Betteln: Verbote und Strafen zeigen kaum Wirkung

Das Menschenrecht auf Bettelei wird in Österreich mit juristischen Finessen mehr und mehr eingeschränkt. Doch die Verbote zeigen kaum Wirkung.

Drucken

Schriftgröße

Pavlov sitzt vor der U6-Station Burggasse in Wien. Er hält einen weißen Plastikbecher, blickt den vorbeihetzenden Menschen stoisch entgegen und wartet. Der 73-jährige Mann stammt aus der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Sein ganzes Leben arbeitete er auf Baustellen. Als er seinen Job verlor, ernährte er sich vorübergehend von Essensresten aus Mülltonnen. Bald schon fand er selbst im Abfall nichts mehr. Vor zwei Jahren kam er schließlich nach Wien. Ursprünglich wollte er arbeiten. Es dauert einige Zeit, bis eine alte Frau stehen bleibt und ein paar Münzen aus ihrem Portemonnaie kramt. "Ein bisschen was gebe ich immer her“, sagt sie.

Ein seltenes Bild. Denn die Akzeptanz gegenüber Bettlern ist gering, das Klima aufgeheizt. Bei Bettelei handle es sich um einen "bis ins kleinste Detail geplanten Raubzug quer durch Österreich“, schrieb etwa jüngst die "Kronen Zeitung“. 74 Prozent der österreichischen Bevölkerung sprechen sich in einer profil-Umfrage für ein generelles Bettelverbot aus. Allein: Die Verfassung verunmöglicht das. Und so versuchen Länder und Gemeinden nun, Bettelei mit bisweilen kreativen Methoden weiter einzuschränken oder Bettelverbote zu verhängen. Mit mäßigem Erfolg.

1500 Menschen betteln in Wien, schätzt die Polizei. Genaue Erhebungen gibt es nicht, Zahlen für ganz Österreich fehlen. Die meisten Bettler kommen aus Rumänien und Bulgarien, aber auch aus der Slowakei und Ungarn, vereinzelt aus Österreich. Das Phänomen der Armutsmigration aus dem Osten ist relativ neu, wie die deutsche Friedrich Ebert Stiftung in einer Studie feststellt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gingen allein in Rumänien 3,5 Millionen Jobs dauerhaft verloren. Erst verließen vor allem gut Qualifizierte das Land. 2002 fiel die Visumpflicht für den Schengen-Raum, und im Jahr 2007 folgte der EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien.

13 Euro pro Tag

EU-Bürgern wie Pavlov ist es erlaubt, als Touristen nach Österreich zu reisen. Daran kann sie niemand hindern, Abschiebungen sind nicht möglich. In Ermangelung von Arbeitsplätzen landen sie auf der Straße und betteln. Es reicht jedoch gerade zum Überleben: Pro Tag "verdient“ Pavlov etwa 13 Euro. Zehn Euro davon braucht er, um Essen und Wohnraum zu bezahlen. Was darüber hinaus übrigbleibt, schickt er seiner Frau und seinem Sohn nach Bulgarien.

Bis auf das Burgenland haben alle Bundesländer mit Landesgesetzen auf die Entwicklung reagiert und Bettelei reglementiert. In Salzburg und der Steiermark wurde gar ein generelles Bettelverbot beschlossen. Allerdings stellte der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2013 fest, dass allgemeine Verbote von Bettelei der Menschenrechtskonvention widersprechen, und hob sie auf. Denn das Recht auf freie Meinungsäußerung inkludiert auch, in der Öffentlichkeit auf eine persönliche Notsituation hinzuweisen, also zu betteln.

In Innsbruck will man das trotzdem so nicht stehen lassen. Ein Bummel durch die Innenstadt gleiche "eher einem Spießrutenlauf als einem gemütlichen Flanieren“, moniert etwa der "Innenstadt Verein“, ein Zusammenschluss von Unternehmern, der von einer "äußerst prekären Situation“ spricht. Ein Schreiben der Polizei an die Innsbrucker Stadtverwaltung legt offen, wie Bettler von den Behörden wahrgenommen werden: "Obwohl das Stadtpolizeikommando stets bemüht ist, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, konnte die steigende Anzahl an Bettlern nicht zur Gänze wettgemacht werden“, heißt es da. Tatsächlich war die Polizei äußerst aktiv: Im Jahr 2014 wurden in Innsbruck 820 Kontrollen von Bettlern durchgeführt und 115 Anzeigen erstattet - obwohl laut Polizeizählung nur bis zu 20 Bettler im Innenstadtbereich unterwegs sind.

Nun glaubt die Tiroler Landeshauptstadt, einen Weg gefunden zu haben, das Landesgesetz zu verschärfen. Vor einem Monat beschloss der Gemeinderat ein sogenanntes sektorales Bettelverbot, das im Zuge von Oster- und Weihnachtsmärkten gilt. Eine solche Verordnung dient gewöhnlich "der Abwehr eines das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstandes“.

