Der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel im Rahmen eines Landesparteitags der ÖVP Wien.

Blümel: "Das rot-schwarze System ist abgewählt"

Wiens ÖVP-Obmann Gernot Blümel über den vermeintlichen Rechtsruck und die Restlaufzeit der koalitionären Schicksalsgemeinschaft.

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profil: Herr Blümel, wie beurteilen Sie den knappen Ausgang der Bundespräsidentenwahl? (Anm.: Zum Zeitpunkt des Gesprächs Sonntag Abend lag noch kein Endergebnis vor). Gernot Blümel: Nicht das Land ist nach rechts oder links, sondern die Wut ist in die Mitte gerückt. Das bestätigt dieses knappe Ergebnis umso mehr. Bisher waren Zukunftsängste und Unzufriedenheit mit dem politischen System Phänomene am gesellschaftlichen Rand. Nun hat auch der Mittelstand Abstiegsängste. Der Grant auf die Politik ist in der Mitte angekommen. Davon profitieren Parteien, die diese Wut bedienen. Daher muss für uns gerade jetzt die Zeit für eine Politik des Mittelstands angebrochen sein.

profil: Warum weigerten sich fast alle aktiven ÖVP-Politiker, sich zu Alexander Van der Bellen zu bekennen? Im Gegensatz zu ehemaligen ÖVP-Spitzen wie Wilhelm Molterer und Josef Pröll. Blümel: Es war eine bewusste Entscheidung, keine Wahlempfehlung abzugeben. Und eine Deklaration eines aktiven Politikers wäre einer Wahlempfehlung gleichgekommen. Es gibt ÖVPler, die Ansichten von Alexander Van der Bellen teilen. Es gibt aber genauso auch solche mit Sympathien für Norbert Hofer. Mit einer Wahlempfehlung hätte man der ÖVP in ihrer Gesamtheit keinen guten Dienst erwiesen.

Van der Bellen ist kein Bürgerlicher, sondern vertritt linke, eigentumsfeindliche Positionen

profil: Van der Bellen ist doch eine bürgerliche Gestalt mit klarem Bekenntnis zur EU, also ganz auf ÖVP-Linie. Blümel: Van der Bellen ist kein Bürgerlicher, sondern vertritt linke, eigentumsfeindliche Positionen. Und er engagierte sich in den vergangenen Jahren wofür auch immer bei den Wiener Grünen, die im grünen Spektrum am weitesten links stehen.

profil: Als Nationalökonom hält Van der Bellen sicher mehr vom Freihandel als der ÖVP-Bauernbund. Blümel: Das bezweifle ich.

profil: Bedeutet diese Bundespräsidentenwahl das Ende der Zweiten Republik? Blümel: Nein. Aber es ist ein Paradigmenwechsel. Das rot-schwarze System des politischen Tauschhandels ist von frustrierten Bürgern endgültig abgewählt worden. Diese Packelei zwischen Regierungsparteien und Sozialpartnern - ich gebe dir was, du gibst mir was - ist am Ende.

profil: Sie klingen ja wie der neue Kanzler Christian Kern. Blümel: Kern hat bisher viele richtige Dinge gesagt.

profil: Seine Kritik an der bisherigen Regierung fiel sehr scharf aus. Blümel: Sein Befund war in vielen Punkten richtig. Christian Kern und Reinhold Mitterlehner haben eine letzte Chance, diese Regierung zu retten. Sie bilden ab jetzt eine Schicksalsgemeinschaft. Es kann sich keiner mehr auf den anderen ausreden.

profil: Sie selbst gelten als jemand, der nach dem Rücktritt von Werner Faymann eigentlich Neuwahlen bevorzugt hätte. Blümel: Nein. Meine Angst bestand darin, dass nach Faymanns Rücktritt monatelang wieder nichts passiert. Nun hat der neue Kanzler selbst klargestellt, dass wir nur noch wenige Monate Zeit haben, bis wir an die Wand fahren. Die Zeit drängt also. Daher sollten Kanzler und Vizekanzler gleich ein paar Projekte fixieren und mit der Umsetzung beginnen.

Die hohen Abgaben treffen den Mittelstand, der das System finanziert

profil: Dazu müssten SPÖ und ÖVP aber ein paar heilige Kühe schlachten. Blümel: Ich hoffe, dass es dazu kommt.

profil: Die ÖVP müsste etwa auf die Langform des Gymnasiums verzichten. Aber gerade Ihre Wiener ÖVP zählt zu den schärfsten Gegnern der Gesamtschule. Blümel: Mir hat noch keiner erklären können, worin der Sinn besteht, einen funktionierenden Schultyp wie das Gymnasium abzuschaffen, um damit die Probleme in einem nicht funktionierenden Schultyp wie der Hauptschule zu lösen. Wenn mir das einer erklären kann, bin ich bereit, darüber nachzudenken.

profil: Also doch keine heiligen Kühe schlachten. Blümel: Es geht hier nicht um eine heilige Kuh, sondern um das Prinzip der Leistungsorientierung. Kern hat angekündigt, Österreich wieder an die Spitze bringen zu wollen. Wer Exzellenz will, muss sich zur Leistung bekennen, ansonsten versanden wir im Mittelmaß. Das kann nicht unser Ziel sein.

profil: Sie sagten, dass die Ausbeutung des Mittelstands die soziale Frage unserer Zeit sei. Warum? Blümel: Jede Zeit hat ihre soziale Frage, die geeignet ist, eine Gesellschaft zu spalten. Im 19. Jahrhundert war es das Heer von ausgebeuteten Arbeitern. Heute besteht die soziale Frage nicht darin, ob wir zu wenig Sozialleistungen haben. Was Transferzahlungen und Steuerquoten betrifft, liegt Österreich weit vorn. Die hohen Abgaben treffen den Mittelstand, der das System finanziert - Bürger, die arbeiten und am Ende des Monats gleich viel haben wie jene, die von Sozialleistungen leben. Das erzeugt Wut. Ich nehme Kerns Ankündigungen ernst, die Wirtschaft stärken zu wollen. Derzeit ist es wesentlich einfacher, Arbeitslosengeld zu beantragen als ein Unternehmen zu gründen.

profil: Wie lange geben Sie der Koalition Zeit für die Umsetzung der Reformen? Blümel: Ich würde sagen, dass man in drei bis vier Monaten konkrete Ergebnisse sehen muss. Sonst waren Kerns Ankündigungen leere Worte.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.