Koalitionsverhandlungen

Sind die blau-schwarzen Verhandlungen am Ende?

Die Rufe nach einem Abbruch der blau-schwarzen Verhandlungen werden lauter. Auch aus der ÖVP. Vorerst wird jedoch weiterverhandelt.

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Im Parlament, direkt hinter dem Plenarsaal, saßen die Verhandler am Dienstag in einem schnöden Besprechungsraum zusammen: ovaler Tisch, gepolsterte Sessel. Davor warteten Medienvertreter stundenlang darauf, dass einer oder mehrere der Verhandler den Saal verlassen. Tatsächlich dürften die sechs Männer – wie Tags zuvor – den Raum nach kurzer Zeit über einen Hinterausgang verlassen haben. Die anwesenden Sicherheitsleute bewachten offenbar stundenlang einen leeren Raum vor den anwesenden Journalisten.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach am Nachmittag gegenüber dem ORF von einer „guten Atmosphäre“, bevor er sich zu seinem Termin bei Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen aufmachte – alleine, ohne Verhandlungspartner Christian Stocker. Die FPÖ will offenbar keinesfalls am Scheitern der blau-schwarzen Verhandlungen schuld sein. 

Van der Bellen dreht Einzelrunden mit Hündin, Kickl und Stocker

Nachdem Bundespräsident Van der Bellen mit seiner Hündin Juli eine letzte Runde am Heldenplatz gedreht hatte, stellte sich die Polizei um 17 Uhr zwischen die in der Kälte wartenden Journalisten und Kickl, der mit Sprecher Volker Höferl und Intimus Reinhard Teufel per Auto über den Ballhausplatz in die Hofburg fuhr. Demonstranten waren keine anwesend, dafür ein junger Mann mit blondem Seitenscheitel, der zwischen den Journalisten Kickl laut und fröhlich „Herbert!“ zurief. Kickl winkte lachend retour.

Nachdem Kickl um 18 Uhr die Hofburg verließ, folgte ihm Stocker. Im Gegensatz zu Kickl geht er zu Fuß zum Eingang der Präsidentschaftskanzlei und richtet auch einige Worte an die wartenden Journalisten: Es ginge um „Grundsätze, auf die wir eine Regierungsarbeit aufbauen können,“ so Stocker. Es gehe um „internationale Beziehungen“ und darum, dass „wir ein verlässlicher Partner in der EU sind“; ebenso um die „Unabhängigkeit von Russland“. Über all das „müssen wir noch reden, hier braucht es noch eine Einigung“. Das klingt nicht nach Abbruch – vorerst zumindest. 

Christian Stocker am Weg in die Hofburg

Van der Bellen will „rasche Klärung“

Am Abend meldete sich Van der Bellen nach den Gesprächen zu Wort – schriftlich. Aus seinem Statement kann man eine gewisse Ungeduld herauslesen: „Der Bundespräsident hat beide Parteichefs ersucht, rasch und endgültig zu klären, ob die Verhandlungen abgeschlossen werden können“, richtete die Präsidentschaftskanzlei aus. 

Schritt für Schritt hatte sich die Volkspartei in den vergangenen Tagen von Blau-Schwarz distanziert. Vergangenen Freitag veröffentlichte der ÖVP-Wirtschaftsbund eine Aussendung, in der er vor einer „Festung Österreich“ nach den Plänen von Herbert Kickl warnte. Ausgerechnet der Wirtschaftsbund, dem nachgesagt wurde, innerhalb der Volkspartei das größte Interesse an Blau-Schwarz zu haben. Dass am Wochenende die Verhandlungsprotokolle, auch via profil, publik wurden, interpretierten einige als Foul an den Freiheitlichen. Die Öffentlichkeit sollte sehen, welche zum Teil abstrusen Vorstellungen die Freiheitlichen für ein Regierungsprogramm haben – und für den Fall, dass die Verhandlungen platzen, Verständnis dafür haben.

Verhandlungspartner im Machtrausch

Sollte dahinter eine Strategie der Volkspartei gesteckt haben, hatte sie Erfolg: „Unanständig und feig“ sei es, die Schwächsten als Zielscheibe zu verwenden, schrieb die Armutskonferenz. Hilfsorganisationen wie die Caritas sahen in der geplanten Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit des Kirchenbeitrags und von Spenden an gemeinnützige Vereine einen „massiven Angriff auf Kirchen, auf Religionsgemeinschaften und auch auf den gesamten gemeinnützigen Sektor“. Medien, Künstlerinnen und Künstler warnten vor der Beschneidung des ORF und einer Orbánisierung Österreichs.

