Babler an Gusenbauer: „Moralisch nicht in Ordnung“
SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler will Compliance-Regeln für rote Abgeordnete und kritisiert Alfred Gusenbauers Funktion im Benko-Reich. 1400 Experten sollen der SPÖ helfen, das Wahl-Match gegen Herbert Kickl zu gewinnen.
Das Match liegt vor uns. Die SPÖ ist die einzige Kraft, die einen Kanzler Kickl verhindern kann – wenn sie stark ist. Das Problem der SPÖ war, dass wir viele Jahre eines von vielen Angeboten waren. Wir müssen ein echtes Gegenmodell bieten.
Aus welchen drei Gründen sollte jemand Babler und nicht Kickl wählen?
Andreas Babler
Wer will, dass man Arzttermine bekommt, muss Babler wählen. Wer will, dass in Schulen genug und gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen da sind, muss SPÖ wählen. Wer will, dass arbeitende Menschen und Pensionisten mit Respekt behandelt werden, findet bei der SPÖ die eindeutige Antwort.
Der FPÖ-Slogan lautet: Unser Geld für unsere Leute. Sie sagen: Politik für unsere Leute. Wo ist der Unterschied?
Andreas Babler
In der Programmatik und in der Frage des Respekts. Die FPÖ-Wirtschaft stellte sich etwa gegen die berechtigten Lohnforderungen der Metaller. Die FPÖ will nicht, dass Menschen respektvoll behandelt werden und gerechte Löhne bekommen.
Wen meinen Sie mit „unsere Leute“ – und wen nicht?
Andreas Babler
Unsere Leute sind alle, die etwas beitragen – von Kindern, die unsere Zukunft sind, bis Pensionisten und Pensionistinnen, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Wer sich in Regierungsbüros Politik bestellt, zählt nicht zu unseren Leuten. Wie wir aus Chats wissen, wurde für Reiche wie René Benko enormer Aufwand getrieben, gerüchteweise Bezirksgerichte extra aufgesperrt, die ÖVP hat Steuermillionen an Benko verschenkt.
Hinter Ihnen hängt das Bild Ihres Vorgängers Alfred Gusenbauer, er ist jetzt im Benko-Reich als Signa-Beirat und als Signa-Prime-Aufsichtsrat.
Andreas Babler
Ich finde das moralisch nicht in Ordnung.
Gusenbauer ist mit „unsere Leute“ nicht gemeint?
Andreas Babler
Nein, er ist nicht gemeint.
Waren deshalb Ihre Vorgänger nicht zum Parteitag eingeladen?
Andreas Babler
Sie waren natürlich eingeladen. Das Wesentliche ist: Mit „unsere Leute“ sind 98 Prozent der Bevölkerung gemeint, auch kleine und mittlere Unternehmen, Würstelstandbesitzer, die Monat für Monat brav Steuern zahlen. Während manche internationale Konzerne lächerliche 2880 Euro Steuern pro Jahr zahlen.
Ihrem Vorbild Bruno Kreisky wird das Zitat zugeschrieben: Die SPÖ muss sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und sicherheitspolitisch rechts sein. Gilt das?
Andreas Babler
Mich beeindruckt ein anderer Kernsatz von Kreisky: Politik muss Verbesserung der Bedingungen für die vielen darstellen. Da gehört Wirtschafts- und Standortpolitik dazu. Daher wollen wir Unternehmen mit Energiepreisdeckeln absichern und wie Spanien in Preise eingreifen, weil die Energiekosten nicht leicht zu stemmen sind, besonders jetzt in der Rezession nicht. Die Energiepreise sind in Österreich höher, weil die Regierung nicht eingegriffen hat.
Es ist unmoralisch, die Frage nach der Finanzierung immer nur bei Gesundheit, Pflege, Schulen, Kindergärten, Pensionen zu stellen.
Andreas Babler
Manche in der SPÖ vermissen rote Wirtschaftspolitik, etwa der Linzer Bürgermeister Klaus Luger.
