Bananenrepublik Österreich?
Heinz Fischer hat sein Amt beschwingt und ohne Wehmut verlassen. In einer gemeinsamen Festsitzung von National- und Bundesrat nahm das offizielle Österreich vergangenen Freitag Abschied von seinem scheidenden Staatsoberhaupt. Zum Beginn seiner Rede im Historischen Sitzungssaal räsonierte Heinz Fischer darüber, "schon seit Wochen und Monaten neugierig auf den letzten Tag meiner Amtszeit“ gewesen zu sein, an dem man "in der Früh als Bundespräsident aufsteht und den Tag als ehemaliger Bundespräsident beschließt“.
Bis vor Kurzem wäre Fischers Neugier rein privater Natur gewesen. Doch mit der Aufhebung der Bundespräsidenten-Stichwahl durch den Verfassungsgerichtshof haben sich die Dinge geändert. Nun fragt sich ein ganzes Land, wie das so ist, wenn man in der Früh mit einem Bundespräsidenten aufsteht und den Tag ohne ihn beschließt - und auch den nächsten und alle weiteren bis zur voraussichtlichen Angelobung des neuen Bundespräsidenten Ende November oder gar Anfang Dezember.
Jeder im Saal spürte, dass etwas nicht stimmt im Staat.
Trost und Zuversicht spendet der "hochwürdigste Herr Kardinal“ (Fischer über Christoph Schönborn). In seiner Kolumne "Antworten“ im Wiener Gratisblatt "heute“ warnt der Erzbischof vor "einer Schlammschlacht“ bei der Wiederholung der Stichwahl am 2. Oktober. Das Datum stimmt den Kardinal optimistisch: Der Tag sei im Kirchenkalender "das Fest der Schutzengel“. Und Österreich, so Schönborn, braucht "jetzt ganz besonders seine Schutzengel“.
Drei verfassungsmäßige Schutzengel der Republik Österreich traten Freitagmittag ihr Amt an. Sie heißen nicht Leopold, Josef oder Maria, sondern Doris, Karlheinz und Norbert. Seit Fischer Bundespräsident a. D. ist, führen die Nationalratspräsidenten als Kollegium die Geschäfte des Staatsoberhaupts. Für Doris Bures (SPÖ) und Karlheinz Kopf (ÖVP) ist es eine unerwartete Aufgabe, für den Zweite-Chance-Kandidaten Norbert Hofer (FPÖ) überdies ein Trockentraining. Dass Hofer nun ein wenig Bundespräsident simulieren kann, erinnert an den Werbespot, in dem Hannes Reichelt die Kitzbühler Streif im Sommer hinaufläuft: richtige Piste, aber falsche Zeit und falsche Richtung.
Hofer gelobt Zurückhaltung. Er wolle seine neue Funktion im Wahlkampf nicht missbrauchen. Bei Heinz Fischers Abschiedsrede im Historischen Sitzungssaal saß der Dritte Präsident auf dem Podium und klatschte demonstrativ, als der scheidende Präsident "das Projekt der Europäischen Zusammenarbeit“ pries. Von seinem Platz gegenüber mit freier Sicht auf Hofer applaudierte Alexander Van der Bellen, dem eine kluge Parlamentsregie eine Ehrenloge neben Margot Klestil-Löffler und Elisabeth Waldheim, den Witwen der früheren Bundespräsidenten, zugewiesen hatte. Unten im Parkett saß der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhart Holzinger. Hätte der VfGH anders entschieden, wäre im Mittelpunkt der Festsitzung nicht die Verabschiedung von Heinz Fischer, sondern die Angelobung von Alexander Van der Bellen gestanden.
Jeder im Saal spürte, dass etwas nicht stimmt im Staat.
Da für einen Bundespräsidenten im Abgang mahnende Worte angebracht sind, nutzte Fischer seine letzte Rede für eine kleine Prophylaxe. "Stil und Inhalt der bevorstehenden Wahlwerbung“ müssten den "hohen Ansprüchen in puncto Redlichkeit und Fairness“ gerecht werden.
