Menschen sitzen an einem Tisch und trinken Bier
Bauer sucht Politik Wahl-Special

Wahlkampf-Reportage: Nehammers Bieranstich und Kickls Afghanen

Rituale bestimmen die Politik. profil erforscht sie in einer Serie. Diesmal: Phänomene und Effekte im Bierzelt.

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Der Egalitätseffekt: „Wie ist die Beate im Bierzelt?“, fragte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger unlängst selbstreferenziell in einem TV-Interview. Die Antwort: Im Bierzelt sind alle – ob Beate, Bauer oder Bundesminister – gleich, sitzen auf harten Bänken, essen Grillhendl und hören Marschmusik wie „Dem Land Tirol die Treue“. Den Unterschied macht das Ausmaß des Bierkonsums.

Die Umgangsform: Das Du-Wort ist im Bierzelt allgegenwärtig. Wer einmal sitzt, steht so schnell nicht wieder auf. Vor der dampfenden Geselligkeit gibt es kein Entkommen. Mehr persönliche Kontakte auf engem Raum sind in kurzer Zeit kaum möglich, daher stauen sich in Bierzelten in einem Wahljahr die Politiker. Neben Bürgernähe zeigen sie damit ihre Neigung zum ländlichen Brauchtum.

Das Dilettanten-Dirigat: Am berühmten Gauder Fest in Zell am Ziller traten ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler, FPÖ-Obmann Herbert Kickl und die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer auf. Diese hatte in einem TikTok-Video rechtzeitig angekündigt, kein Dirndl tragen zu wollen – ein etwas kleinmütiges Manöver: Wenn Bierzelt, dann ganz oder gar nicht. Karoline Edtstadler dirigierte am Gauder Fest – selbstverständlich in Tracht – sogar die Blasmusikkapelle. Das Dilettanten-Dirigat rundet einen Politiker-Auftritt im Bierzelt erst richtig ab.

Der Bieranstich: Noch beliebter auf Kirtagen ist der politische Bieranstich. Karl Nehammer hat darin Übung. In der vergangenen Woche zapfte er frische Fässer beim Fest der Freiwilligen Feuerwehr in Altlengbach und beim „Ernte.Dank.Festival“ am Wiener Heldenplatz an.

Der Sturz-Trunk: Für Nehammer bedeutet das Bierzelt ein natürliches Habitat, wie er beim Altausseer Kirtag 2023 demonstrierte, als er den gereichten Bierhumpen ex austrank. Ein Fakten-Check ergab allerdings, dass der Kanzler nicht eine Halbe Bier in einem Zug leerte, sondern einen sauren Radler.

Die Tracht-Verweigerung: Beim diesjährigen Ausseer Kirtag stellten sich der grüne Vizekanzler Werner Kogler und der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler ein. Wie Sigrid Maurer fremdelt auch Kogler mit der Tracht und trug ein weißes T-Shirt, Babler ein Hemd mit Trachtenweste. Auch er musste die Zeltkapelle dirigieren. Die Musikanten folgten seinem Kommando oder taten zumindest so. Babler kennt das aus der SPÖ.

Wasser statt Bier: FPÖ-Obmann Herbert Kickl mietet sich im Wahlkampf Bierzelte gern komplett. So kann er sichergehen, dass nur blaue Fans und Funktionäre anwesend sind – wie beim Welser Volksfest Samstagvormittag vergangener Woche. Gerade in Oberösterreich schmeckt das Bier schon Stunden vor dem Mittagessen, nur der Kärntner Kickl trinkt am Rednerpult Wasser. Der FPÖ-Obmann trägt Jeans, obwohl seine Wadln für eine Lederhose stramm genug wären. Schließlich ist Kickl Extrem-Triathlet.

Das Integrationsparadoxon: In der 45-minütigen Rede des FPÖ-Obmanns gibt es eine Schockpassage: Schon bald würde die EU-Kommission Grillfleisch verbieten und den Verzehr von „Laborgemüse“ und „Ungeziefer“ vorschreiben. Und während Herbert Kickl gegen Zuwanderer und Asylwerber wettert, tragen aus Afghanistan oder Syrien stammende Kellner in grün karierten Trachtenhemden und Lederhosen Bier und Grillhendl an die Tische.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.