Kapitel Familie: FPÖ will Gesetz zur Pseudodiagnose „Parental Alienation Syndrome“
Seit zehn Jahren ist Ulrike Altendorfer-Kling Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Salzburg. Sie ist Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und eigentlich dachte sie einen fundierten Überblick über sämtliche Störungsbilder zu haben, die in der international anerkannten diagnostischen Literatur wie dem ICD10, ICD 11 oder dem DSM5 zu finden sind. Der Terminus „Parental Alienation Syndrome (PAS)“ war der Expertin jedoch kein Begriff. Er stach ihr bei der Lektüre eines Gutachtens ins Auge, in dem es um ein zweijähriges Kind ging, dessen Mutter den Vater beschuldigt hatte, es sexuell missbraucht zu haben. Das Gutachten kam zum Schluss: Das Kind leide nicht an den Folgen eines sexuellen Übergriffs, sondern am „Parental Alienation Syndrom“. Der Vater habe sich nichts zuschulden kommen lassen, vielmehr habe die Mutter das Kind vom Vater entfremdet, so das Gericht, das die Bedenken der Mutter beiseite schob und für geteilte Obsorge entschied. Altendorfer-Kling fing an den mysteriösen Begriff „Parental Alienation Syndrome“ zu recherchieren um fand heraus, dass sie als Kinderpsychiaterin, die sich an die wissenschaftlichen Standards hielt, diesen Begriff gar nicht kennen konnte: Denn das „Parental Alienation Syndrome“, zu Deutsch Eltern-Entfremdungssyndrom, ist eine glatte Pseudodiagnose. Sie findet sich weder im ICD10, noch im ICD 11 und auch nicht im DSM5. Wo sie sich jedoch sehr wohl wiederfindet, ist auf Seite 18 des Protokolls der Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP. Die FPÖ fordert dort die „Schaffung eines Gesetzes zum Elternentfremdungssyndrom“.
„Kinderschutz systematisch aushebeln“
Im blau-schwarzen Papier heißt es: „Psychische Kindesmisshandlung / psychischer Kindesmissbrauch wird weithin nicht erkannt, ist schwer zu erkennen, wird aber auch ignoriert und toleriert. Eine Sonderform der psychischen Kindesmisshandlung ist das Elternentfremdungssyndrom (Parental Alienation Syndrom, PAS), das als schwere mentale und behandlungsbedürftige Störung zu bezeichnen ist. Die Symptome betreffen im Einzelfall Angst- und Panikstörungen, Entwicklungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, sowie Störungen durch negative Kindheitserlebnisse und Familienzerrüttung durch Trennung und Scheidung.“ Was für eine Art von Gesetz sich daraus ergeben soll, ist in den Regierungsprotokollen nicht ausgeführt. Sollte es dazu kommen, egal wie es aussieht, habe es das Potenzial, „den Kinderschutz systematisch auszuhebeln“, fürchtet Alterndorfer-Kling.
Dass Kinder bei Trennungen leiden können, ist eine Tatsache – das bedeute jedoch nicht, dass ein neuer Zusatz im Familienrecht hier Abhilfe schaffen könnte, sagt Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der Kinderschutzeinrichtung „die Möwe“: „Ja, es gibt eine relevante Problematik bei hochstrittigen Trennungen und Scheidungen – und diese werden tendenziell mehr – wo Kinder im Rahmen von elterlichen Streitigkeiten manipuliert und in ihren Bedürfnissen übersehen werden können, das ist sicher eine Form der psychischen Gewalt. Der Begriff der ‚Entfremdung‘ greift zu kurz, zumal das sogenannte ‚Parental Alienation Syndrome‘ wissenschaftlich als Diagnose nicht anerkannt ist und es fast immer um gegenseitige Anschuldigungen der Eltern geht.“
Der Terminus „Parental Alienation Syndrome“ jedenfalls kommt aus den USA, wo er in den 1980er-Jahren vom Gerichtsgutachter und Kinderpsychiater Richard A. Gardner eingeführt wurde. „Nur wurde dieses Phänomen nie wissenschaftliche evaluiert“, sagt Altendorfer-Kling. Das Parental Alienation Syndrome sei „ein Kampfbegriff geworden, um – vor allem Mütter – und ihre Bedenken nicht ernst zu nehmen“, so die Kinderpsychiaterin. Indem man der Mutter vorwerfe, das Kind vom Vater zu entfremden, könne man all ihre Bedenken oder Anschuldigungen von Schlägen bis zur sexuellen Gewalt beiseiteschieben. Diese Vorwürfe erheben Mütter häufiger gegenüber Vätern als umgekehrt. „Der Begriff Parental Alienation Syndrome ist vielfach regelrecht eine Keule, die Frauen zum Schweigen bringen soll.“
Das sogenannte Parental Alienation Syndrome und auch der damit in Zusammenhang stehende Begriff der „Bildungsintoleranz“ hat jedenfalls längst Eingang in die österreichische Rechtspraxis gefunden. Seit 2001 gab es in der Rechtsdatenbank Manz 2200 Entscheidungen, die diesen Begriff aufweisen.
Der Vorschlag der FPÖ jedenfalls ist auf rot – das bedeutet, dass die Volkspartei dagegen ist. Was nicht bedeutet, dass die FPÖ in Zukunft von diesem Begriff ablassen wird.