getourt, um Stimmung für die angeblich coole ÖVP zu machen. Das ist üblicherweise nicht der Auftakt zu großen Politikerlaufbahnen. Der Aktionismus half erwartungsgemäß auch nicht: Die Volkspartei fuhr bei der Wien-Wahl eine vernichtende Niederlage ein.
Rückblickend betrachtet war dieser schlechte Start vielleicht sogar ein Segen, meint Kommunikationsberater Josef Kalina. Kurz hatte das Riesenglück, dass er bei seinem Einstieg als Staatssekretär als unbedarfter Dummkopf dargestellt wurde. Er konnte nur positiv überraschen. Etwas dezenter wiederholte sich die Geschichte bei Kurz Ernennung zum Außenminister. Wieder wurde geunkt, ein so junger, unerfahrener Mann könne in der Welt der Diplomatie eigentlich nur scheitern. Wieder blieb die Blamage aus.
Publikumsliebling
Mittlerweile hat Kurz das gegenteilige Problem. Jetzt ist er der Publikumsliebling, im Ernstfall könnte er schon ziemlich tief fallen. Der Letzte, dem das passierte, hieß Karl-Heinz Grasser. Auch er war jung, fesch und so redegewandt, dass man ihn kaum unterbrechen konnte. Auch er galt als Kandidat für höchste Weihen, bevor er ins Bodenlose stürzte. Kurz wird spürbar unrund, wenn er den Namen Grasser hört. Ich hätte mich nie mit ihm verglichen und kenne auch niemanden, der das tut. Dann zählt er auf, was ihn vom einstigen Finanzminister unterscheide: die Herkunft, die politische Prägung, die Lebensweise, die ersten Karriereschritte. Eigentlich sei bei ihm alles anders, findet Kurz. Er stammt aus einer Mittelschichtfamilie, habe sich schon als Schüler der Jungen VP angeschlossen, leiste sich keinen Luxus und lebe nach wie vor in einer Meidlinger 60-Quadratmeter-Wohnung.
Man kann nicht immer gewinnen
Als es Abend wird in Pristina, schlendert Sebastian Kurz mit seiner Entourage durch ein von Roma bewohntes Armenviertel. Eben hat er ein Schulprojekt besucht, das von der österreichischen Entwicklungsagentur ADA unterstützt wird. An einer Straßenecke steht eine Gruppe von Männern. Kurz stellt sich vor, beginnt ein Gespräch, das rasch in eine Debatte mündet. Ob sie Arbeit hätten, fragt der Minister. Keine Chance, antworten die Männer, tagsüber sammeln sie im Stadtzentrum Plastikflaschen, die sie verkaufen. Andere Jobs gebe es für sie nicht. Ob sie zufrieden seien mit dem Schulprojekt? Jaja, aber das reiche nicht. Europa solle endlich aufhören, ihre Verwandten abzuschieben, die nach Österreich und in andere EU-Länder eingewandert seien, verlangen die Männer. Na ja, sagt Kurz, Armut sei eben kein Asylgrund. Kann sein, antworten die Männer, aber von dem Geld, das unsere Leute nach Hause schicken, leben wir alle hier! Wie zum Beweis hat sich eine erstaunliche Menschenmenge um Kurz und seine Diskutanten versammelt, die dem Roma-Wortführer zustimmt. Kurz verabschiedet sich höflich.
Man kann nicht immer gewinnen.
Foto: Philipp Horak für profil