Kapitel Justiz: Immune Parteiklubs und Kinder hinter Gittern
FPÖ und ÖVP haben Probleme mit der Justiz. In zehn verschiedenen Causen ermitteln die Staatsanwaltschaften derzeit gegen mehr als ein Dutzend ehemalige und aktive blau-schwarze Spitzenpolitiker – inklusive der ÖVP als Partei. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Schon in der Einleitung des Justiz-Kapitel der geleakten blau-schwarzen Verhandlungspapiere machen die beiden Parteien klar, wer aus ihrer Sicht verantwortlich für lange Ermittlungen gegen sie ist – nicht sie selbst: „Überlange Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, die häufig mit Einstellungsbeschlüssen oder Freisprüchen endeten, haben nicht nur das Vertrauen in die Justiz beeinträchtigt, sondern auch zu erheblichen finanziellen Belastungen geführt.“
Weniger Ermittlungen gegen FPÖ und ÖVP
Wie würden FPÖ und ÖVP in einer Regierung auf die Ermittlungen gegen sie reagieren? Sie wollen nicht die Justiz schwächen, sondern sich selbst gegen strafrechtliche Verfolgung schützen. Die parlamentarische Immunität solle ausgeweitet werden, schlägt die FPÖ vor – und auf die Klubs ausgeweitet werden, was immer das genau bedeuten soll. Die „ÖVP prüft“ laut Protokoll diesen Vorschlag, das Ziel ist klar: Weniger Ermittlungen gegen FPÖ und ÖVP.
Schon jetzt müssen Staatsanwaltschaften prüfen, ob sie gegen Abgeordnete ermitteln dürfen oder ob deren Verhalten doch elementarer Teil ihrer parlamentarischen Tätigkeit war. Entscheidet das Parlament, die Immunität eines Abgeordneten nicht aufzuheben, kann die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln und nicht anklagen, ein Gericht kann dann auch nicht über Schuld oder Unschuld des Abgeordneten entscheiden.
Dazu fordern die beiden Parteien eine Reform des Tatbestandes der Untreue (§ 153 StGB). Beiden Parteispitzen wird die Veruntreuung von Ministeriumsgeldern für Parteiinteressen vorgeworfen. Sie bestreiten den Vorwurf. Grundlage der meisten Ermittlungen gegen FPÖ und ÖVP waren anonyme Anzeigen. Die FPÖ fordert, dass der Name des Anzeigers künftig der Polizei, die dem Innenminister untersteht, und der Staatsanwaltschaft, die an Weisungen des Justizministers gebunden ist, bekannt sein muss. Die ÖVP ist gegen diesen Vorschlag.
FPÖ will mehr Hetze erlauben, vor allem gegen Religionen
Die geplante Ausweitung der parlamentarischen Immunität auf Klubs hätte jedenfalls weitreichende Folgen: „FPÖ TV“ und „Zur Sache“, die beiden Parteimedien von FPÖ und ÖVP, werden vom jeweiligen Parlamentsklub betrieben. Ist der Klub vor strafrechtlicher Verfolgung immun, könnten es auch seine Medien sein – und dann ohne Risiko falsche oder hetzerische Propaganda verbreiten.
Ohnehin scheint es der FPÖ ein Anliegen zu sein, dass Verhetzung (§283 StGB) seltener eine Straftat wird. Bis zu zwei Jahre Haft drohen derzeit, wenn man zu Gewalt oder Hass gegen eine bestimmte Gruppe an Menschen aufruft, etwa aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihrer Religion. In den Verhandlungen forderte die FPÖ, dass nur noch Aufrufe zu physischer Gewalt als Verhetzung gelten und damit strafbar sein sollten. Die ÖVP legte vorerst ein Veto gegen diesen Vorschlag ein. Auch die komplette Streichung des Straftatbestandes der Herabwürdigung religiöser Lehren (§188 StGB) lehnte die ÖVP ab.
Für den Fall, dass trotzdem Ermittlungen eingeleitet werden, will Blau-Schwarz die Beschuldigtenrechte stärken und die Berichterstattung über laufende Verfahren bremsen. Konkret sollen direkte Zitate aus Ermittlungsakten beschränkt werden. Ein derartiges Zitierverbot hätte etwa verhindert, dass Sätze wie „Vergiss nicht – du hackelst in einem ÖVP-Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!“ vom damaligen Generalsekretär des ÖVP-geführten Finanzministeriums, Thomas Schmid, einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind.
