Big Imam legt sich mit Hasspredigern auf TikTok an
Das neue Buch „Allahs mächtige Influencer“ beschreibt die Allmacht von Hasspredigern im Netz. Ein Imam, der seit Jahren gegen Extremismus auftritt, verstand es als Weckruf und ging nun online.
29.03.25
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Ramazan Demir kennt die Verführer und die Verführten. Der 38-jährige Imam, Islam-Lehrer und Religionspädagoge war von 2010 bis 2018 auch Seelsorger in heimischen Gefängnissen.
Er erlebte den Aufstieg und Fall des sogenannten Islamischen Staates (IS) aus der Perspektive von Jugendlichen hinter Gittern, die mit der Terrororganisation sympathisierten oder sich ihr anschlossen. Aber auch aus dem Blickwinkel von radikalen Hasspredigern, die Kinder und Jugendliche in Hinterhofmoscheen rekrutierten.
Nach der Zerschlagung des IS in Syrien ebbte die Terrorwelle ab. In der Coronapandemie 2020 hob sie wieder an. Die Hassprediger wechselten ins Netz und professionalisierten ihre Propagandamaschine. Ihre wichtigsten Waffen: TikTok, Instagram, YouTube und Messenger-Dienste wie Telegram. Die Hinterhofmoschee wanderte aufs Smartphone und damit in die Hosentasche der Kinder und Jugendlichen.
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Weckruf an muslimische Community
In unserem neuen Buch „Allahs mächtige Influencer. Wie TikTok-Islamisten unsere Jugend radikalisieren“ beschreiben Stefan Kaltenbrunner und ich, wie Radikalisierung online funktioniert und wie der Extremismus der Hassprediger in den sozialen Medien zum Mainstream wurde. Das Buch ist nicht zuletzt ein Weckruf an die muslimische Community. Wir fragen: Wo ist der gemäßigte Islam? Wo bleiben die Gegenstimmen auf Social Media? Warum gibt man Online-Predigern diese Macht über die eigenen Kinder?
Die Meisten Imame in den Moscheen haben den Zugang zu den Jugendlichen verloren.
Ramazan Demir, TikTok-Imam
Ramazan Demir, der sich launig auch „Big Imam“ nennt, reicht’s. Er wagt den Sprung auf TikTok, um sich mit den Hasspredigern anzulegen und ihre Allmacht zu brechen.
Wie will der Imam - auf TikTok „DerImamRamazan“ - an die Jugendlichen herankommen? Und ist es überhaupt angebracht, in einem säkularen Land mit Religion auf religiösen Extremismus zu antworten?
Der IS lauert im Chat
„Der Weckruf in eurem Buch und mein Sohn haben den Ausschlag gegeben“, begründet Demir seinen Sprung auf TikTok. „Mein neunjähriger Sohn ist selbst nicht auf der Plattform. Aber er erzählte mir, dass zwei Klassenkameraden dort regelmäßig Videos konsumieren. Da schrillten bei mir alle Alarmglocken. Ich weiß, wie gefährlich das ist und wie schnell Jugendliche kippen können.“
Wer auf TikTok Begriffe wie „Islam“, „Haram“ oder „Kopftuch“ eingibt, landet in der Regel nicht beim Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft oder einem liberalen Religionsphilosophen. Wer auf TikTok relativiert, verliert. So will es der Algorithmus. Wer hingegen erklärt, wie korrupt und unrein die westliche Welt ist, wie sündig eine Frau ohne Kopftuch, wie feindlich die „Ungläubigen“ Muslimen gegenüber gesinnt sind, und wer seine Propaganda dazu noch mit ein paar Suren oder Hadithen untermauert, gewinnt.
Die Einstiegsdroge ist frei verfügbar
In Videos, die oft kürzer als eine Minute sind, wird die Welt brachial in „halal“ (erlaubt) und „haram“ (verboten) eingeteilt. Von Agitatoren, die Demir nur „Abu XY irgendwas“ nennt. Selbst ernannte Prediger, die im Alltag Sozialhilfe-Empfänger, Mechaniker oder Security sind, nach Dienstschluss in ein traditionelles Gewand schlüpfen und ihre gefährliche Ideologie in die Online-Welt hinausposaunen. Die neue Generation der Prediger trägt Hoodies und untermalt die Videos mit Rap-Musik. Die Propaganda ist dieselbe.
TikTok vergleicht der Imam mit einem glitzernden „Casino für Jugendliche“ mit hohem Suchtfaktor. „Der Algorithmus blinkt dich an und sagt: ‚Kommt zu mir.‘ Und die Radikalen sagen: ‚Ich gebe dir die wahren Antworten, die dir sonst keiner gibt.‘“
Die bekannten deutschsprachigen Online-Islamisten wie Abul Baraa, Pierre Vogel oder Muslim Interaktiv selbst rufen nicht zu Gewalt auf. Sie distanzieren sich oft davon. Aber ihr Angebot kann wie eine Einstiegsdroge wirken. Und wer mehr will, der findet. Auf den Plattformen sind Terror-Scouts unterwegs, die Jugendliche in geschlossene Chat-Gruppen locken, haben Verfassungsschützer beobachtet.
Sein Freund, der Rabbi
Ramazan Demir ist in Deutschland geboren. Er studierte in Wien Islamwissenschaft. Seit 2016 unterrichtet er an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems angehende Islam-Lehrerinnen und -Lehrer. 2017 initiierte Demir die „Imam-Deklaration gegen Extremismus“, bei der über 300 Imame eine Charta gegen Hass und Terror unterzeichneten.