Am Montagabend präsentierte die Volkspartei den Freiheitlichen eine Liste, um gemeinsame Grundlinien außer Streit zu stellen. Die darin enthaltenen Punkte forderten die FPÖ vor allem dazu auf, sich in einer Koalition mit der ÖVP an die Verfassung zu halten und mit der EU zu kooperieren. Darüber hinaus wollte die ÖVP Kickl das Versprechen abringen, in Brüssel koordiniert aufzutreten und doch Sky-Shield beizutreten. Einziges Zugeständnis an die Freiheitlichen: vorübergehend keine neuen Asylanträge anzunehmen.

Beinahe zeitgleich entfernte sich die Volkspartei öffentlich von ihrem Verhandlungspartner: Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer hatte der FPÖ noch vor Beginn der Verhandlungen via Kronen Zeitung Dienstagfrüh ausgerichtet: „Wer nicht konsensbereit ist, und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit.“ Sein Namensvetter, der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer erklärte, „Kickl will offenbar keine stabile und handlungsfähige Regierung – er setzt auf totale Kontrolle und Macht“. Auch Ingrid Korosec, Präsidentin der ÖVP Senioren, ließ via Aussendung verlautbaren: „Von Herbert Kickl ist keine Kompromissbereitschaft zu sehen.“ Und ÖVP-EU-Delegationsleiter Reinhold Lopatka vermisste gegenüber der „Kleinen Zeitung“ einen pro-europäischen Richtungswechsel der FPÖ: „Da hat es wenig Sinn, noch weiter zu tun.“ 

Rote Vorbereitungen für Verhandlungen auch an Babler vorbei

Montagnachmittag wandte sich Andreas Babler mit einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit: Die SPÖ stünde für erneute Koalitionsverhandlungen bereit – alternativ würde sie auch eine „Regierung von Persönlichkeiten“ unterstützen, „die dem Parlament zur Seite stehen.“ Am Dienstag meldeten sich auch Wiens roter Bürgermeister Michael Ludwig und der rote Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser. Die Botschaft der SPÖ ist klar: Die Sozialdemokratie wartet auf die ÖVP. 

In der SPÖ-Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße trifft das Team rund um den Vorsitzenden Andreas Babler Vorbereitungen für den Moment des Verhandlungsendes zwischen FPÖ und ÖVP. Doch welche Rolle würde Babler im Fall neuer Koalitionsverhandlungen spielen? Keine Rede davon, dass Babler in diesem Moment als Parteivorsitzender ausgetauscht werden soll – das kann vor allem Bürgermeister Michael Ludwig zum jetzigen Zeitpunkt nicht brauchen, der am 27. April in Wien, wo Babler unter den Genossen beliebt ist, Wahlen zu schlagen hat. Doch wie groß ist Bablers Wirkungsmacht darüber hinaus? Die Wiener SPÖ betont zwar, dass Babler der gewählte Parteivorsitzende ist, den sich die anderen Parteien nicht aussuchen könnten. 

Verhandlungsführer bleibt Andreas Babler.

Bablers Umfeld bleibt hart

Dass die Wiener im Fall neuer Koalitionsverhandlungen eine tragende Rolle spielen würden, verhehlen sie jedoch nicht – im Gegenteil: Es ist die Botschaft, die ihnen am wichtigsten ist und die ist an die ÖVP gerichtet. Soll heißen: Um Babler wird sich die SPÖ selbst kümmern; der Parteichef kann zwar in der Löwelstraße sitzen bleiben, entscheiden werden andere. Etwaige neue Verhandlungen würden „an Babler vorbei“ geführt werden, ist es aus den Bundesländern zu vernehmen. Schließlich sei er nicht nur eine Reizfigur innerhalb der SPÖ, sondern vor allem für die ÖVP, genauso wie die Neos. Aus Bablers Umfeld heißt es jedoch, das Verhandlerteam würde gleich bleiben – „Verhandlungsführer bleibt Andreas Babler“.

Pinker Vorschlag, schwarze Absage

Auch die Neos erklärten sich am heutigen Dienstag für weitere Gespräche bereit. „Ich bin überzeugt, Österreich hat Besseres verdient, und ja, es gibt Alternativen zu dieser Situation, zu dieser Tyrannei der FPÖ“, sagte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, der ÖVP stünden „alle Türen offen“. Konkret meint sie damit offenbar eine Minderheitsregierung aus ÖVP und Neos. Den Wortmeldungen von SPÖ und Grünen (bei denen heute Mittag heftiges Treiben hinter den Kulissen ausbrach) will die Neos-Chefin eine Offenheit für ein derartiges Szenario entnehmen.

Alternativ stünden Neos auch für neuerliche Dreiergespräche mit ÖVP und SPÖ bereit, erklärte Meinl-Reisinger, „auch in moderierender Rolle“. Dafür müsste die SPÖ aber „in die Mitte rücken“, findet Mein-Reisinger. An die ÖVP, die derzeit aus Meinl-Reisingers Sicht mit einem „selbst ernannten, machtlüsternen Volkskanzler“ verhandelt, gibt es von ihr keinen derartigen Appell. Das persönliche Verhältnis der Neos-Chefin zu SPÖ-Chef Andreas Babler gilt seit den Verhandlungen um eine Dreier-Koalition als belastet. Schon im Nationalratswahlkampf war Babler der Kandidat, mit dem sich Meinl-Reisinger neben Kickl am schwersten tat.