„Klimakleber“ und Tierschützer im Visier
Dort, wo die Parteien offenbar nicht fürchten, selbst das Strafrecht zu brechen, wollen sie es verschärfen: Suchtmittel-Delikte sollen vermehrt als „besonders schwere Straftat“ gelten. Die Mindest- und Höchststrafen bei Kindesmissbrauch sollen nach dem erst im Herbst 2023 beschlossenen türkis-grünen Kinderschutzpaket erneut erhöht werden. Zwangs- und Kinderehen sollen explizit verboten, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse stärker durch das Strafrecht geschützt werden.
Auch einen bestimmten politischen Gegner wollen FPÖ und ÖVP ins Visier der Strafjustiz stellen – obwohl er gar nicht mehr existiert: Gegen „Klimakleber“ sollen eigene Strafbestimmungen geschaffen oder konkretisiert werden. Die „Letzte Generation“, die mit Klebe-Aktionen Verkehrsadern blockiert hatte, hat sich allerdings im August 2024 aufgelöst. Auch gegen Tierschutz-Aktivisten wollen die FPÖ und ÖVP härter vorgehen: Das illegale Eindringen in Stallungen soll unter Hausfriedensbruch fallen. Und: Der „politische Islam“ soll verboten werden, Kopftuch, Burka und Niqab als „Formen der Unterdrückung“ definiert werden.
Kinder hinter Gitter
Künftig sollen auch Kinder ins Gefängnis gesteckt werden können, fordern FPÖ und ÖVP. Beide Parteien hatten im Wahlkampf eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahren versprochen. Haftstrafen für 12-jährige Kinder wären daher ein Kernpunkt einer blau-schwarzen Justizpolitik. Damit wollen die Parteien auf „wiederholte Vorfälle strafbarer Handlungen, begangen von minderjährigen Personen mit eindeutigem kulturellem und religiösem Hintergrund, die öffentliche Sicherheit in einigen Regionen und Städten sowie Stadtviertel Österreichs beeinträchtigt“ reagieren.
Dass ein Kind hinter Gitter landet, soll „als allerletzte Maßnahme vorgesehen sein“, betonen die Parteien in ihrem Verhandlungsprotokoll. Davor müssten Sachverständige etwa prüfen, ob die Kinder überhaupt in der Lage sind, ins Gefängnis zu kommen und die Gerichte entscheiden, ob andere Maßnahmen sinnvoller erscheinen. Die Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, Elena Haslinger, befürchtet dadurch einen „massiven Mehraufwand für die Staatsanwaltschaften und enorme Mehrkosten bei den Sachverständigen – von denen es gerade im Bereich der Jugendpsychiatrie zu wenig gibt“, sagte sie zu profil.
Zudem stellt sich die Frage, wo die kindlichen Straftäter untergebracht werden sollen. Die Gefängnisse platzen auch ohne die blau-schwarzen Verschärfungen aus allen Nähten, zu Jahresbeginn waren sie mit 106,66 Prozent Belagsquote klar überbelegt. Lösen wollen FPÖ und ÖVP dies durch Haft in den Heimatländern der Straftäter. Doch viele Länder weigern sich bereits, aberkannte Asylwerber zurückzunehmen, von Straftätern ganz zu schweigen. Zudem soll die elektronische Fußfessel häufiger zur Anwendung kommen – etwa bei Wirtschaftsstraftaten, wie sie den Parteispitzen von FPÖ und ÖVP vorgeworfen werden.
Die wohl größte, grundlegende Reform in der Justiz wird Blau-Schwarz wohl kaum antasten: Derzeit unterstehen die Staatsanwaltschaften den Weisungen der Justizministerin und damit der Politik. Eine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft würde das ändern. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ließ dafür bereits ein Modell mit Dreier-Senaten ausarbeiten.
Doch die FPÖ tritt in den Verhandlungspapieren „entschieden gegen“ eine Generalstaatsanwaltschaft ein – ausgerechnet „zur Garantie, dass die Strafverfolgung unabhängig von der Politik weisungsfrei agieren kann und nicht politisch missbraucht wird“. Die ÖVP will indes einen Bundesstaatsanwalt. Betonung auf: Einen. Eine einzelne, vom Parlament bestimmte Person soll die heikelsten Entscheidungen der Staatsanwaltschaften treffen. „Da ist es besser, wir bleiben bei dem jetzigen System“, sagt die Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung zu diesem Vorschlag.