Blinde Flecken: Der FPÖ-Historikerbericht als Blamage
Als vor zwei Jahren in einer burschenschaftlichen Verbindung eines FPÖ-Politikers ein Liederbuch mit unsagbaren Spottversen über den Holocaust aufgetaucht war, trat der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die Flucht nach vorn an und setzte eine Historikerkommission ein. Vollmundig wurde versprochen, man werde unabhängige Zeithistoriker sowie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) an der Aufarbeitung der Geschichte der FPÖ beteiligen; die Archive würden geöffnet, alles werde transparent vor sich gehen. Geschehen ist nichts von alledem. Im August des vergangenen Jahres erschien unter großem Trara ein dünner Zwischenbericht, der erkennen ließ, dass der FPÖ in erster Linie an Beschwichtigung gelegen war. Der beleidigte Ton darin fiel auf, in dem von „angeblich braunen Flecken“ die Rede war, neben der auftrumpfenden Behauptung, die FPÖ sei „formell keine Nachfolgeorganisation der NSDAP“ gewesen – was nach der Verfassung Österreichs auch gar nicht möglich gewesen wäre.
"Geläuterte" Nationalsozialisten
Der Endbericht ist nun 700 Seiten stark geworden, doch die Einsicht in das historische Wesen der FPÖ ist noch immer nicht zu erkennen. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker besteht im Vorwort darauf, die FPÖ habe niemals „eine systematische Fortsetzung des nationalsozialistischen Regimes“ betrieben. Ex-EU- Mandatar Andreas Mölzer vertritt im Nachwort allen Ernstes die Ansicht, dass die ehemaligen Nationalsozialisten, die in den Nachkriegsjahren bei der FPÖ anheuerten, allesamt „geläuterte“ Nationalsozialisten gewesen seien.
Der Gründer der FPÖ, ihr erster Vorsitzender Anton Reinthaller, ein illegaler Nazi, der 1938 zu Regierungsehren kam und einen SS-Generalsrang innehatte, wird vom Zeithistoriker und Parteihistoriker Lothar Höbelt als einsichtiger Ex-Nazi geschildert. Der SS-Rang Reinthallers sei ein „Titel ohne Mittel“ gewesen und Reinthaller der beste Garant gegen eine Radikalisierung der Ehemaligen – nicht obwohl, sondern weil er ein „hochrangiger NS-Führer“ gewesen war. Kein Wort davon, dass Reinthaller in der NS-Zeit die Zuweisung von Zwangsarbeitern oblag, dass er im Juni 1942 das Konzentrationslager Mauthausen besuchte und wohl mitbekommen haben muss, was dort geschah. Kein Wort von Reinthallers Aufzeichnungen nach dem Krieg, in denen er demselben antisemitischen Weltbild anhing wie in den Jahren zuvor, in Nazi-Diktion von „Wirtsvölkern“ und „Weltjudentum“ sprach und um Verständnis für den Judenstern und „verschärfte polizeiliche Behandlung“ der deutschen Juden heischte. Auf Margit Reiters Studie „Die Ehemaligen: Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“, die im Herbst 2019 erschien, geht Höbelt nicht ein – im Gegenteil: Er hält polemisch fest, es stehe „selbstverständlich jedem frei“, Reinthaller zu den „brauen Flecken“ zu zählen, doch dann müsse man auch „Angela Merkel als „dunkelroten Fleck“ der CDU betrachten.
Blinder Fleck
Führende FPÖ-Funktionäre scheinen nicht begreifen zu wollen, wie sehr das Wesen der FPÖ an ihren historischen Daseinszweck, die Vertretung der Ehemaligen, gekoppelt ist und dass keiner von ihnen jemals eine Reflexion über den gelernten und praktizierten Rassismus und Antisemitismus verlangt hatte. Vielmehr sind Geschichtsrevisionismus, Opferkult und ideologische Versatzstücke von Volksgemeinschaft und dem Kampf gegen die „Vermischung von Völkern und Rassen“ der DNA der FPÖ geradezu eingeschrieben. Das ist seit jeher ihr blinder Fleck – und er bleibt es auch. Bis auf Norbert Hofer waren alle FPÖ-Vorsitzenden entweder selbst oder als Kinder oder Enkelkinder von Ehemaligen familiär in die NS-Geschichte verstrickt.
Die FPÖ-Historikerkommission stellt sich nicht die Frage, weshalb prominente Neonazis wie Norbert Burger, der später die NDP gründete, oder der Holocaust-Leugner Gerd Honsik einst bei der FPÖ aktiv gewesen waren. Ebenso wird darüber hinweggegangen, dass alle paar Wochen irgendein „Einzelfall“ in der FPÖ die Runde macht: ein Hitler-Gruß, ein rassistisches Posting, aggressive Ausländerhetze. Man will offenbar gar nicht wissen, wie sehr Familiengeschichte, Traditionsvereine, das Milieu und vor allem die Burschenschaften die FPÖ prägen.
Diese schlagenden Verbindungen (und ihre Liederbücher) waren ursprünglich der Anlass gewesen, die FPÖ-Historikerkommission einzurichten. Am Ende hieß es, es handle sich um private Vereine, die man nicht zwingen könne, ihre Archive zu öffnen. Doch jene FPÖ-Funktionäre, die so argumentieren, tragen als Ausweis ihrer wahren Gesinnung oft selbst einen Schmiss im Gesicht.