Andreas Babler
Unser wirtschaftspolitisches Programm ist dicht und kombiniert Wirtschaft mit Ökologie: De-Carbonisierung macht energieautarker – und ist moderne Standortpolitik.
Sie weisen die Frage nach Finanzierbarkeit Ihrer Forderungen als „unmoralisch“ zurück. Aber eine Partei muss doch erklären, wie sie ihre Pläne finanziert.
Andreas Babler
Es ist unmoralisch, die Frage nach der Finanzierung immer nur bei Gesundheit, Pflege, Schulen, Kindergärten, Pensionen zu stellen. Bei anderen Themen wird sie nie gestellt: Nie bei der Senkung der Körperschaftssteuer, wo insgesamt sieben Milliarden Euro verschenkt wurden. Nie bei den 20 Milliarden Euro an Cofag-Förderung, die der Rechnungshof kritisierte, weil Betriebe überfördert wurden.
Von Anna Thalhammer,
Eva Linsinger und
Philip Dulle
Wie viel würden die am Parteitag beschlossenen Forderungen kosten?
Andreas Babler
Das ist kein Wahlprogramm, das sind Grundsatzbeschlüsse. Aber ein Beispiel: Das warme Essen, mit dem wir garantieren, dass kein Kind hungrig in der Schule oder im Kindergarten sitzt, würde 900 Millionen Euro kosten. Das entspricht einem Prozentpunkt KöSt-Senkung. Ansonsten muss man im Budget umschichten, dann sind alle unsere Forderungen realisierbar.
Wo würden Sie sparen?
Andreas Babler
In einer Neuorganisation der Verwaltung. Und große Summen sind in der Gewinnbesteuerung zu holen. Die KöSt soll wieder steigen, das bringt pro Prozentpunkt Steigerung fast zwei Milliarden Euro.
Sie können leidenschaftliche Reden halten. Aber Sie übertreiben doch, wenn Sie Österreich knapp vor der Verelendung darstellen.
Andreas Babler
In Parteitagsreden wird natürlich zugespitzt. Aber die Inhalte stimmen: Man muss lange auf Arzttermine warten, es gibt zu wenig Pädagoginnen. Wir waren alle einmal stolz auf das Gesundheits- und Bildungssystem. Beide haben sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Wir wollen Alternativen aufzeigen, wie es besser geht.
Kreisky schlugen bei der Arbeitszeitverkürzung in den 1970er-Jahren dieselben Argumente entgegen wie mir heute.
Andreas Babler
Ein Ziel ist die 32-Stunden-Woche. Selbst manche Genossen fürchten, dass das für Kleinunternehmen nicht leistbar ist.
Andreas Babler
Wenn das stimmen würde, würden wir alle noch 60 Stunden pro Woche arbeiten und nur zwei Wochen Urlaub haben. Kreisky schlugen bei der Arbeitszeitverkürzung in den 1970er-Jahren dieselben Argumente entgegen, auch damals warnten manche in der Partei und die Industriellenvereinigung, die Wirtschaft werde kollabieren. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arbeitsproduktivität verdoppelt, das bedeutet mehr Arbeitsdruck. Jeder Dritte geht aus einem längeren Krankenstand in Pension. Den gestiegenen Druck müssen wir mit Arbeitszeitverkürzung kompensieren. Daher starten wir mit wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekten. Um zu beweisen, dass es geht.
Sie wollen kleine und mittlere Einkommen entlasten. Wie stark sollen die Steuertarifstufen sinken?
Andreas Babler
Wir arbeiten an einem konkreten Modell. Ein Absenken des Eingangssteuersatzes um fünf Prozentpunkte würde beispielsweise zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten. Die Millionärsbesteuerung würde sechs Milliarden Euro bringen. Einen Teil davon wollen wir dafür einsetzen, die Steuern auf Arbeit zu senken.
