Bleiburg: Eine Kleinstadt in Panik vor Flüchtlingen
Mit neugierig-wachen Augen hantiert eine junge Frau hinter der Theke eines Lokals am Hauptplatz von Bleiburg. Was sie täglich von den Stammgästen zu hören bekommt über die Dutzenden Flüchtlinge, die sich in dieser Kärntner Kleinstadt aufhalten, das möchte sie nicht wiederholen. Es ist nichts Gutes. Sie hat selbst ein bisschen Angst vor den jungen Männern, die sich manchmal bis ins Stadtzentrum vorwagen oder ins Freibad, wo sie dann "Frauen schauen“. Die Kellnerin ist 19 Jahre alt und wenn sie Abenddienst hat, solle sie ihr Auto direkt vor dem Eingang des Cafés parken. So hat man ihr geraten.
Doch meist bleiben die jungen Männer aus der Flüchtlingspension "Zur Linde“ ohnehin draußen vor der Stadt. Man sieht sie entlang der trostlosen Bundesstraße 81. Ein paar Kilometer in der einen, dann in der anderen Richtung. In kleinen Grüppchen oder allein.
Wie sehr müssen sie sich schämen, dass sie, trotz mörderischer Langeweile, nicht in das idyllische Städtchen schauen, sondern die tote Straße entlangtrotten. Sie ziehen vorbei an Tankstellen, Äckern, Lagerhäusern und Supermärkten. Ein Flüchtling sitzt auf einem Felsbrocken am Straßenrand, ein Philosoph aus der Fremde, der in die Landschaft starrt. Was er wohl denkt? Er würde Trost brauchen. Zwei Wochen schon hat er nichts von seinen Eltern gehört.
"Das Boot ist voll"
In diesen Tagen summt und regt sich die Bleiburger Bevölkerung wie ein einziges vielstimmiges Wesen. Angeführt von Politikern quer durch alle Lager, den Offizieren in der Goiginger Kaserne und den Geschäftsleuten im Ort. Hier gibt es keinen bösen Freiheitlichen, der die Stimmung anheizt, hier sind sich alle einig: der sozialdemokratische Bürgermeister, sein Stellvertreter von der ÖVP und die Gemeinderäte der slowenischen Einheitsliste: Die Kaserne muss bleiben, die Flüchtlinge dürfen nicht kommen. Man sei nicht gegen diese Menschen, doch die Bleiburger hätten ihre Pflicht erfüllt, man beherberge bereits 56 Asylwerber, während die umliegenden Gemeinden keinen einzigen aufgenommen haben. Man sei für Solidarität, für eine gerechte Aufteilung, für eine europäische Quotenregelung, für eine Lösung der weltweiten Flüchtlingskatastrophe und gegen die Zustände, die Menschen heimatlos machen. Es sind große Worte aus dem Munde von "kleinen Lokalpolitikern“, wie sie sich selbst bezeichnen. Ihre Aussagen variieren im Detail und haben doch nur eine Botschaft. "Das Boot ist voll“, wie ÖVP-Landesrat Christian Benger Donnerstag vergangener Woche bei einer Pressekonferenz in der Bleiburger Kaserne sagte.
Die Kaserne, ein Bau aus den 1950er-Jahren, ist plötzlich das Zentrum aller Gedanken und Projektionen. Das A und O der ganzen Geschichte. Schon vor einigen Monaten hatte die Führung des Verteidigungsministeriums in Wien beschlossen, die Bleiburger Kaserne aufzulassen, das dort beschäftigte Kaderpersonal - etwa 50 Soldaten - auf andere Dienststellen in Kärnten zu verteilen. Doch plötzlich winkt den Betroffenen eine neue Chance. Der Kampf um die Kaserne wird vom Kampf gegen Asylwerber beflügelt. Umso mehr als das hartnäckige Gerücht umgeht, die Goiginger Kaserne solle sogar zu einem Erstaufnahmezentrum für Asylwerber gemacht werden.
"Wir weg, Flüchtlinge her.“ Dem Vizeleutnant Thomas Lintschinger fehlen fast die Worte, so empört ist er. "Der Soldat gehört zum Bleiburger Stadtbild“, sagt der sozialdemokratische Bürgermeister Stefan Visotschnig. "Die Offiziere leben mit ihren Familien seit Jahrzehnten in Bleiburg, auspendeln ist ihnen nicht zumutbar“, echot sein Stellvertreter von der ÖVP, Daniel Wriessnig.
Plötzlich sorgen sich auch alle um das Trauma von Kriegsflüchtlingen. Deshalb dürfe man Asylwerber prinzipiell und ohne Ausnahme nicht in Kasernen unterbringen. Selbst die nahe Grenze zum EU-Mitgliedsland Slowenien wird wieder ins Spiel gebracht. Die friedliche Nachbarschaft könne sich jederzeit ändern.
"Eine Magnet-Wirkung“ auf Schlepper befürchtet Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, wenn es ein Flüchtlingslager so nahe an der Grenze gäbe.
