Beate Meinl-Reisinger: Neues Jahr, NEOS-Jahr?
Die Pinken sind eine komplizierte Partei. Das beginnt beim Namen. Exakt heißen sie: „NEOS – Das Neue Österreich und Liberales Forum“. Bei der Nationalratswahl 2017 traten sie unter der extra-langen Listenbezeichnung „NEOS – Das neue Österreich gemeinsam mit Irmgard Griss, Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Verantwortung“ an. Kein Wunder, dass viele Bürgerliche lieber „Liste Kurz“ wählten. Im Alltagsgebrauch wollen die Pinken ihren Parteinamen bevorzugt in Versalien als Singularetantum ohne Artikel lesen. Also nicht: „Die Neos fordern eine Marktwirtschaft ohne Adjektiv.“ Sondern: „NEOS fordert eine Marktwirtschaft ohne Adjektiv.“ Das Beispiel ist frei erfunden. Natürlich ist auch NEOS für die soziale Marktwirtschaft. Wo kämen wir denn sonst hin? In Österreich direkt ins Out.
Sie lesen Folge 8 einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.
Liberale Parteien tun sich schwer mit der politischen Selbstfindung. So ging es bereits dem Liberalen Forum und nun NEOS. „Wir sind liberal ohne Bindestrich“, sagt der Abgeordnete Nikolaus Scherak. Soll heißen: weder rechts- noch links-liberal, nicht wirtschafts- oder gesellschafts-liberal, sondern ganzheitlich liberal.
Liberal ohne Wumms!
Eine gängige These lautet allerdings, liberales Gedankengut werde hierzulande in allen Parteien von rechts bis links vertreten. Daher sei das letzte, was Österreich brauche, eine eigenständige liberale Partei. NEOS sieht das anders, tut aber nicht viel gegen den Eindruck, dass an der These etwas dran sein könnte. So richtig Wumms-liberal ist NEOS nicht, auch wenn er/sie/es der Vereinigung der liberalen Parteien in der EU, ALDE, angehört – wie die FDP, die aber keineswegs als NEOS-Schwesterpartei bezeichnet werden kann. Zwischen Beate Meinl-Reisinger und Christian Lindner passt eine ganze Papierfabrik. Der FDP-Chef würde am liebsten den Rhein, die Bundeswehr und die Reste der Berliner Mauer privatisieren, NEOS gar nichts. Zumindest steht nichts von Privatisierungsplänen im pinken Programm. Auch der zentrale Begriff „Liberalisierung“ findet sich dort nur ein einziges Mal, nicht – wie man auch erwarten könnte – unter dem Schlagwort „Cannabis“, sondern im Wirtschaftskapitel. Dort werden – Wumms! – „Liberalisierungen der Abschreibungsdauer von Betriebsanlagen“ vorgeschlagen. Der NEOS-Vizebürgermeister in Wien, Christoph Wiederkehr, konnte SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig bei den Koalitionsverhandlungen immerhin längere Öffnungszeiten abtrotzen, wenn auch nicht für den Handel, sondern für die städtischen Schwimmbäder.
Im Jahr 2022 muss sich NEOS „eine neue Erzählung“ (wie die Politikberater gern sagen) zulegen. Bisher lautete diese, NEOS sei die Partei des Anstands und der Kontrolle. Mit dem Rücktritt von Sebastian Kurz verlor NEOS allerdings den wichtigsten politischen Umsatzbringer. Überzeugend empört hatten sich die Pinken am gefallenen ÖVP-Chef abgearbeitet. Beate Meinl-Reisinger nannte Kurz einmal – Schuld vermutend – „einen kriminellen Bundeskanzler“. Will NEOS weiterhin die Wutpartei für Besserverdiener sein, muss er/sie/es rasch einen neuen allerbesten Feind finden. Karl Nehammer ist es nicht.
Das NEOS-Jahr beginnt mit einem innerparteilichen liberalen Aufbegehren. Parteichefin Meinl-Reisinger hat sich zur Impfpflicht bekannt, schließlich war sie keine Idee von Sebastian Kurz. Nicht alle Parteifreunde wollen ihr folgen. Der Vorarlberger Gerald Loacker wird dagegen stimmen. Auch der Abgeordnete Helmut Brandstätter soll wackeln. Falls die beiden noch öfter ausscheren, könnte es ihnen passieren, dass ihre Partei bei der nächsten Wahl abermals mit einer geänderten Listenbezeichnung antritt: „NEOS – Das neue Österreich gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürger für Impfpflicht und Verantwortung, ohne Bindestriche, Gerald Loacker und Helmut Brandstätter“.
Gernot Bauer
Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.
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