Gleichzeitig wollen Sie Spitzeneinkommen höher besteuern. Der Spitzensteuersatz liegt bei 55 Prozent, wie hoch soll der steigen?
Andreas Babler
Auch da arbeiten wir an einem konkreten Modell. Wir haben jetzt ein Parteiprogramm beschlossen, das Wahlprogramm wird folgen.
Kommen wir zur Außenpolitik. Ihr Vorbild Bruno Kreisky verhandelte mit Palästinenser-Präsident Jassir Arafat. Haben Sie noch einen Palästinenserschal?
Andreas Babler
Boah, das weiß ich nicht. Ich trage den Schal jedenfalls nicht mehr.
Hat die SPÖ ein Problem, eine klare Linie zwischen Solidarität mit Palästinensern und Verurteilung des Hamas-Terrors zu finden?
Andreas Babler
Wir haben eine umfassende Position zum Konflikt zwischen der Hamas und Israel abgegeben. Dabei geht es auch um die Perspektive einer Zweistaatenlösung mit einem demokratischen Israel und einem demokratischen Palästina. Hamas oder Hisbollah können dabei keine Verhandlungspartner sein.
Würden Sie die Israel-Flagge am Bundeskanzleramt hissen?
Andreas Babler
Ja, sicherlich.
Soll es im Wahlkampf ein rotes Schattenkabinett geben?
Andreas Babler
Wir setzen nach dem Vorbild von Bruno Kreisky auf einen Expertenrat, und gehen in Richtung 1400 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Außenpolitik, Sozialpolitik, Kunst, Kultur oder Medienpolitik. Dabei beschränken wir uns bewusst nicht nur auf Menschen aus der Sozialdemokratie.
Ist das nötig, weil die SPÖ am Boden liegt und Serienwahlniederlagen einfuhr?
Andreas Babler
Diese Serie zu beenden, das war ein Hauptgrund meiner Kandidatur. Auch in den Monaten rund um die Mitgliederbefragung haben wir kein gutes Bild abgegeben. Man muss jetzt wieder die Leidenschaft in der SPÖ wecken. Das tun wir Tag für Tag und legen in Umfragen zu.
Auch in der Parteikasse kriselt es. Die SPÖ kommt später als erhofft aus den roten Zahlen. Können Sie sich einen Wahlkampf leisten?
Andreas Babler
Wir sind aus einer schwierigen Situation rapide herauskommen und haben nun ein niedriges Schuldenniveau. Die Verzögerung ist der teuren Mitgliederbefragung und dem vorgezogenen Parteitag geschuldet. Letzterer war mein Wunsch. Wie man sieht, war das eine gute Idee, er hat uns schnell wieder aufgerichtet.
Kostete die Schnitzelsemmel am Parteitag aus Spargründen 7,50 Euro?
Andreas Babler
Ich weiß nicht, wer die Preise in der Messehalle Graz gestaltet hat, da müssen Sie die Stadt Graz, die Messebetreiber oder die kommunistische Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr fragen.
Gibt es nächstes Jahr noch einen Parteitag, um Sie zum Spitzenkandidaten zu küren?
Andreas Babler
Ich wurde in Linz zum Spitzenkandidaten gewählt, die Nationalratsliste wird bei einem Parteirat bestätigt, einem Beschlussgremium zwischen Vorstand und Parteitag.
Sie haben den Umgang der SPÖ Wien mit der Schrebergartenaffäre um gewinnbringend verkaufte Kleingartenanlagen kritisiert. Es gab aber keine Konsequenzen.
Andreas Babler
Es war ungewöhnlich, dass ich als Bundesparteivorsitzender so deutlich Stellung beziehe, obwohl ich nicht bestimmen kann, wer in einem Bezirksparlament welche Funktion innehat. Die SPÖ Wien lässt nun Compliance-Regeln ausarbeiten. Ich halte das für einen guten Schritt.
