Blaue Seite: Wie die FPÖ den ORF umbauen wollte
Von Lena Leibetseder, Max Miller und Jakob Winter
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Der ORF ist der FPÖ wichtig. So wichtig, dass die Freiheitlichen heuer Ende Jänner eine Aktuelle Stunde des Nationalrates zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzten. Einen „sehr passenden Einstieg“ in das „Superwahljahr“ nannte FPÖ-Chef Herbert Kickl die Sitzung – und zog dann über den ORF her: Kickl vermisst „Objektivität und Unabhängigkeit“ im Öffentlich-Rechtlichen und ortet „als Journalisten getarnten Politikakteure“. Sollte die FPÖ in die Regierung kommen, kündigt Kickl einen „Neustart“ des ORF an.
Als Blaupause dafür könnten wohl auch Pläne dienen, die die FPÖ 2018 und 2019, damals Regierunspartei, in einer Chatgruppe skizzierte. Die Chatverläufe liegen profil vor.
„Liebe Freunde“, schrieb EU-Abgeordneter Harald Vilimsky am 25. April 2018 in die hochkarätig besetzte Gruppe: FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der damalige ORF-Stiftungsratsvorsitzende Norbert Steger und der damalige blaue Klubobmann Johann Gudenus waren ebenso Teil der Gruppe wie der damalige Regierungskoordinator und heutige dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer, der damalige FPÖ-Stiftungsrat Franz Maurer sowie die ORF-Publikumsrätin Barbara Nepp, die Frau des Wiener FPÖ-Chefs Dominik Nepp.
Auf Wunsch des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache wolle man sich in dieser Gruppe zu medienpolitischen Aktivitäten der Partei austauschen, erklärte Vilimsky in seiner ersten Nachricht. Die Chats veranschaulichen jedoch viel eher Pläne, den ORF auf mehreren Ebenen zu unterwandern.
Die neuen FPÖ-Chats
FPÖ zu ORF: „Wrabetz weg“, „Thür verhindern“, „Gabalier auf Ö3“
Strache: „Wehrschütz würde gerne als Unterhaltungschef im ORF ausmisten“
Strache an „Fit mit Philipp“: „Du wirst bald moderieren“
Sicherheitskosten: Zahlte die FPÖ bei der Hochzeit von Karin Kneissl mit?
Strache an Teufel: „Wohin kann ich eine Intervention schicken?”
Fellner an Strache: „Sieht so aus als wären wir ein gutes Duo 😉😉”
Feind und Freund in der Redaktion
Zum einen ging es der FPÖ darum, „Blaue in die Redaktion rauf zu bekommen“, wie Norbert Steger Ende Mai 2018 schrieb. Andererseits plante die Gruppe auch, unbequeme Journalistinnen und Journalisten zu „verhindern“: Darunter ZIB2-Moderator Martin Thür: „Freund ist der nicht. Und zudem profilierungssüchtig“, schrieb der Harald Vilimsky, als Thür 2018 als neuer ZIB2-Moderator gehandelt wurde. Im Februar 2019 sah sich Vilimsky bestätigt: „Thür verarscht uns auf Twitter“.
Wo sind denn die Leute für das neue Management?? Wir haben Schrom [...] hochgehievt und Wagner den Report gegeben. Heute ist es schlimmer als es je war! Auch in der ZIB2. Thür verarscht uns zudem auf Twitter. Müssen endlich auf den Tisch hauen. Wrabetz weg, Gebühren weg. Dann wird sich auch nicht viel ändern, aber es gibt zumindest Genugtuung und Leute müssen für diese unfassbare Propaganda wenigstens nichts mehr zahlen.
Die FPÖ teilte Journalisten also in Feinde und Freunde ein. Zu Letzteren zählt der Auslandskorrespondent Christian Wehrschütz, für den sich Heinz-Christian Strache vehement einsetzte. Auf Wehrschütz, der bis 2002 FPÖ-Mitglied war, dürfe man „bitte nicht vergessen“, schrieb Strache im März 2018.
Bitte auf Christian Wehrschütz nicht vergessen.
Er interessiert sich für das Landesstudio OÖ.
Oder eine Aufwerung seines jetzigen Büros als Auslandskorrespondent (auch in Moskau). Führung eines Europastudios statt Landvai!
Die Blauen brachten Wehrschütz als Kandidat für das oberösterreichische Landesstudio oder als Chef des Auslandsbüros in Moskau ins Spiel. Strache schlug im Mai 2019 noch eine dritte Option vor: „Wenn Christian Wehrschütz nicht OÖ-Landesdirektor werden kann, dann würde er gerne als Unterhaltungschef im ORF ausmisten! Lg“.
