Bad Ischl: Hoheitsgebiet
Bad Ischl wird im Jahr 2024 europäische Kulturhauptstadt. Der oberösterreichische Kurort setzte sich gegen St. Pölten und Dornbirn durch. Dieser Text von Otmar Lahodynsky stammt aus dem profil-Themenheft 1/2016 zu "Franz Joseph I.".
Der alte Kaiser ist in seinem Lieblingsort, in dem er über 70 Sommerurlaube verbrachte, noch immer allgegenwärtig. Meist kitschige Bilder mit seinem Konterfei und jenem seiner Gemahlin Sisi zieren viele Auslagen von Bad Ischl. Es gibt eine „Kaiser-Franz-Joseph-Straße“ und ein Denkmal des Monarchen als Jäger. Der „ehemalige k. u. k. Hofzuckerbäcker Zauner“ bietet neben dem berühmten Stollen historisches Flair mit Kronleuchtern und Ölgemälden des Kaiserpaares. Im Winter lockt ein „Kaisereis“ genannter Eislaufplatz Besucher an. Im August wird hier alljährlich der Geburtstag des Monarchen mehrere Tage lang gefeiert. Truppen-Abordnungen aus vielen Kronländern der Monarchie marschieren dann in Original-Uniformen auf. Nach der „Kaisermesse“ ziehen sie zur Freude der Touristen und Einheimischen durchs Zentrum der Kurstadt, in der zu dieser Zeit kein Bett mehr frei ist.
Die Frage, wie die Stadt und ihre knapp 14.000 Einwohner mit dem imperialen Erbe umgehen, beantwortet der Ischler Bürgermeister Hannes Heide pfiffig: „Ich sage immer: Ohne Bad Ischl hätte es den Kaiser nicht gegeben.“ Der SPÖ-Politiker – seit Jahrzehnten haben die Sozialdemokraten in der kaiserlichen Sommerfrische die Mehrheit – spielt auf die wundersame Heilung der bis dahin kinderlos gebliebenen Mutter des Kaisers, Erzherzogin Sophie, an. Nach einer Solebad-Kur gebar sie in der Folge drei Söhne, die „Salzprinzen“ genannt wurden. Franz Joseph kam 1830 als Erster zur Welt.
Umgekehrt sollte auch der Kurort dem späteren Kaiser viel verdanken. Aus Wien folgten hohe Beamte, Künstler und Schriftsteller dem Monarchen jeden Sommer ins Salzkammergut. Handwerker verdienten an zahlreichen neuen Villen. Bauern verdingten sich als „Sesselträger“ und brachten betuchte Adelige zur Jagd oder zu Aussichtsplätzen in die Berge.
Einheimische, die 1848 mit den Revolutionären sympathisiert hatten, wurden aus Ischl verbannt oder – wie der Bauerndichter Konrad Deubler aus Bad Goisern – schon wegen des „Besitzes antireligiöser Schriften“ zu zwei Jahren Kerker verurteilt.
Nach dem Ende der Monarchie stieg Bad Ischl jäh vom Weltkurort zu einem Provinznest ab. Soldatenräte vertrieben 1918 die mit falschem Pass nach Ischl eingereiste Kaisertochter Marie Valerie samt Gefolge. In der Ersten Republik entwickelte sich der Ort erst langsam wieder zu einem viel besuchten Kurort. Der in Ischl wohnende Operetten-Komponist Franz Lehár trug viel zum Aufschwung bei. Wegen der zahlreichen jüdischen Gäste wurde der Ort von illegalen Nazis als „Bad Ischeles“ verspottet. Jüdische Stammgäste, die nach 1938 nur getrennt von „arischen“ Besuchern untergebracht wurden, durften auf polizeiliche Anordnung nicht mehr auf der Traun-Esplanade promenieren. Lehárs bester Librettist, Fritz Löhner-Beda („Land des Lächelns“, „Giuditta“) wurde mit seiner gesamten Familie im KZ ermordet. Hitlers Lieblingskomponist unternahm wenig für dessen Rettung.