Ich kann nur garantieren, dass wir im Bund Compliance-Regeln für die Nationalratswahl haben werden. Damit sind wir die erste Partei in der Republik.
Ernst Nevrivy, um den sich die Schrebergartenaffäre dreht, könnte nicht kandidieren?
Andreas Babler
Unsere Compliance-Regeln werden wir erst entwickeln. Aber dieser moralische Anspruch an unsere Politik unterscheidet uns stark von der FPÖ: Von der Buwog über Ibiza bis zu den Lebensversicherungen sieht die FPÖ Politik immer als Mittel zur Selbstbereicherung. Da sind wir ganz anders.
Sie wettern gegen Reiche und fordern Verbote von Privatfliegern und höhere Zölle auf Luxusgüter. Sollen Reiche die Klimakrise lösen?
Andreas Babler
In einer solidarischen Gesellschaft müssen Superreiche einen Beitrag leisten. Und die zehn Prozent der Superreichsten verantworten 50 Prozent der weltweiten -Emissionen. Der ökologische Fußabdruck ist bei einem Privatjet 14 Mal höher als bei einem Linienflug. Jeder kann auch Linie fliegen.
In einem Parteitagsantrag heißt es, „die Menschen wünschen sich in einer Wohnstraße weniger Emissionen, weniger Geschwindigkeit, weniger Lärm“. Warum traut sich die SPÖ dann keine Temporeduktion zu fordern?
Andreas Babler
Die Diskussion wird von der Regierung in eine falsche Richtung gelenkt. Es gibt keine Zielbestimmung in der Klimapolitik und seit über 1000 Tagen kein Klimaschutzgesetz. Wir als SPÖ wollen ein Recht auf einen intakten Planeten. Mit einer Fingerzeig-Mentalität kommt man nicht weiter. Ein gesetzliches Tempo 100 war daher nie eine Forderung von mir. Auch wenn ich Tempo 100 für richtig halte. Dafür müssen wir zuerst das Bewusstsein verbreitern, damit der Wunsch nach Temporeduktionen nicht nach der eigenen Wohnstraße endet.
Was wurde aus Ihrer Forderung nach einem Gratis-Öffi-Ticket?
Andreas Babler
Ich bin seit Juni Parteichef, 27 meiner 30 Punkte aus der Vorwahlkampagne wurden zur Parteilinie. Das Gratis-Öffi-Ticket ist einer der drei Punkte, die sich noch nicht durchsetzten.
Es gibt gefälschte Fotos über Ihren vermeintlichen Urlaub im Luxushotel unter Palmen. Haben Sie deshalb gegen Kommentare gewettert, fühlen Sie sich von Medien ungerecht behandelt?
Andreas Babler
Nein. Ich halte Kampagnen wie jene über meinen Urlaub für eine Schmutzkübel-Aktion, aber ich fühle ich mich nicht ungerecht behandelt. Meine Kritik am Parteitag richtete sich gegen Analystinnen und Analysten, die ein falsches Bild unserer Partei zeichneten, nicht gegen Journalistinnen und Journalisten. Kritische Medien haben eine wichtige Funktion.
Sie begaben sich dennoch in die Opferrolle. Ist das Teil einer Inszenierung als „Underdog“ Babler?
Andreas Babler
Man muss schauen, dass man auch die Motivation bei den Funktionärinnen und Funktionären hebt. Wenn die SPÖ falsch dargestellt wird, muss man das bei den eigenen Leuten richtigstellen.
Bleiben Sie Bürgermeister von Traiskirchen?
Andreas Babler
Das wird sich ausgehen. Wir haben ein gutes Zeitmanagement – und ich habe weniger Mandate als manch anderer Abgeordneter oder der Wirtschaftskammerpräsident.
Was machen Sie, wenn Sie nicht Erster werden, treten Sie zurück?
Andreas Babler
Dann würde ich mit profil ein Interview führen und die Lage bewerten. Aber ich gehe davon aus, dass wir das Match gewinnen.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.