Beschmierte Kirche in Wien Favoriten: „Der Islam wird siegen“
Messerstechereien, fehlende Polizisten und, wenn es ruhig ist, die langen Schlangen vor dem berühmten Eissalon Tichy. Der Wiener Reumannplatz ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Fast unbemerkt schaut allerdings die Wiener Antonskirche mit ihrer grünen Kirchenkuppel am Ende des Platzes zwischen zwei Häuserblöcken hervor. Auf der Kuppel steht Sankt Anton von Padua, der Heilige für die Schweinehirten, Bäcker und Bergleute. Er wird bei Unfruchtbarkeit, verlorenen Sachen und erfolgloser Partnersuche angerufen.
Die 1896 erbaute Antonskirche könnte auch in der Wiener Innenstadt stehen. Hier im Arbeiter- und Zuwandererbezirk Favoriten wirkt die italienisch angehauchte Backsteinkirche fast überdimensioniert. Knapp 220.000 Menschen wohnen im einwohnerreichsten Bezirk Wiens. Im Vergleich zum regen Treiben weiter unten in der Favoritenstraße ist es ruhig am großen Platz. Die Backsteinmauer beim Eingangsportal ist seit Monaten mit islamischen bis islamistischen Sprüchen beschmiert und niemand scheint sich daran zu stören. Warum wurden diese Sprüche, die die rund 45.000 verbliebenen Christen offenbar provozieren sollen, nicht entfernt? Und was sagt eigentlich der Pfarrer dazu? Eine Spurensuche.
Bete, bevor es zu spät ist
Die Sprüche haben es in sich. Mit schwarzem Filzstift steht auf den Ziegeln rund um den Eingang: „Der Islam wird siegen, mit dir oder ohne“, „Deen over Dunya“, also „Religion über weltliches Leben“ oder „Bete, bevor es zu spät wird“. Vor einer Woche prangte ein ähnlicher Spruch auf einem Geschäft im Wiener Donauzentrum zusammen mit einer konkreten Gewaltandrohung. Das Landesamt für Staatsschutz und Terrorismusverbot ermittelt. Brisant sind die Schmieragen auch deswegen, weil die Antonskirche vor vier Jahren Schlagzeilen machte. Damals randalierten Jugendliche in der Kirche. Kurz nach dem Aufruhr veranstaltete die Islamische Glaubensgemeinschaft eine Menschenkette um die Kirche. Die aktuellen Schmierereien erfüllen den Tatbestand der Kirchenschändung nicht wirklich. Sie sind harmloser als die Randale. Aber sie sind beständig. Und erzählen viel über das Zusammenleben in diesem innersten Kern Favoritens.
Pfarrer hat keine Zeit
Ostersonntag. Die Reihen sind dichter als sonst. Rund 150 Gläubige haben auf den Bänken Platz genommen. Der Großteil sind ältere Menschen, dazwischen einige Familien mit Kindern und auch zwei Frauen mit Kopftuch. Der Pfarrer spricht vor, die Besucher beten nach. Nach der Messe dürfen die Kinder im Garten des Pfarrkindergartens Ostereier suchen. Eine ehrenamtliche Helferin beobachtet das Treiben und sagt: „Heute sind so viele Kinder da, wieso schaffen wir das sonst nicht?“ In der afrikanischen Messe, die Sonntagmittag in der Antonskirche stattfindet, sei das ganz anders. „Da können die Kinder aber auch herumlaufen und spielen.“
Zeit, über die Beschmierungen zu reden. Wäre der Pfarrer dafür zu haben? Ein Anruf rund um Ostern. Der Pfarrer lässt ausrichten: Keine Zeit, Dauereinsatz, vier Pfarren in Betreuung. Wäre die Erzdiözese Wien für ein Gespräch zu haben? Sie verweist auf Nachfrage zurück an die Pfarre St. Anton.
Lieber ein Glaube als keiner
Dann findet sich doch ein Mann, Mitte 50, in der Kirche, der seit Jahren die Orgel spielt und eine wichtige ehrenamtliche Stütze der Gemeinde ist. Er möchte nicht namentlich genannt werden, vor allem wegen seines Brotberufs. Bei einem Kaffee im Pfarrhaus am Platz geht es nun um die Schriftzüge. Man habe sie der Polizei gemeldet, sagt er. Sei mit der Bezirksvertretung, der Jugendbetreuung und den Kinderfreunden in Austausch, die am Platz präsent sind. Aber übermalen könne man die Sprüche nicht.