Nach 1945 waren die in Ischl untergebrachten „Displaced persons“ bei den Einheimischen äußerst unbeliebt, auch die ersten Sommerfrischler sah man nicht gern. Es kam zu einem von der lokalen KPÖ angezettelten „Milch-Aufstand“ der Bewohner, die lautstark gegen die angeblich zu großzügige Lebensmittel- und Milchzuteilung an Ortsfremde und Urlauber protestierten. Nur mit Mühe konnten die US-Verwalter die Ordnung wiederherstellen.
„Du net, Kaiserbua! Du gehst zu Fuß“
Der alte Kaiser wurde bei vielen Einheimischen erst durch die „Sissi“-Filme in den späten 1950er-Jahren wieder populär. Doch nicht bei allen: Eingefleischte Sozialdemokraten wollten von einer Habsburg-Nostalgie samt der damals diskutierten Aufhebung des Einreiseverbots für Kaisersohn Otto nichts wissen. Ein Habsburg-Nachfahre, Johann Salvator Habsburg-Lothringen, erzählt anschaulich, wie ihn in den späten 1950er-Jahren ein Postbus-Chauffeur nicht zur Schule mitnehmen wollte. „Du net, Kaiserbua! Du gehst zu Fuß“, herrschte ihn dieser an.
Bad Ischl blieb wegen des lokalen Salzbergbaus, der heute nicht mehr unter Tag erfolgt, einer inzwischen geschlossenen Schuhfabrik und mehreren Baufirmen eine SPÖ-Hochburg. Beim jährlichen Kaisergeburtstag am 18. August wichen die roten Bürgermeister den Feierlichkeiten des Hochadels aus. „Bis weit in die 1970er-Jahre wäre es undenkbar gewesen, dass ein Ischler Bürgermeister an der Kaisermesse teilnimmt“, sagt Bürgermeister Heide, der heute keine Berührungsängste zu Habsburgern hat – auch nicht zum kaiserlichen Urenkel Markus Habsburg-Lothringen, den Besitzer der Kaiservilla, die jährlich mehr als 60.000 Touristen besuchen. Der „Herr Magister“, wie ihn viele Ischler anreden, will nicht als „Kaiserliche Hoheit“ angesprochen werden, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Im Gespräch mit profil beklagt der Urenkel von Kaiser Franz Joseph das lange Verschweigen der kaiserlichen Wurzeln der Stadt. „Nach 1945 wollte Bad Ischl lange nicht Kaiserstadt sein. Heute geht es nicht mehr anders.“ Er muss die historische Villa, welche die Eltern von Franz Joseph als Reverenz vor ihrer Schwiegertochter Elisabeth in E-Form bauen ließen, und den riesigen Park alleine erhalten. Zuschüsse des Denkmalamts hielten sich in Grenzen, der geplante Ausbau eines Hotels in einem Trakt wurde durch diverse Auflagen verwehrt. Das Land Oberösterreich beteiligte sich immerhin an der Renovierung des kleinen „Marmorschlössls“, Sisis Lieblingsplatz, wo heute ein Fotografiemuseum untergebracht ist. Bei der Landesausstellung „Des Kaisers neue Gärten“ wurden im Vorjahr die Sattelkammern für einen Caféhaus-Betrieb adaptiert. Die Parkanlage zählt zu den schönsten Österreichs.
Markus Habsburg-Lothringen übt an der Verwendung der Budgetmittel der Stadt Kritik. Erst im letzten Moment sei der Verfall der alten Trinkhalle gestoppt worden. Dafür gab es jahrelang viel Geld für den Seilbahnbetrieb auf den Hausberg Katrin. „Die defizitäre Seilbahn wurde erhalten, aber für die Sanierung der desolaten Lehár-Villa, die der Komponist der Stadt vermacht hat, gibt es noch immer kein Geld“, klagt Habsburg-Lothringen.
