Blackbox Bierpartei: Was will Dominik Wlazny?
Von Iris Bonavida
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Dominik Wlaznys politisches Motto ist zwar „Red’ ma drüber“, aber zuerst möchte er bitteschön wissen, mit wem er hier eigentlich redet. Der Mann, der eigentlich im Mittelpunkt stehen müsste, sitzt an diesem Mittwochabend eher abseits in der Ecke eines Terrassenlokals in St. Pölten. Hinter ihm die Viehofner Seen, vor ihm eine Gruppe, die sich gerade vorsichtig angenähert hat. Sie will ja nicht stören, aber eine Frau hat eine Frage, die sie dringend loswerden möchte: „Was sind eigentlich deine Visionen?“
„Was bist du, Journalistin?“, fragt Wlazny retour. „Nein, Lehrerin“, seit 40 Jahren im Bildungswesen. Jeder andere Politiker würde in so einem Moment sein Gegenüber kurz begutachten und dann routiniert eine Forderung hervorholen, die passend erscheint. Karl Nehammer könnte ein Plädoyer für mehr Leistung halten, Andreas Babler gegen die Vererbung von Bildung, Beate Meinl-Reisinger über eine Reform des Systems sinnieren. Wlazny hingegen hält sich kurz und empfiehlt, was er auch Journalistinnen nahelegt, die Fragen stellen, egal zu welchem Thema: „Schau dir doch auf YouTube meine ‚Red’ ma drüber‘-Viodeos an.“
Wlazny, 37, ist Musiker, Mediziner, Buchautor – und Bierparteichef. Er pflegt den Stil eines Millennial-Punks – Tätowierungen, Seitenscheitel, Skinny Jeans – und den Ruf des Antipolitikers. Direkt, authentisch, ideologiefrei. Bei der Bundespräsidentenwahl war es eines seiner Erfolgsrezepte. Wem der Amtsträger Alexander Van der Bellen zu honorig, Gerald Grosz aber zu rechts und extrem war, konnte Wlazny die Stimme geben. Acht Prozent taten das auch, es war eine Protest- und Persönlichkeitswahl. Jetzt will Wlazny aber bei der Nationalratswahl antreten und braucht Personal und Positionen. Der Name „Bier“ soll nicht mehr für eine Spaßpartei stehen, sondern Akronym für ernsthafte Anliegen sein: „Bin in einer Reformbewegung“. Nur: Welche Reformen er plant und was er bewegen möchte, das weiß niemand so genau. Wie sollen andere dann entscheiden, ob sie ein Teil davon sein möchten?
Beer-Groups statt Peer-Groups
Auch die Lehrerin in St. Pölten will mehr wissen. Dafür ist sie immerhin in das Seelokal gekommen, die Bierpartei hat zu einer Info-Versammlung für Interessierte geladen. „Darf ich fragen, was du genau bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit willst? Was ist mit den Kindergärtnerinnen, die fehlen?“, hakt sie nach. Wlazny antwortet knapp, dass er und seine Partei die jüngsten Proteste des Kindergartenpersonals unterstützt haben. Dann bespricht die Gruppe, dass Elementarpädagogik aber Länder-, nicht Bundeskompetenz ist. Wlazny reagiert am Ende mit einem Gag für Politik-Insider: „Was soll ich dann tun, ein Bundesland aufhetzen?“
„Gschichtldrucker“
Dominik Wlazny als Marco Pogo bei dem letzten Auftritt seiner Kabarettour im Wiener Stadtsaal.
Es ist ein großer Widerspruch in Dominik Wlaznys politischer Karriere. Auf Social Media und auf Veranstaltungen wie in St. Pölten lädt er alle ein, sich einzubringen. Interessierte können sich in eine Excel-Tabelle eintragen lassen, um Stammtische für Diskussionen zu organisieren – Beer-Groups statt Peer-Groups genannt – oder die eigene Expertise einzubringen. Irgendwann (Zeitpunkt noch offen), soll daraus dann ein „Menü“ mit Positionen entstehen (Inhalt noch offen). Aber was passiert, wenn völlig konträre Meinungen aufeinandertreffen oder sich Experten widersprechen? Wer entscheidet am Ende über die Parteilinie?
