Koalitionsgespräche

Blau-schwarze Verhandlungsprotokolle: Das haben sie mit uns vor

profil liegt das 223-seitige Protokoll der Unterverhandlungsgruppen vor, das zeigt, welche Pläne die Parteien für das Land haben – worauf sie sich geeinigt haben und worauf nicht. Bitte anschnallen. Es ist wild.

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Bis morgen ist Funkstille. Die Verhandler von Blau und Schwarz hatten sich ob der Ressortverteilung derart in die Haare bekommen, dass man am Freitag nach einer kurzen Sitzung beschloss, erst Montag weiter zu machen und das Wochenende Wochenende sein zu lassen. Nun ist die Ressortaufteilung sicher ein gewichtiger Brocken in Verhandlungen – allerdings legt das 223-Seiten-starke Protokoll der Unterverhandlungsgruppen noch ganz andere Probleme dar, die noch aus dem Weg zu räumen sind.  Kurz zur Erklärung: Das Protokoll folgt weitgehend einem Ampelsystem. Grün = Einigung. Gelb = noch in Details zu verhandeln. Rot = man hat keine Einigung gefunden, die Chefs müssen entscheiden. Und diese rote Liste ist lange und brisant.

Wir werden Ihnen in den nächsten Tagen sehr genau aufdröseln, worauf man sich einigen konnte und worauf nicht –  wir werden ausführlich aus dem Dokument zitieren. Solange so etwas noch erlaubt ist. Denn worauf sich Blau-Schwarz offenbar schnell einigen konnten, ist ein Aktenzitierverbot für strafrechtliche Verfahren –  dafür will man aber eine Stärkung der Immunität von Abgeordneten. Komisch oder? Wo es doch noch immer zahlreiche Beschuldigte schwarzer und blauer Couleur gibt. Damit kein falscher Eindruck entsteht, könnte man ja gleich mal ein wenig die Pressefreiheit einschränken als erstes Zeichen für eine neue Ära unter „Volkskanzler“ Kickl. Bitte abonnieren Sie uns – das Land wird kritische Medien dringend brauchen.

GEDENKEN AN DIE BEFREIUNG VOM NATIONALSOZIALISMUS UND AN DAS KRIEGSENDE IN EUROPA: NEHAMMER / DEUTSCH

Medien sind ein großer Streitpunkt – und auch das steht auf der roten Liste.

Israel und die historische Verantwortung

Die FPÖ bemüht sich seit Jahren, ihre Nazi-Vergangenheit loszuwerden und sucht Kontakt zur jüdischen Community, die sich bisher nicht beirren ließ und die FPÖ mied. Das wird sie wohl weiterhin tun, spätestens, wenn sie das hier liest. Auf Rot stehen etwa folgende Formulierungen, auf die man sich nicht einigen konnte „Fortführung der Israel-Politik als Staatsräson“. Oder: „Österreich hat besondere, historische Verantwortung“. Oder: „Bekenntnis zu Israel als jüdischer und demokratischer Staat. Österreich wird in internationalen Organisationen Initiativen und Resolutionen, die diesem Bekenntnis zuwiderlaufen, nicht unterstützen.“ Geeinigt hat man sich darauf, dass sich Österreich für nachhaltige Friedenslösungen in Nahost einsetzt – Ziel: Zweistaatenlösung. Ebenfalls rot: Die Errichtung eines Holocaust-Museums. Das Haus der Geschichte deckt mit geringen Geldmitteln einen Teil dieser historischen Aufarbeitung ab. Dazu findet sich im Protokoll: „Haus der Geschichte Ö – Evaluierung des inhaltlichen Konzepts sowie der geplanten Struktur (Anmerkung ÖVP rot: FPÖ: Rücksprache mit Gruppe Budget wegen Einsparungspotential durch späteren Baubeginn).“ Offenbar ist man der Meinung, dass wir sowas auch 80 Jahre später nicht brauchen. 

Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), das sich wissenschaftlich mit Österreichs Nazi-Vergangenheit und Rechtsextremismus in der Gegenwart beschäftigt, will die FPÖ gerne abschaffen. Rot: „Bekämpfung jeglicher Formen von Extremismus, daher Abschaffung eines eigenen Rechtsextremismusberichtes des DÖW.“ 

Der Bericht der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst soll alle verfassungsschädigenden Phänomene umfassen. 

„Daher sofortige Beendigung des Vertrags mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Das DÖW ist kein Amt und keine Behörde. Seine Mitteilungen haben daher keinerlei offiziellen Charakter, sondern stellen die politische Agitation einer privaten Organisation dar“, findet die FPÖ. 