Die „Kaiser-Renaissance“ setzte erst Ende der 1970er-Jahre ein, getragen von Privatpersonen und Traditionsvereinen, die im August ein jährliches Kaiserfest veranstalteten. Einer der Hauptbeteiligten ist der Ischler Gastronom Marcus „Kukmax“ Hofbauer. Er hat damals das „k. u. k. Hofbeisl“ aufgesperrt und als einer der Ersten bewusst das imperiale Erbe als „einzigen USP von Ischl“ vermarktet. „Ischl war damals touristisch ziemlich tot, und man schämte sich fast für die Monarchie, weil man modern sein wollte. Aber dann wurde plötzlich die Tracht mit Dirndl und Lederhose wiederentdeckt. Der Kaiser und seine Sisi, in die er sich ja in Ischl verliebt hat, passten da perfekt dazu.“ Musikalisch bildete Hubert von Goisern aus dem südlichen Nachbarort oder die schräge Gruppe Attwenger, benannt nach einem Ischler Weinhaus, eine gute Ergänzung.
Allmählich freundeten sich die Ischler wieder mit dem kaiserlichen Erbe an. Auch die roten Stadtpolitiker zogen mit. Die aus Ischl stammende Drehbuchautorin Regina Aster sieht die plötzliche Wende jedoch kritisch. „Die kommerzielle Ausschlachtung des Kaisers ließ sich hervorragend dafür verwenden, die jüngere Geschichte der Stadt, vor allem in der Nazi-Zeit, endlich wieder auszublenden.“ In ihrer Schulzeit in den 1960er- Jahren spielte der Kaiser nur eine Nebenrolle. „Wirklich präsent war er damals eigentlich nicht, weder in der Stadt noch in der Schule. In die Kaiservilla kam ich nur, weil mich Sommergäste mitgenommen haben. Ich wusste damals auch nicht, dass das Lehár-Kino früher das k. u. k. Hoftheater war.“
Asters Großmutter, die als Kind noch eigenhändig die frische Milch zur Kaiservilla gebracht hatte, erzählte von flüchtigen Begegnungen mit Franz Joseph, der sie an der Tür mit ihrem Namen angesprochen und ein paar Worte mit ihr gewechselt habe. „Was hat Ischl schon ohne Kaiser zu bieten?“, fragt Wolfgang Stadler, Fotograf und Papierhändler. Eine moderne Therme mit Kuranlagen haben inzwischen auch Nachbarorte wie Bad Goisern oder Bad Aussee, aber nur Bad Ischl sei eben die kaiserliche Sommerfrische gewesen. Seltsam sei nur die Vermarktung: Der alte Kaiser werde mit der jungen Sisi präsentiert.
Bad Ischl setzt im Tourismus nun stark auf das historische Erbe. 2016 richtet die Stadt die Weltkonferenz der historischen Städte aus und baut im Verbund der „Great Spas of Europe“ die Kooperation mit 16 Kurorten wie Karlsbad, Baden-Baden, Vichy und Montecatini Terme aus. In Ischl bildet eine Fachschule den Nachwuchs für Tourismusberufe aus. Probleme gibt es durch gestiegene Immobilienpreise. So werden für Eigentumswohnungen bis zu 7000 Euro pro Quadratmeter verlangt.
„Ich glaube, die Ischler haben jetzt ihren Frieden mit der Monarchie gemacht“, meint Bürgermeister Heide. Der Tourismusverband präsentiert die Stadt inzwischen stolz als „Kaiserstadt“. Und da Kaiser Franz Joseph 1914 hier seine Begründung für die Kriegserklärung an Serbien, „An meine Völker“, verfasste, macht auch die jüngste Städtepartnerschaft Sinn: Nach Sisis Lieblingsort Gödöllö (Ungarn) und Opatija (Kroatien) ist seit dem Vorjahr die bosnische Hauptstadt Sarajevo mit Bad Ischl verbunden.