"Signal an die Bevölkerung"

Im Gespräch mit profil zeigt sich die Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer konzilianter: "Bettler gehören zu einer Stadt dazu. Aber es geht um die Größenordnung.“ Derzeit seien zu viele Bettler in Innsbruck, und deshalb habe es "ein Signal an die Bevölkerung“ gebraucht. Oppitz-Plörer will sich aber nicht festlegen, welche Zahl an Bettlern für Innsbruck verträglich wäre. Das sektorale Verbot wurde während des Ostermarktes zum ersten Mal exekutiert. Dabei gab es neun Anzeigen. Die Bürgermeisterin ist zufrieden; die Anzahl der Bettler sei spürbar zurückgegangen.

Doch diese Einschätzung teilen nicht alle. Elisabeth Hussl ist bei der "Bettellobby“ aktiv, einer ehrenamtlichen Privatinitiative, die sich für die Rechte von Bettlern einsetzt. Sie glaubt, dass es zu einer "Verlagerung“ kommt: "Die Leute sitzen dann einfach in den nächsten Straßen.“ Die Lage der betroffenen Personen werde durch Verbote "nur noch schwieriger“. Hussl hofft, dass die umstrittene Verordnung vom Höchstgericht gekippt wird.

Auf eine juristische Grundsatzentscheidung will die Stadt Salzburg nicht mehr warten, sie plant ebenfalls ein sektorales Bettelverbot. Das soll aber nicht nur für einzelne Märkte gelten, sondern für mehrere Straßenzüge in der Innenstadt von 9 bis 18 Uhr - und zwar ganzjährig. Die Stadt hofft auf einen Verdrängungseffekt.

In Wien will man weitere Gesetzesverschärfungen jedenfalls nicht mitmachen, wie es aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Sandra Frauenberger heißt: "Menschen, die gezwungen sind, die Hand aufzuhalten, dürfen nicht kriminalisiert werden.“

"Willkür des Polizeiapparates"

Die Polizeipraxis sieht freilich anders aus. In der Bundeshauptstadt gab es im Jahr 2014 über 1500 Anzeigen nach dem Bettelverbot. Das Gesetz ist vage formuliert und lässt der Polizei großen Interpretationsspielraum. Zudem wird sogar mit dem Eisenbahngesetz gegen Bettler vorgegangen, die in U-Bahn-Stationen sitzen, weil sie angeblich den Fluchtweg blockieren. Ferdinand Koller, der bei der Bettellobby in Wien aktiv ist, sieht in der Bundeshauptstadt das generelle Bettelverbot "de facto“ verwirklicht. Doch die "Willkür des Polizeiapparates“ werde die Zahl der Bettler nicht reduzieren.

Auch Pavlov wurde bereits mehrfach kontrolliert. Auf dem Polizeipräsidium habe er sich dann nackt ausziehen müssen, erzählt er. "Auch das Geld haben sie mir abgenommen. Einmal habe ich gefragt, ob ich 50 Cent behalten kann, um später auf die öffentliche Toilette zu gehen. Aber selbst die haben sie mir weggenommen“, sagt Pavlov. Seine erste Geldstrafe konnte er nicht bezahlen, also trat er eine neuntägige Ersatzfreiheitsstrafe an. Danach bettelte er weiter. Er wurde wieder und wieder gestraft, bis die Bußgelder sich auf über 4000 Euro summierten. Pavlov bekam von der Bettellobby einen Rechtsbeistand vermittelt, der alle Anzeigen beeinspruchte. Neun von zehn Anzeigen wurden danach fallen gelassen.

Die Stadt Wien will mit der gängigen Praxis "jene zur Verantwortung ziehen, die aus der Armut Profit schlagen, indem sie wehrlose Menschen zum Betteln zwingen“, heißt es aus dem Rathaus. Eine Argumentationslinie, die auch andere Länder und die Polizei beinahe wortgleich herunterbeten. Doch die Existenz einer "Bettelmafia“, die im großen Stil agiert, konnte bis dato nicht nachgewiesen werden, obwohl das Bundeskriminalamt seit mehreren Jahren ermittelt. Zwar konnten drei Fälle von Menschenhandel aufgedeckt werden. Allerdings sagte jeweils nur ein Opfer aus. Als Ausbeuterin fungierte einmal die Ehefrau eines körperlich beeinträchtigten Mannes. Von einer großen Organisation kann also keine Rede sein. "Diese Einzelfälle haben gezeigt: Da dürfen wir nicht locker lassen“, meint Gerald Tatzgern, Leiter Zentralstelle im Bundeskriminalamt zur Bekämpfung des Menschenhandels.

"Bettelmafia?“, fragt Pavlov und schüttelt den Kopf: "Meiner Meinung nach ist die Polizei die Mafia.“ Er wird weiter betteln. Solange er keinen Job findet, bleibt ihm keine andere Wahl.

Mehr zu diesem Thema:

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.