Mittlerweile verbindet die beiden nur noch das Bekenntnis zum Mühlviertel. Leitl unterstützt den Vorschlag zur Entrümpelung der Gewerbeordnung mit trotziger Gegenrechnung.
Eine Funktion, die nicht ausgeübt wird, nimmt Schaden. Jede Wette, dass bereits demnächst Beiträge in Leserbriefspalten erscheinen, in denen mit der folgenlosen Vakanz auf dem Bundespräsidentenstuhl die Abschaffung des Amtes gerechtfertigt wird. Man sollte aber nicht der Verlockung erliegen, von der Sedisvakanz auf eine Multi-Dysfunktionalität des Staates zu schließen. Österreich funktioniert so halbwegs gut (Zentralmatura, Hagel-Entschädigung, Neubau Hauptbahnhof) oder schlecht (U4, Gratiszahnspange, Neubau Krankenhaus Nord) wie ehedem. Ob der vom neuen Kanzler Christian Kern angekündigte "New Deal“ greift, hängt nicht vom Bundespräsidenten ab, sondern vom Regierungschef und seinem Koalitionspartner.
Dienstag vergangener Woche präsentierten Christian Kern und Reinhold Mitterlehner als erstes Teilstück des "New Deal“ ein Programm zur Wirtschaftsankurbelung. Der Kanzler träumt von einem Gründergeist und will aus Österreich ein Start-up-Musterland machen. 185 Millionen Euro frisches Geld und zusätzlich 100 Millionen staatlicher Garantien sollen 1000 neue innovative Unternehmen bringen.
Und Reinhold Mitterlehner kündigte für Herbst eine Liberalisierung der Gewerbeordnung an. Ein einziger Gewerbeschein soll die Ausübung aller 440 freien Gewerbe ermöglichen, Betriebsgenehmigungen werden erleichtert, Fußpfleger endlich auch Fingernägel lackieren dürfen. Nach dem Registrierkassenschlager ist die Reform der Gewerbeordnung die nächste Zumutung für die Wirtschaftskammer: Weniger Gewerbescheine bedeuten mehr Konkurrenz für die Pflichtmitglieder und weniger Einnahmen für die Kammer. Deren Präsident Christoph Leitl war einmal Mitterlehners Boss und Förderer.
Mittlerweile verbindet die beiden nur noch das Bekenntnis zum Mühlviertel. Leitl unterstützt den Vorschlag zur Entrümpelung der Gewerbeordnung mit trotziger Gegenrechnung: Eine neue Gewerbeordnung? Gern, dann aber auch "eine neue Staatsordnung“. Ernsthafte Reformen im Kammerwesen mit Bürokratieabbau im Staatsganzen zu verknüpfen, ist ein lobenswerter Ansatz - und die Garantie dafür, dass weder das eine noch das andere kommt. Zumal auch der ÖGB kein Interesse an einer gelockerten Gewerbeordnung hat, weil damit Kollektivverträge und Arbeitnehmerschutz ausgehebelt werden könnten.
Dass der Innenminister einige Tage zuvor vorgeschlagen hatte, Wahlbeobachter der OSZE in die 14 vom VfGH gerügten Wahlbezirke zu schicken, schien vergessen.
Umsetzungskraft wünscht man Mitterlehner bei seiner Idee, für jede neue gesetzliche Regelung zwei alte zu streichen. Er hätte viel zu tun. Mittwoch vergangener Woche beschloss der Nationalrat ein brandneues Verrechnungspreisdokumentationsgesetz (VPDG), das international tätige Konzerne zur Erstellung von Berichten mit umfassenden Informationen (Master File) und speziellen Informationen (Local File) verpflichtet. Noch am Tag des Beschlusses jammerte die Industrie über "die bedauerliche Aufdoppelung der Bürokratie durch überschießende Bestimmungen“.