Apropos Israel. Ob der Pro-Gaza-Demonstrationen hat es große Diskussionen gegeben. Die ÖVP wollte offenbar eine Möglichkeit schaffen, derartige Demonstrationen zu untersagen – das geht freilich nicht, ohne es allgemein zu formulieren, und dann würde es auch andere, zum Beispiel rechtsextreme Gruppierungen treffen. Rot: Kampf gegen jede Form von Extremismus (links, rechts, politisch oder religiös) und Dissens darüber, inwieweit harte Maßnahmen und Versammlungsverbote zum Tragen kommen sollen. Man wehrte sich auch gegen den Vorschlag, Versammlungen untersagen zu können wenn „diese auf schwerwiegende Weise den Wertvorstellungen und Grundprinzipien eines europäischen, demokratischen Staates“ zuwiderlaufen.

Österreich zuerst

Eine äußerst lange Liste roter Punkte findet sich im Kapitel Internationales. Während die ÖVP weiter internationale Kooperationen anstreben möchte, will sich die FPÖ möglichst daraus wegbewegen. Westliche Allianzen werden eher infrage gestellt – dafür ist eine Neigung gen Russland spürbar.

Man hat sich darüber gezankt, inwieweit man im Regierungsprogramm ein Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharte sowie der Rechtssprechung von VfGH, EGMR und EuGH verankert haben möchte. Die FPÖ will das am liebsten gar nicht. Sie pocht auf eine klare Ablehnung einer EU-Armee. Sie will einen „Schutz vor EU-Klimaverboten“ und einen Rückbau des Digital Service Acts, man spricht vor einer „klaren Ablehnung“ von Zensur- und Überwachungsgesetzgebung“. So kann man es auch nennen, wenn auf EU-Ebene mit Initiativen wie dem Digital Service Act gegen Hass im Netz und intransparente, ausländische Finanzströme oder russische Trollfarmen vorgegangen wird. Der digitale Euro wird abgelehnt – und man will eine Absage an die geplante „Chatkontrolle der EU-Kommission“. 

Die EU-Kommission hatte 2022 einen Vorschlag vorgelegt, wonach Anbieter wie Google oder Facebook unter bestimmten Umständen verpflichtet werden können, ihre Dienste mithilfe von Software nach Missbrauchsdarstellungen von Kindern zu durchsuchen.

Weiters auf Rot: „Die Beiträge zur Europäischen Friedensfazilität (EPF) sind einzustellen, soweit sie dem Neutralitätsverständnis widersprechen.“ 

„Österreich steigt aus der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) aus, um die immerwährende Neutralität Österreichs zu unterstreichen.“ „Österreich steigt aus dem State Partnership Program mit der US-Nationalgarde in Vermont aus, um die immerwährende Neutralität Österreichs zu unterstreichen.“

Die ÖVP fordert ein Bekenntnis zum österreichischen Engagement internationaler, friedenserhaltender und humanitärer Auslandseinsätze. Die FPÖ fordert, dass die nur unter UN-Mandaten passieren dürften. Die Blauen wollen, dass Beiträge zu internationalen Organisationen deutlich reduziert werden. Man will eine umfassende Evaluierung sämtlicher bestehender, internationaler Abkommen und völkerrechtlicher Verträge. Außerdem soll ein jährlicher Bericht über sämtliche Geldflüsse der internationalen Organisationen angefertigt werden. 

Die ÖVP wünscht sich eine Weiterführung der Beflaggung aller Amtsgebäude mit der Unions-Flagge – die FPÖ ist dagegen.

Die FPÖ möchte, dass EU-Beitrittsgespräche mit Ländern, welche sich im Krieg befinden, nicht geführt werden. Das beträfe in dem Fall konkret die Ukraine. Die ÖVP möchte weiter die Westbalkanstaaten unterstützen und deren Beitrittsperspektive stärken – die FPÖ nicht. Die will lieber Russland stärken und eine Prüfung der Russlandsanktionen, ihrer Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort und will österreichspezifische Ausnahmen bei nächstmöglicher Gelegenheit ausverhandeln. Die ÖVP würde sich lieber aktiv in die Verhandlungen zu den Russlandsanktionen einbringen. Und dass Österreich wie bisher im Einklang mit den Mitgliedsstaaten an gemeinsamen Maßnahmen mitwirkt. Veto, FPÖ.

Begründet wird das alles mit der heißgeliebten Neutralität – die in diesem Papier überhaupt ständig als Argumentation herhalten muss. Man will auch Verfassungsänderungen zur Stärkung der Souveränität Österreichs, die sicherstellen, dass internationale Entscheidungen nationale nicht untergraben – und ganz prinzipiell soll internationale Rechtssprechung der nationalen nachgereiht werden. Die FPÖ findet, dass Urteile internationaler Gerichtshöfe so restriktiv und „zum spätestmöglichen Zeitpunkt umgesetzt werden sollten“. So kann man es auch ausdrücken, dass man diese nicht mehr respektieren will.

