Being Richard Lugner: Georg Hoffmann-Ostenhof über sein Schicksal als Doppelgänger
Ich sitze in einem Waggon der Linie U1. Zwei junge Burschen drehen sich nach mir um und beginnen zu tuscheln. profil-Leser, denke ich, die mich als Kolumnisten dieses Qualitätsmediums erkannt haben? Ich bin geschmeichelt. Das war vor zwei Jahren. Wie sich herausstellen sollte, hatte ich mich geirrt. Wenig später auf der Straße fragt mich ein junger Mann mit leicht türkischem Akzent schüchtern: Sind Sie’s? Sind Sie wirklich der Lugner?
Ich bin ein wenig verstimmt: Sehe ich tatsächlich so alt aus wie der Baumeister, der immerhin eine halbe Generation mehr an Jahren auf dem Buckel hat als ich? Erkennt mein Gegenüber nicht die doch so gravierenden physiognomischen Unterschiede? Nein, bin ich nicht, sage ich unwirsch. Der Bursche entschuldigt sich zerknirscht. Und das war nur der Anfang. Inzwischen werde ich im Durchschnitt einmal die Woche als Lugner angesprochen. Im aktuellen Wahlkampf noch öfter. Und da passiert es auch schon mal, dass man mir alles Gute für die Präsidentschaftswahl wünscht. Ein weiblicher Teenager mit Kopftuch verspricht mir sogar, für mich zu stimmen. Ihr gefiele es, zöge ich in die Hofburg ein.
Ich habe schließlich meine Doppelgänger-Rolle akzeptiert. Und wie das so mit Rollen ist: Man beginnt, positive Gefühle für die Figur zu entwickeln, die man spielt. Und ich muss gestehen: Ich habe eine gewisse Schwäche für den Mann entwickelt, den ganz Österreich als Mörtel kennt und der von der High Society, oder jener, die sich dafür hält, so sehr als ordinärer Parvenü verachtet wird.
Mir ist mein Faible für Lugner erst so recht klar geworden, als der ORF verkündete, bei den TV-Kurzduellen „2 im Gespräch“ sei er als einziger der Kandidaten nicht dabei: Einer, der sich selbst als Kasperl bezeichne, hätte da keinen Platz, wurde argumentiert. Zudem hätte er ohnehin keine Chance, in die Stichwahl zu kommen. Als wäre nicht damals schon klar gewesen, dass etwa auch Andreas Khol nicht in die zweite Runde gelangen würde.
Gewiss, Lugner wirkt peinlich mit seinen dauernd wechselnden Beziehungen zu jungen Frauen und seinem trashigen Reality-Show-Leben als leicht vertrottelter Dirty Old Man. Unterhaltsam ist er – das zeigt sich auch jetzt im Wahlkampf – allemal.
Und die ursprünglich bösartige Fremdzuschreibung als Kasperl hat Lugner schließlich für sich übernommen, um bei seiner Antritts-Pressekonferenz den Sager vom Kasperl, „der am Schluss immer gewinnt“, anzubringen. Er empfand aber diesen Ausschluss als „ungerecht und undemokratisch“. Ich empfand mit ihm.
Dass er trotz aller Anstrengungen sozial nicht reüssiert, dürfte ja eine der Grunderfahrungen des Bauunternehmers sein, der von ganz unten kommt, es durch beeindruckende Tüchtigkeit und harte Arbeit zu Reichtum schaffte, aber nie von jenen in der „feinen“ Gesellschaft, in die er aufsteigen wollte, als einer der ihren akzeptiert wurde. Gewiss, Lugner wirkt peinlich mit seinen dauernd wechselnden Beziehungen zu jungen Frauen und seinem trashigen Reality-Show-Leben als leicht vertrottelter Dirty Old Man. Unterhaltsam ist er – das zeigt sich auch jetzt im Wahlkampf – allemal.
Den Frust über die permanente Nicht-Anerkennung durch die Gesellschaft, zu der er gehören will, schluckt er nicht hinunter, er verwandelt ihn auch nicht in Wut. Nein, er inszeniert dieses schmerzliche Urerlebnis: zunächst am Opernball, wo ihm, wie er beklagt, immer wieder die Loge neben dem Klo zugewiesen wird. Vor allem aber auch seit sieben Jahren bei „Wir sind Kaiser“. Da spielt er sich selbst, wie er alles daransetzt, zur Audienz bei Robert Heinrich I. vorgelassen zu werden, und nie über das Vorzimmer hinauskommt.
Gewiss, da ist viel Dilettantismus bei seinen Rollenspielen, aber sie zeugen von einem hohen Grad an Selbstironie – eine Fähigkeit, die man in der Sphäre, in der sich Lugner bewegt, nur selten antrifft. Und natürlich ist auch seine Teilnahme an der Wahl, seine Ambition, gemeinsam mit seiner schönen und jungen Cathy als First Lady in die Hofburg einzuziehen und dem Volk huldvoll zuzuwinken, eine Inszenierung. Aber paradoxerweise wirkt er in dieser um so vieles authentischer und unverstellter als alle seine Mitbewerber ums höchste Staatsamt. Das spüren die Leute. Deswegen mögen sie ihn. Das habe ich am eigenen Leib verspürt, wenn sie mir, dem Lugner-Doppelgänger, mit so viel neugieriger Freundlichkeit begegnen.
Trotzdem werden nur wenige diese Nestroy-Figur unserer Zeit wählen. Auch ich werde nicht bei Lugner mein Kreuzerl machen. Mit Ausnahme der Forderung, dass die Geschäfte am Sonntag aufsperren dürfen, verbindet mich nichts, aber auch gar nichts mit seinen politischen Ansichten.
Eine gewisse Sympathie hege ich dennoch für Mörtel. Und ich kann nicht anders: Zuweilen rührt er mich. Etwa als er am Schluss der puls4-Konfrontation mit Irmgard Griss zu dieser Kontrahentin sagte: „Wenn Sie gewinnen, versprechen Sie mir bitte, dass Sie mich in die Hofburg einladen. Da war ich nämlich noch nie.“