Wegen der Ziegel. „Es wäre viel zu teuer, das zu entfernen. Und vielleicht steht morgen wieder etwas da.“ Wie etwa Liebesschwüre, gemalte Penisse und Anarcho-Zeichen, die der Mann bei einem Rundgang um die Kirche präsentiert. Bei einem Spruch ist „Allah“ durchgestrichen und mit „Gott“ übermalt. Der Ehrenamtliche sagt: „Die Antonskirche wurde schon immer beschmiert. In den 1990er-Jahren, während des Jugoslawien-Krieges, ging es noch wilder zu.“ Da habe es Schlägereien direkt vor der Kirche gegeben. Das sei jetzt nicht der Fall.
Es gibt noch einen Grund, warum der Mann entspannt bleibt. Er mag einen Teil der Sprüche. „Mir ist es lieber, die Jugendlichen haben einen Glauben als gar keinen.“ Er lehne Schmieren auf Kirchen ab, die Inhalte der Sprüche aber nicht: „Ich sehe das etwas entspannter. Wenn ich sage, ich glaube an einen Gott, dann ist für mich nicht so sehr das Problem, ob ich Papa oder Vater sage, ob Allah oder Gott.“ Und was ist mit „Deen over dunya?“, also Religion über weltliches Leben? Er entgegnet: „Darin sehe ich keine Gefahr.“
Zu alt für Dialog
Auch Nadim Mazarweh, der Extremismuszuständige der Islamischen Glaubensgemeinschaft IGGÖ, sieht in den Sprüchen keine „Alarmzeichen Richtung Extremismus“, sondern „Sachbeschädigung und Respektlosigkeit“. Ein adäquates Mittel, darauf zu reagieren, sei der interreligiöse Dialog.
Der hält sich derzeit aber offenbar in Grenzen. „Derzeit gibt es wenig Kontakt zu Moscheen und anderen Religionsgemeinden“, sagt der Ehrenamtliche von St. Anton. Seit Corona seien interreligiöse Projekte erlahmt. Und wie sieht es mit dem direkten Dialog vor Ort aus? Von den Ehrenamtlichen der Pfarre könne man nicht erwarten, dass sie mit Pubertierenden am Reumannplatz in Kontakt treten, die hinter den Schmierereien stecken könnten. „Die aktiven Mitglieder unserer Kirche gehen gegen 80“, erklärt der Gemeindehelfer.
Die Kirche ist aber nicht der einzige religiöse Ort am Platz. In einem schönen gelben Jugendstilhaus befindet sich eine türkische Moschee namens Vakif. Hier habe es früher mehr Kontakt gegeben, das sei in den letzten Jahren aber erlahmt, heißt es im Pfarrhaus.Auch der türkische Jugendverein „Viyana Alperen Ocaklari“, nur einen Block von der Moschee entfernt am gleichen Platz, machte vor ein paar Jahren Schlagzeilen: Durch ein Video, in dem Kinder schwörten, „bis auf den letzten Blutstropfen“ für „Allah, Koran, die Türkei und gegen Kapitalismus, Kommunismus, Zionismus und Imperialismus“ zu kämpfen.
In einer Parallelgasse des Antonsplatz liegt die Mittelschule Leibnizgasse. Sie ist eine sogenannte Brennpunktschule mit vielen Kindern, die nicht so gut Deutsch sprechen und von denen einige ganz neu im Land sind. Viele verbringen vor und nach der Schule ihre Zeit am Antonsplatz. Angesprochen auf die Schmierereien zeigt ein Mädchen gleich ein Foto am Handy. Sie hat die Sprüche auf der Antonskirche aus Neugier abfotografiert. Sie kenne auch ein paar Leute, die das gewesen seien. Mehr verrät sie aber nicht. Ein zweites Mädchen kommt hinzu und meint: Auf eine Kirche zu schmieren, sei unmöglich.
Ein lauer Maitag. Am Spielplatz ist viel los, im Fußballkäfig geht es heiß her. Ein paar Männer trinken im Schatten der Bäume ein Bier nach der Arbeit. Aber „Der Islam wird siegen mit dir oder ohne“ steht noch immer vor dem Eingang. Daneben kein Schild, kein interreligiöser Dialog, einfach keine Antwort.