„Wir sind von dem Ereignis auf dem Wiener Flughafen überrascht worden.“
Botschaft der „lybisch-arabischen“ Führung an Altbundeskanzler Kreisky kurz nach dem Attentat.
Blutbad am Wiener Flughafen: Rückpfiff kam zu spät

Blutbad am Wiener Flughafen: Rückpfiff kam zu spät

Blutbad am Wiener Flughafen: Rückpfiff kam zu spät

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Die drei Männer benahmen sich überaus verdächtig. Sie standen nebeneinander auf der Treppe, zupften nervös an ihrer Kleidung. Einer versuchte, etwas, das aussah wie eine Handgranate, im Ärmel seines Kamelhaarmantels zu verbergen. Cora S. fiel das auf, als sie mit der Rolltreppe an dem Trio vorbeifuhr. Die US-Amerikanerin war an diesem Samstagvormittag im Dezember 1985 mit ihrem Ehemann, einem in Wien stationierten Diplomaten, auf den Flughafen Schwechat gekommen, um ihren Sohn zu verabschieden. Nun hieß es rasch handeln: Die beiden sprachen in der Abflughalle den nächstbesten Polizisten an. – Doch der verstand leider kaum Englisch. Er konnte auch niemand Verdächtigen im Umkreis entdecken. Gerade als der Polizist beruhigt zu seinem Standort umkehren wollte, waren mehrere Detonationen zu hören.

So begann vor genau 30 Jahren, am 27. Dezember 1985, einer der schwersten Terroranschläge der Zweiten Republik. Die Hintergründe sind bis heute mysteriös. Neu aufgetauchte Dokumente legen nahe, dass es vor dem Attentat vage Drohungen der Abu-Nidal-Gruppe gegeben hatte – und rund zwei Wochen vor dem Anschlag ein vertrauliches Treffen zwischen einem österreichischen Emissär und dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi, bei dem dieser versprach, alles zu unternehmen. Möglicherweise war das Killerkommando nicht mehr aufzuhalten.

Getroffen wurde der Ostteil des Flughafen-Terminals – um 9.07 Uhr war dort am Schalter 3 und 4 der Check-in für den El-Al-Flug LY 364 nach Tel Aviv voll im Gang. In unmittelbarer Nähe wurden am Schalter 7 und 8 Passagiere für einen Lauda-Air-Flug nach Heraklion abgefertigt. Etwa 200 Menschen waren vor Ort. Der ungarische Musiker Janos F. stand in der Schlange, um für einen Auftritt am Silvesterabend nach Israel zu fliegen. Da schrie plötzlich eine Frau schrill auf und etwas Metallisches klirrte am Fußboden.

Dabei hatten die nervösen Angreifer eine der Handgranaten geworfen, ohne den Splint herauszuziehen.

Herr F. gab später zu Protokoll: „Ich drehte mich um und sah dicht nebeneinander drei schwarze Metallkugeln im Durchmesser vo netwa zehn Zentimetern in Richtung Raummitte rollen.“ Der Musiker warf sich, wie viele Umstehende, zwischen die Gepäcksstücke und den in der Halle aufgestellten Christbaum: „Als wir auf dem Boden lagen, detonierten die Sprengkörper. Gleich danach hörten wir das Feuer mehrerer Maschinenpistolen.“

Die 26-jährige Elisabeth Kriegler wurde tödlich getroffen, auch der burgenländische Lehrer Eckehard Karner, 50 Jahre alt, und der 25-jährige Israeli Ely Jana. 39 Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden, manche traf es besonders hart: Die 19-jährige römische Ballerina Allessandra B. konnte nie wieder tanzen, ihr zerschossener rechter Unterschenkel heilte nicht. Dem 60-jährigen Johann G., der durch eine Kriegsverletzung links gehbehindert war, musste das bisher gesunde, nun durchschossene rechte Bein abgenommen werden.

Dabei hatten die nervösen Angreifer eine der Handgranaten geworfen, ohne den Splint herauszuziehen. Es waren eben jene drei Männer, die Cora S. kurz zuvor bemerkt hatte – der 26-jährige Abdel Aziz Merzoughi, der 23-jährige Mongi Ben Abdollah Saadaoui und der 25-jährige Tawfik Ben Ahmed Chaovali, allesamt Terroristen der Abu-Nidal-Organisation (siehe Kasten). Wenn das Trio aus seiner Deckung – einem Stiegenaufgang – ausgebrochen wäre, hätte es viel mehr Opfer gegeben. Aber das Abwehrfeuer war so stark, dass die Terroristen ihre Kalaschnikows nur ungezielt über die Treppenkante hochhielten und feuerten. Die Sicherheitsleute der El-Al hatten sofort reagiert und zurückgeschossen.