Kein Bezirksrat mehr
Selbst in den empfohlenen „Red’ ma drüber“-Videos gibt Wlazny höchstens den Rahmen vor, nur selten geht er inhaltlich ins Detail. Am konkretesten sind Forderungen wie: Schlussstrich unter homöopathische Behandlung, bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Väterkarenz schmackhafter machen, verbindliche Ziele gegen Bodenversiegelung. Schriftlich findet man aber auch lose Punkte wie: „In der Verfassung steht: Wir müssen uns selbst verteidigen. Können wir das?“ Oder: „Unser Einkaufswagerl muss leistbar bleiben.“ Neue innovative Ideen, wie sie Wlazny zu Beginn ankündigte, sind das noch nicht. Und der Weg dorthin ist unklar. Nur weil jemand niederschwelliges Engagement und Mitsprache verspricht, bedeutet das nicht maximale Transparenz und Kommunikation.
Schwer zu sagen, was Wlazny persönlich antreibt und was er politisch umsetzen möchte. Interviews mit ihm werden seit Wochen von seiner Medienstelle abgelehnt, Gespräche mit Kandidaten nicht vermittelt, Experten bis auf wenige Ausnahmen nicht namentlich genannt. Man konzentriere sich ganz auf den Aufbau der Partei. Selbst den eigenen Anhängerinnen und Anhängern wird nicht alles mitgeteilt: In St. Pölten ist manchen nicht klar, dass Wlazny seit zwei Wochen nicht mehr im Simmeringer Bezirksrat sitzt – das erste Amt, in das Wlazny als Politiker gewählt wurde. „Das wusste ich gar nicht“, sagt ein Bierpartei-Mitglied. Wie auch, Wlazny hatte es nie kommuniziert, sondern der SPÖ-Bezirksvorsteher. Auf Nachfrage hieß es aus der Bierpartei nur, der Schritt habe organisatorische Gründe, aber bitte warten: Genauere Erklärung folgt.
Knapp 10.000 Mitglieder Mitte Mai
Womöglich hat Wlazny dazugelernt. Wer zu früh zu viel sagt, dem kann das später vorgehalten werden. Anfang des Jahres setzte er öffentlich ein klares Ziel: Wenn seine Partei bis zum 30. April 20.000 Mitglieder oder gleichwertige finanzielle Unterstützer hat, wird er bei der Nationalratswahl kandidieren. „Es kann sein, dass es uns nicht gelingt“, sagte er, „dann haben wir es versucht.“
Es ist ihnen nicht gelungen, aber Wlazny versucht es weiter. Knapp 10.000 Mitglieder, 55 Prozent des Finanzierungsziels hatte er vor drei Wochen erreicht. Gab es einen Anlass für den Meinungsumschwung? Braucht er weniger Geld als gedacht? Oder hat Wlazny einfach so richtig Lust auf die Politik bekommen? Einen Monat nach dem Stichtag veröffentlichte er ein Video, in dem er genauer auf die Fragen eingeht. Er kandidiere trotzdem, „weil wir es uns zutrauen, bis zum Wahltermin das Glasl vollgemacht zu haben, weil der Zuspruch sehr groß ist und weil wir selber an uns glauben.“
Solange Wlazny sich nicht inhaltlich positioniert, so lange bleibt er Projektionsfläche. In St. Pölten trifft Anzug auf Metal-Festival-T-Shirt, Pensionist auf Student. Wlazny verkörpert für sie die Hoffnung auf einen neuen politischen Stil. Von profil angesprochen, schwankt ein Anwesender zwischen NEOS und Bierpartei, sollten die Inhalte stimmen. Bei einem anderen ist die Entscheidung noch völlig offen. Die aktiven Politiker hätten sie aber enttäuscht, sagen beide. Bis auf Dominik Wlazny.
Sie sind damit nicht allein. Bei der jüngsten Sonntagsfrage von Unique research für profil gaben sieben Prozent der Befragten an, dass sie derzeit der Bierpartei ihre Stimme geben würden. Diese kleine Gruppe hat vorher verschiedene Parteien gewählt. Teuerung, Asyl und Zuwanderung sowie Gesundheit sind Themen, um die sich die Politik ihrer Meinung nach vorwiegend kümmern sollte.
Und Dominik Wlazny? Vielleicht erfährt man mehr über sein Ansinnen, wenn man seiner Kunstfigur, Marco Pogo, zuhört. Vor drei Wochen beendete er seine „Gschichtldrucker“-Kabarettour. Bei seinem letzten Auftritt im Wiener Stadtsaal erzählt er vom Beginn der Spaßpartei, als die Satzung mit „Wo ein Wille, da Promille“ vom Innenministerium nicht sofort anerkannt wurde. In seinem Buch „Gschichtln“ wird Marco Pogo dann ernster: „Politiker ist nicht gerade ein Traumberuf. Deswegen wundert es mich, dass ich in meinem Leben tatsächlich eine politische Position eingenommen habe. Ich bin da aber irgendwie reingerutscht. Wie sagt man so schön? Das hat sich so ergeben.“
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.