Wie die Auswahl und Streichung überflüssiger Regelungen im Detail erfolgen könnte, hat Mitterlehner noch nicht verraten. Aus Salzburg kam vergangene Woche ein interessanter Vorschlag. Landeshauptmann Wilfried Haslauer schlug die Einrichtung eines weisungsfreien Deregulierungsbeauftragten vor. Den eigenen Beamten trauen Spitzenpolitiker die Entbürokratisierung offenbar nicht zu.
Nach außen nahmen die Dinge in Woche eins nach der folgenreichen VfGH-Entscheidung ihren gewohnten Lauf. Der Landwirtschaftsminister lobte das Klima-Abkommen von Paris. Der Verkehrsminister kündigte seine Teilnahme an der internationalen Konferenz "Entlang der Seidenstraße“ in Venedig an. Die Gesundheitsministerin führte Gespräche wegen der Kapazitätsengpässe bei CT- und MR-Untersuchungen. Dass der Innenminister einige Tage zuvor vorgeschlagen hatte, Wahlbeobachter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in die 14 vom VfGH gerügten Wahlbezirke zu schicken, schien vergessen.
Seit der Entscheidung des VfGH war die Staatsspitze damit beschäftigt, die Aufhebung der Bundespräsidentenwahl als Betriebsstörung zu verniedlichen.
In einer gemeinsamen Demokratieklasse mit Weißrussland sah sich dann doch kein Regierungsmitglied. Außer der Niederösterreicher Wolfgang Sobotka: Der Innenminister warf Kanzler Kern "Unkenntnis“ vor und belehrte ihn, OSZE-Beobachter gehörten "zum internationalen Geschäft“ und seien "selbstverständlich“ einzuladen. Vielleicht ist Sobotkas Drang nach Beobachtung Ausdruck einer Überkompensation. Schließlich wäre das Innenministerium als oberste Wahlbehörde für die einwandfreie Abwicklung der Bundespräsidentenwahl verantwortlich gewesen.
Nach dem Ministerrat vergangener Woche beendeten Kanzler und Vizekanzler die Debatte. Christian Kern warnte vor "Vorgehensweisen, die unserem Ruf nicht angemessen sind“. Reinhold Mitterlehner behandelte die Sache pragmatisch wie die Gewerbeordnung. Man werde bei der OSZE nicht "um Hilfe rufen“. Aber natürlich könne sich jeder Wahlbeobachter die Stichwahl ansehen: "Soll sich halt jemand dazustellen und zuschauen.“ Im Übrigen stimmten er und der Kanzler darin überein, dass Österreich kein "Bananenstaat“ sei. Da war es, das despektierliche "B“-Wort.
Seit der Entscheidung des VfGH war die Staatsspitze damit beschäftigt, die Aufhebung der Bundespräsidentenwahl als Betriebsstörung zu verniedlichen. Mehrfach erzählte Kanzler Kern, anderen Regierungschefs die demokratiepolitische Erstklassigkeit Österreichs garantiert zu haben. Und Heinz Fischer richtete in seiner Abschiedsrede "allen Staatsoberhäuptern“ in einem "respektvollen Gruß“ aus, dass Österreich ein "stabiles Land“ sei, um dessen "rechtsstaatliches System“ sich niemand sorgen muss.
Auf seiner Website verlautbarte das Parlament am Freitag, das Präsidium des Nationalrats führe "ab sofort die Amtsgeschäfte die Bundespräsidenten“ - "Staatsbesuche und repräsentative Auftritte“ seien "allerdings nicht geplant“. Im belgischen Außenministerium dürfte dies auf Interesse stoßen. In Brüssel und Eupen findet am 7. und 8. September das diesjährige Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter statt. Erwartet werden die Repräsentanten von Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg und Österreich. Belgien - Deutsch ist Amtssprache im Ostteil des Landes - wird durch König Philippe vertreten. Österreich hat noch keinen Vertreter benannt. Vielleicht sollten einfach Kanzler und Vizekanzler gemeinsam anreisen. Das Thema des Treffens hat gleichermaßen mit Start-ups und Gewerbeordnung zu tun: "Junges Unternehmertum“.