Gemeinsam mit dem jüdischen Rabbiner Schlomo Hofmeister tritt er monatlich an Schulen auf, um Antisemitismus zu bekämpfen – unter dem Titel „Imam und Rabbi“. Seinen Freund, den Rabbiner, will er später in seine Videos dazuholen.
Sein TikTok-Projekt „Der Imam Ramazan“ ist bereits gestartet. Zwei junge Social-Media-Auskenner unterstützen ihn – „ehrenamtlich“, wie er betont. Weder sie noch er selbst bekommen Geld dafür. Um authentisch zu sein, hat er das Projekt auch unabhängig von der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) gestartet, wiewohl er der IGGÖ eng verbunden ist.
In seinen Clips will er nach und nach die „18 Irrtümer der Extremisten“ entlarven. Von „Nicht-Muslime sind Ungläubige“ bis „Die Demokratie ist nicht mit dem Islam vereinbar“. Die Liste hat er während seiner Zeit als Gefängnis-Imam aus den Gesprächen mit radikalisierten Jugendlichen erstellt.
Das erste Video zeigt den korpulenten Imam, wie er mit offener Körpersprache und warmem Lächeln zurück in seine Zeit als Gefängnisseelsorger führt: „Ich war im Gefängnis.“ Er schildert ein Gespräch mit einer jungen Insassin, die auf ihn zugeht und beichtet: „Ich habe Angst. Werde ich für das, was ich getan habe, in der Hölle schmoren?“ Er nimmt ihr die Angst mit Hinweisen auf Passagen im Koran und fragt die User: „Was würdest du antworten? Kommentiere das Video.“
Demirs Projekt ist nicht unheikel. Zum einen setzt er sich dem Hass der Hassprediger aus – und möglicherweise auch realen Bedrohungen. Er kann aber auch außerhalb der radikalen Zirkel in die Kritik geraten. Weil er mit Religion auf religiösen Extremismus antwortet – in einem säkularen Land wie Österreich.
Was aber, wenn auch er bald erklärt, was im Islam verboten oder erlaubt ist und nur liberalere Antworten gibt? Ist er dann nicht eine Art Sittenwächter „light“? Betont er dadurch nicht genauso die Unterschiede zwischen Muslimen und Nichtmuslimen entlang religiöser Gesetze?
Ich gebe religiöse Antworten auf religiöse Lügen. Jugendlichen, die für Radikalisierung anfällig sind, kannst du schwer mit Säkularismus kommen.“
„Ja, ich gebe religiöse Antworten auf religiöse Lügen. Für Personen, die für Radikalisierung anfällig sind, spielt Religion eine starke Rolle. Ihnen kannst du schwer mit Säkularismus kommen“, kontert Demir. Für einen Nichtmuslim sei es schwerer, einen Zugang zu den Jugendlichen zu finden, als für jemanden, der religiös geschult sei, argumentiert Demir. Er wolle als sichtbarer Imam Vertrauen aufbauen und einen „offeneren und friedlicheren Islam“ vermitteln, der mit der
Demokratie vereinbar sei. Sich selbst bezeichnet er als einen „Muslim der Mitte“.
Aber wird auch Demir die Haram-Halal-Karte ausspielen im TikTok-Casino? „Wenn, dann sage ich den Jugendlichen: Lügen, Stehlen, Morden ist haram. Fordert er das Kopftuch ab 14 ein? „Es darf keinen Zwang geben. Wer gezwungen wird, zu beten oder ein Kopftuch zu tragen, der betet nicht für Gott – sondern für den, der Druck ausübt. Das nimmt Gott nicht an.“ Die Kopftuchpflicht in Ländern wie dem Iran bezeichnet Demir als „unislamisch“.
„Imame haben Zugang verloren“
In Ländern wie dem Iran wird der politische Islam von oben verordnet – und soziale Medien sind streng zensiert. In demokratischen Ländern wie Österreich waren bisher die Moschee-Verbände das Zentrum des religiösen Lebens. Doch die Imame leiden gegenüber der Jugend an einer Sprachlosigkeit. „Die meisten Imame in den
Moscheen haben den Zugang zu den Jugendlichen verloren“, sagt Demir. Ganz anders die Extremisten auf
Social Media. Sie sprechen die Jugendsprache, sind Kampfsportler und Role Models von der Straße, die oft besser Deutsch können als türkische, bosnische oder arabische Prediger, die entrückt vom Alltag in den Moscheen der Eltern predigen.
Auch die Eltern können dem Angebot auf TikTok oft wenig entgegensetzen. „Viele muslimische Eltern sind wegen ihrer Gastarbeiter- oder Fluchtgeschichte bildungsfern. Es können dann auch die Kenntnisse über die eigene Religion fehlen“, sagt Demir. Wer selbst nicht wirklich angekommen ist in der Aufnahmegesellschaft, könne den Kindern außerdem wenig helfen bei ihrer Identitätssuche zwischen Schule, Park und TikTok. Und wenn der Vater fehle, was bei den Terror-Teenies im Gefängnis oft der Fall gewesen sei, haben Hassprediger noch leichteres Spiel.
Kein leichtes Spiel wird es für „Imam Ramazan“, in ähnliche Klick-Sphären zu gelangen wie jene Verführer, mit denen er es aufnimmt. Sein Plan geht aber weiter. Er will Kolleginnen und Kollegen überzeugen, ihm nachzufolgen, und kündigt dafür an, an 365 Tagen im Jahr zu posten. Der Start ist am Freitag dieser Woche erfolgt.