Unschuldige Flüchtlinge werden gesehen wie ein Virus
Was niemand sagt, wiegt umso mehr: Der erwartete Image- und Werteverlust der Grundstücke und Häuser rund um Kaserne. Dann könne man hier bald nicht mehr wohnen, jammern die Anrainer, die Parzellen nicht mehr verkaufen, klagen die Gemeindeväter. Unschuldige Flüchtlinge werden gesehen wie ein Virus, das sich kontrolliert ausbreitet. "Haben wir erst einmal 100 Asylwerber hier, haben wir am nächsten Tag vielleicht 200 und so weiter, sagt Landeshauptmann Kaiser. "500 haben in der Kaserne Platz und mit Containern noch mehr“, sagen alle anderen und gruseln sich.
Vor zwei Jahren hat der Bleiburger Anton Stefitz den verlotterten Gasthof seiner Eltern renoviert und eine Flüchtlingspension für Männer daraus gemacht. Auch damals gab es einen Notstand an Quartieren. Im November 2013 kam das erste Dutzend. Mit Plakaten, auf denen "Willkommen in Bleiburg“ stand, wurden die Asylwerber begrüßt. Anton Stefitz wurde allerdings kaum noch von seinen Nachbarn gegrüßt, und wenn er in Bleiburg in ein Wirtshaus ging, verstummten die Gespräche.
Heute leben 55 Asylwerber in seinem Haus und die ganze Familie hilft mit. Der Schwiegersohn steht zur Zeit mitten in der Nacht auf, um für die fastenden Moslems (41 von 56) das Frühstück zu machen, und drei Stunden später für die anderen, die den Ramadan nicht so ernst nehmen oder einer anderen Religion angehören. Er lernt die arabischen Schriftzeichen und wird im Herbst einen Kurs an der Universität belegen. Die Asylwerber radebrechen auf Deutsch. Eine Studentin aus Graz lernt mit ihnen. Sie macht das ehrenamtlich.
Als wir in der "Linde“ ankommen, albern ein paar junge Männer vor dem Haus herum. Es ist schwer zu sagen, wer hier Asylwerber ist und wer der Hausherr. Stefitz spricht viel von gegenseitigem Respekt. Sein Schwiegersohn spricht überhaupt nur von den "Herren“. Es herrscht Alkohol- und Rauchverbot im Haus und die Bewohner sind aufgefordert, leise zu sein und die Straßenschuhe im Flur abzustellen. Von 23 Uhr bis 7 Uhr morgens ist die Pension geschlossen. Bisher gab es keine Schlägereien, bei denen die Polizei einschreiten musste.
Die sollen zurück ins Meer. Wie kommen wir dazu? Ich habe kein Mitleid mit denen. (Bleiburger Bürger)
Eine Qual für alle ist das Arbeitsverbot, das verordnete Nichtstun. Sie bekommen 40 Euro Taschengeld im Monat, aber schon der Eintritt ins Bleiburger Freibad kostet 3,50 Euro, und es gibt keinen Rabatt. Erstmals wird in der Gemeinde erwogen, die Flüchtlinge zum Unkrautrupfen und zur gemeinnützigen Arbeit heranzuziehen. Für drei Euro die Stunde.
Freundschaften mit den Leuten im Ort sind nie entstanden. Der Pfarrer Ivan Olip hatte mehrmals versucht, bei Pfarrfesten die Einheimischen und die Fremden zueinander zu bringen. "Das Echo war gering. Die Bleiburger haben keine Ahnung, was diese jungen Männer durchgemacht haben. Sie spenden zwar gern, bringen Kleider vorbei, aber sie wollen nicht konfrontiert werden.“
Die Fluktuation in der "Linde“ ist groß. Manche Asylwerber bleiben nur drei, vier Monate. Wenn ihr Asylantrag positiv entschieden ist, gehen sie in größere Städte. In Bleiburg ist noch keiner geblieben.
Die aktuelle Debatte hat den Ausländerhass neuerlich angeheizt.
profil hat sich auf der Straße umgehört:
"Im Freibad starren sie uns Frauen im Bikini an, weil sie das nicht dürfen, dort, wo sie herkommen.“
"Wenn Sie wüssten, wie die über uns reden, wenn sie unter sich sind“, sagt eine Passantin. "Die würden das mit uns machen“, und sie fährt sich mit der Hand über die Kehle.
"Alle haben ein iPhone oder ein iPad und telefonieren ständig. Die haben mehr als wir.“
"Die sollen zurück ins Meer. Wie kommen wir dazu? Ich habe kein Mitleid mit denen.“
Integriert wurde in Bleiburg kein einziger Flüchtling. Aber einer ist allen, mit denen profil gesprochen hat, im Gedächtnis geblieben. Ein Arzt oder Professor, ein Doktor jedenfalls. Manche meinen auch, er war ein Opernsänger. In Wahrheit handelte es sich um einen Gynäkologen aus Tschetschenien, der eine volltönende Tenorstimme hatte, die schönsten Arien kannte. "Man hat ihm ein Cola spendiert, und schon hat er gesungen“, sagt Bürgermeister Stefan Visotschnig. Er schaut dabei etwas nachdenklich und auch etwas beschämt.