Auf profil-Anfrage erklärt Wehrschütz, er habe sich Anfang 2019 auf gar keine der angesprochenen Stellen beworben. Er sei im Frühjahr 2021 gefragt worden, ob er als ORF-Korrespondent nach Moskau gehen wolle, so Wehrschütz, habe dies aber abgelehnt: „Die FPÖ oder/und Herr Strache spielten dabei keine Rolle.“
Sportminister Strache setzte sich wohl außerdem für Philipp Jelinek ein, der mit seiner Sendung „Fit mit Philipp“ zum ORF-Vorturner avancierte. Strache und Jelinek lernten einander offenbar im Fitnessstudio kennen, im Februar 2018 schickte Jelinek „Grüße vom Küniglberg“, und der Vizekanzler antwortete: „Du wirst bald moderieren, wie ich höre. Gut so :-)“ Jelinek sah das nicht als seinen alleinigen Verdienst: „Freu mich auch sehr das WIR des geschafft hab'n! Sollten uns wenn du zurück bist kurz sehen…hab eine Info für dich die eventuell wichtig sein könnte.“
Danke dir. Du wirst bald moderieren, wie ich höre. Gut so :-)
Freu mich auch sehr das WIR des geschafft hab’n! 😀 Sollten uns wenn du zurück bist kurz sehen…hab eine Info für dich die eventuell wichtig sein könnte. [...]
Der ORF-Mitarbeiter wollte sich daraufhin immer wieder mit Strache treffen, bat ihm Informationen aus dem Haus an und berichtete Strache darüber, wer der FPÖ wohlgesonnen ist und wer nicht.
Der ORF prüft nun die Vorwürfe. Jelinek wurde vorerst in den Urlaub geschickt, auf eine profil-Anfrage hat er bisher nicht reagiert.
Die Freiheitlichen waren außerdem bemüht, Vertraute in der Verwaltung des ORF zu installieren. „Bin (seit vielen Jahren) zu jeder Tages- und Nachtzeit da, wenn ihr etwas braucht. Meistens erfolgreich“, schrieb der Unternehmensberater Thomas Prantner, damals als ORF-Vizetechnikdirektor auch für orf.at zuständig, an Strache, wie „Der Standard“ zuerst berichtete. Prantner betont gegenüber dem „Standard“, sich für die Gleichbehandlung aller Parteien eingesetzt zu haben: „Die Entscheidung über die redaktionelle Berichterstattung lag klarerweise beim Chefredakteur.“
[...] Ich wundere mich ja ehrlich schon lange, dass sich darüber, was dort [ORF2, Anm.] inhaltlich abgeht, keiner aufregt. Es ist schon bei uns genug zu tun und jeden Tag mühsam, aber langsam wird's und die, die glauben, die spö retten zu müssen, werden weniger.
In den freiheitlichen Umbauplänen wurden freilich auch auf dieser Ebene genehme Personalia in Absprache mit dem türkisen Koalitionspartner installiert. Eine davon war aus blauer Sicht Matthias Schrom, der 2022 aufgrund seiner Chats mit Strache als ORF2-Chefredakteur zurücktreten musste. Schrom hatte Strache geschrieben, dass „die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen“ im ORF weniger würden.
Zweiter Anlauf für blauen ORF-Umbau?
Dass Parteien in den ORF eingreifen wollen, ist kein Alleinstellungsmerkmal der FPÖ – wenngleich die blauen Umbaupläne weitaus radikaler anmuten als jene anderer Parteien. Selbst aus den neuen FPÖ-Chats geht an manchen Stellen hervor, dass die Blauen ORF-Personalwünschen der ÖVP zugestimmt haben. An anderer Stelle kommt der Frust der FPÖ darüber zum Ausdruck, dass man sich gegen ORF-interne Widerstände und die ÖVP nicht durchsetzen konnte. Bestimmte Posten wurden in einem türkis-blauen Sideletter festgehalten – wie es später ähnlich die türkis-grüne Regierung mit ORF-Posten in ihrem Sideletter tat.
Nun, in Opposition, stilisiert die FPÖ den ORF als politischen Gegner: Laut FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker führt die Partei eine „Liste an Verfehlungen“ im ORF. Die Freiheitlichen würden sich „in den nächsten Wochen genau anschauen, wie sich der ORF politisch entwickelt“, kündigte Hafenecker vor Ostern an. Die von ÖVP und Grünen eingeführte ORF-Haushaltsabgabe ist den Freiheitlichen zudem ein Dorn im Auge - und mit der Veröffentlichung der ORF-Spitzengehälter erhielt die FPÖ ein weiteres Argument für einen Sparkurs im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Sollte die FPÖ nach der Nationalratswahl in der Regierung sitzen, stünde ihr zudem gleich ein Hebel zum ORF-Umbau zur Verfügung. Bis zum April 2025 muss das ORF-Gesetz repariert werden, nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) urteilte, dass die Bestellung von Publikums- und Stiftungsrat der Unabhängigkeit des ORF im Weg stehe und daher teils verfassungswidrig sei. Dies könnten die Freiheitlichen als Anlass für umfassendere Umbauten nutzen.
Wie sie es für Juni 2019 geplant hatten. Eigentlich. Doch am 17. Mai 2019 platzte das Ibiza-Video – und Türkis-Blau war Geschichte.
Lena Leibetseder
war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.
Jakob Winter
ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.