Die mächtigste Frau der Volkspartei, Johanna Mikl-Leitner, kritisiert indes die SPÖ. Am Rande einer Pressekonferenz erklärte sie, die SPÖ habe bei den Dreierkoalitions-Gesprächen „retrosozialistischen Forderungen“ erhoben und so ÖVP und Neos „vom Verhandlungstisch gedrängt“. Dass die SPÖ nun sage, die Hand sei ausgestreckt, „scheint mir unglaubwürdig zu sein“, befand Mikl-Leitner. Die Frage nach der von den Neos vorgeschlagene Minderheitsregierung stelle sich aktuell aufgrund der laufenden Regierungsverhandlungen nicht. Gleichzeitig wandte sich Niederösterreichs Landeshauptfrau scharf an FPÖ-Chef Kickl: „Wenn ich Bundeskanzler dieser Republik werden will, dann ist das auch eine ganz große Verantwortung. Mit dieser Verantwortung verbunden ist natürlich auch die Kompromissfähigkeit und vor allem auch die Fähigkeit, Brücken zu bauen, um Kompromisse und gemeinsame Zugänge zu schaffen.“

Van der Bellen vermittelt und entscheidet

Scheitern die blau-schwarzen Verhandlungen, liegt der Ball wieder bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Die Hofburg wurde in den letzten Monaten zum zweiten Zentrum der Verhandlungen, in dem Van der Bellen sich regelmäßig mit den Parteichefs austauschte. Auch vergangene Woche, als es zwischen FPÖ und ÖVP aufgrund der blauen Personalwünsche zum ersten Mal richtig krachte, sollten ausgerechnet Termine beim Bundespräsidenten die Wogen glätten. Auch am heutigen Dienstag soll es Van der Bellen wieder richten. Die beiden Termine mit Kickl und Stocker standen schon in der Früh fest.

Sollten die blau-schwarzen Verhandlungen scheitern, gehen Van der Bellen langsam die Optionen aus: Nach ersten Sondierungsgesprächen nach der Wahl hatte er dem damaligen ÖVP-Chef Karl Nehammer den Regierungsbildungsauftrag erteilt und überging damit bewusst den Anführer der stimmenstärksten Partei Herbert Kickl. Doch die Volkspartei konnte sich mit SPÖ und Neos auf keine Koalition einigen, FPÖ-Chef Kickl im Anschluss womöglich nicht mit der ÖVP. 

Sollten die zwei stärksten Parteien zu keiner Einigung finden: Wem soll der Bundespräsident jetzt noch den Regierungsbildungsauftrag erteilen? Usus wäre es, den Regierungsbildungsauftrag nach gescheiterten Verhandlungen zurückzugeben. Ob Herbert Kickl dieser Usance folgt, ist aber fraglich. Wieder einmal wäre Van der Bellen in einer völlig neuen Situation: Entweder vergibt er gar keinen Regierungsbildungsauftrag und überlässt es den Parteien gänzlich selbst, Mehrheiten im Nationalrat zu finden, oder er erteilt der zweitstärksten Partei zum zweiten Mal den Regierungsbildungsauftrag. Oder er ernennt eine Regierung aus Expertinnen und Experten, die zumindest nicht vom Parlament gestürzt wird und das Land in den nächsten Monaten führt, bis sich eine neue Koalition findet, oder die Abgeordneten Neuwahlen beschließen.

Ob sich die Parteien dazu entschließen, die Bevölkerung bald zu den Urnen schreiten lassen, ist mehr als unsicher: Die Spitzen von ÖVP und SPÖ sind angeschlagen, Grünen-Chef Werner Kogler wollte sich eigentlich im Sommer zurückziehen. Dazu sind die meisten Parteien nach der Nationalratswahl im September knapp bei Kasse bis hoch verschuldet. Eine baldige Neuwahl können sich daher vor allem ÖVP und SPÖ weder politisch noch finanziell leisten.

Zudem könnten Neuwahlen die derzeitige Pattsituation noch verschärfen. Derzeit haben ÖVP und SPÖ noch eine knappe Mehrheit im Nationalrat. In aktuellen Umfragen kommen die beiden Parteien zusammen aber nur noch auf rund 40 Prozent der Stimmen, selbst eine Dreier-Koalition wäre somit knapp. Die FPÖ steht derzeit in Umfragen bei rund einem Drittel der Stimmen. Erreicht Kickls Partei dieses Ergebnis bei einer Nationalratswahl, kann die Verfassung nicht mehr ohne die Freiheitlichen geändert werden.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.