Asyl und Migration

Die ÖVP ist im Vergleich zu vor zehn Jahren in ihrem Asylkurs weit nach rechts geschwenkt. Dennoch sind ihnen manche FPÖ-Vorschläge dann doch noch zu heftig. Die Blauen wollen zum Beispiel einen Grenzzaun: „Stärkung und Ausbau der österreichischen Grenzsicherung durch technische Sperren. Sensible Grenzabschnitte sind mit Zäunen zu sichern. Schaffung eines Straftatbestandes der Überwindung der technischen Sperren.“ Man will aus dem UN-Flüchtlingspakt aussteigen – und den EU-Migrationspakt nachverhandeln, um ihn noch mehr zu verschärfen. Man will Migrationszentren in Drittstaaten und die Legalisierung von Push-Backs an EU-Außengrenzen. Die ÖVP forciert lieber die Umsetzung des Migrationspakts.

++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ EU-WAHL: EU-LEXIKON: ASYL/FLÜCHTLINGE - ERSTAUFNAHMESTELLE TRAISKIRCHEN

Die FPÖ möchte einen Ausbau mit „gleichgesinnten Staaten“, um Druck auf die Kommission auszuüben. Man will „aktives Nutzen des Veto-Rechts und junktimieren in allen Bereichen, in denen Einstimmigkeitsprinzip besteht“ – Kickl kündigt also bereits Randale in Brüssel an. Die ÖVP will das so nicht im Regierungsprogramm stehen haben.

Und dann denkt man offenbar darüber nach, das Asylrecht durch Notgesetze ganz auszusetzen und ist der Meinung, dass das in Einklang mit EU-rechtlichen steht.

Covid

Herbert Kickl führte als FPÖ-Chef Corona-Demos an, hielt dort Hassreden und empfahl ein Pferdeentwurmungsmittel als Therapie. Das brachte ihm die Stimmen der Corona-Leugner bei dieser Wahl, und für die will er was tun. Die FPÖ schlägt vor: „Aufarbeitung von Corona-Maßnahmen innerhalb aller Bereiche der Justiz“. „Entschädigungszahlungen in Form von Schmerzensgeld und Schadenersatz an Bürger und Unternehmen, die durch die Covid-Gesetzgebung geschädigt wurden.“ Und: „Entschädigungsleistungen in Form von Schmerzensgeld und Schadenersatz für Bürger, die unter Impfschäden durch die Covid-19-Impfungen leiden.“ 

Einen Fonds für Opfer von Impfschäden gibt es übrigens schon. 

Weitere Punkte auf der roten Liste

  • Die FPÖ will keinen Bundesstaatsanwalt, den es geben sollte, damit Strafverfolgungsbehörden unabhängig von der Politik agieren können. 
  • Die FPÖ will eine Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft und dass man sich für die „Wiederherstellung der Autonomie“ einsetzt. 
  • Die ÖVP will eine Ausweitung der Befugnisse des Nachrichtendienstes, des Staatsschutzes und der Kriminalpolizei und darum auch eine Überwachung von Messengerdienst-Überwachungen. Die FPÖ will das nicht. 
  • Rot: „Effiziente Bekämpfung von Desinformation Zusammenarbeit im europäischen Verbund gegen ausländische Einflussnahme.“
  • „Ein Schwerpunkt der Strategieentwicklung soll auf Vermitteln von Medienkompetenz in Schulen und Bildungseinrichtungen inklusive Erwachsenenbildung gelegt werden. (FPÖ Dissens, Anmerkung: Unparteilichkeit und Objektivität)“  
  • aus dem Protokoll: Beitrag im Kampf gegen fake news und Desinformation u.a. durch Erhöhung der Medienkompetenz für Schülerinnen und Schüler. (FPÖ Dissens Wording fake news)“
  • Die FPÖ will Abschaffung der CO2-Bepreisung. 
  • Zitat: „Kein Missbrauch der Polizei wie es unter „Corona“ passierte. Unsere Polizisten sind für die Aufrechterhaltung der Sicherheit in unserem Land zuständig und nicht für politische Zwecke.“
  • Die FPÖ will eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: „Anhebung der Anforderungen und Wartefristen auf die Staatsbürgerschaft. (einheitlich lange Dauer von 30 Jahren)“. Für ehemalige Asylwerber soll es eine Staatsbürgerschaft auf 5-Jahre-Probezeit geben.

Angenähert (rot und gelb) hat man sich bei der Diskussion rund um eine Liberalisierung des Waffenrechts. Und ideologisch offenbar auch wichtig: „Nur zwei Geschlechter. Es ist völlig skurril, dass laut Meldegesetz die Auswahl zwischen sechs Geschlechtsbezeichungen möglich ist. Biologisch gesehen gibt es zwei Geschlechter“. Gelb. Hier geht es offenbar nur mehr um die Formulierung – gestritten wird allerdings noch, ob man gendergerechte Rechtschreibung in Schulbüchern abschaffen will oder nicht. 

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.