Das Feuergefecht dauerte 40 bis 60 Sekunden. Dann flüchteten die Palästinenser. In der Tiefgarage kaperten sie ein schwarzes Taxi, fanden aber die Ausfahrt nicht gleich.

Und die österreichische Polizei? Insgesamt waren acht Sicherheitswachebeamte und acht Kriminalbeamte in der Abflughalle postiert. Aber wie sich der damalige Leiter der Schwechater Kriminalabteilung, Alfred „Django“ Rupf, erinnert, war nur ein Polizist überhaupt in der Lage einzugreifen: „Zuvor war ein verdächtiges Gepäckstück aufgefallen, dieser eine Revierinspektor war als sachkundiges Or-gan ausgebildet und wurde zu der Stelle gerufen. Gerade als er dort ankam, hat der Angriff der Terroristen begonnen.“ Gedeckt hinter einem Pfeiler schoss der Beamte das Magazin seiner FN-Dienstwaffe leer.

Das Feuergefecht dauerte 40 bis 60 Sekunden. Dann flüchteten die Palästinenser. In der Tiefgarage kaperten sie ein schwarzes Taxi, fanden aber die Ausfahrt nicht gleich. Drei Polizeiautos nahmen die Verfolgung auf – den ersten Wagen steuerte der 41-jährige Gruppeninspektor Peter Pruckner. Er war alarmiert worden, ohne zu wissen, was vor sich ging. Am Weg zur Abflughalle kamen ihm schon die El-Al-Sicherheitsleute entgegen. „Die wollten den Terroristen mit ihren Privatautos nachfahren. Ich habe ihren Chef gekannt. Er ist zu mir reingesprungen und hat gesagt: ‚Go, Go!‘ Als wir die Rampe hinunterfahren, sehe ich ein Auto vom C-Parkplatz herauskommen. Der Israeli rief: ‚This car! This car!‘“

Weil die Auffahrt zur Autobahn bereits gesperrt war, rasten die Terroristen zur Bundesstraße 9 Richtung Fischamend. Der israelische Sicherheitsmann feuerte auch Pruckners Dienstwaffe leer, inklusive Reservemagazin: „Aus meinem Wagen sind 50 Schuss rausgegangen. Am Mercedes der Terroristen haben wir später 18 Einschüsse gezählt.“ Pruckner musste im Zickzack fahren: „Die Täter sind alle drei vorne gesessen und waren eingeengt. Außerdem hatten sie nur mehr eine Kalaschnikow. Der Schütze hat sich einfach umgedreht und durch die kaputte Heckscheibe gefeuert. Mein Glück war, dass die Terroristen nur wenig Munition hatten.“

Die genauen Hintergründe des Attentats sind bis heute nicht zur Gänze geklärt.

200 Meter nach der Kreuzung der Autobahnabfahrt A4 mit der B9 kam der Mercedes zum Stillstand, die Terroristen hatten beim Wegfahren die Ölwanne am Randstein aufgerissen. Sie hielten zwei Autos an und nahmen Geiseln. Pruckner sah, wie einer der Palästinenser einer Frau ein Messer anhielt. Der andere bedrohte Geiseln mit der Kalaschnikow: „In der Zwischenzeit kam ein Mann mit einem Sturmgewehr als Verstärkung nach. Ich habe gesagt: ‚Gib her.‘“ In dem Moment kam der dritte Terrorist, Abdel Aziz Merzoughi, direkt auf Pruckner zu: „Ich habe einen Feuerstoß in den Boden abgelassen, er ging in die Knie. Einer meiner Kollegen ist nach vorne und streckte den Mann mit einem Tritt in die Halsgegend nieder.“ Fünf Minuten später war der Mann tot, seine Mitkämpfer ergaben sich. Die beiden wurden am 21. Mai 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt. Chaovali kassierte wegen Ausbruchsversuchen zusätzlich 19 Jahre. Saadaoui dagegen ging 2008 im Alter von 58 Jahren frei. Ein „vierter Mann“, der eigentliche Kopf des Unternehmens, entzog sich dem Zugriff. Ali Ben Bechin Dhakli hatte seine Untergebenen beim Frühstück im „Air Terminal Restaurant“ am Morgen des 27. Dezember 1985 instruiert – und sich vor Beginn der Aktion abgesetzt.

Die genauen Hintergründe des Attentats sind bis heute nicht zur Gänze geklärt. Am Tag des Anschlags in Wien-Schwechat griff ein weiteres Abu-Nidal-Kommando den Flughafen Rom an. Es gab 16 Tote und 99 Verletzte, darunter viele US-Passagiere. Deshalb lag ein Zusammenhang mit den damaligen Spannungen zwischen den USA und Muammar al-Gaddafi auf der Hand. Der libysche Staatschef galt als Sponsor von Terroristen wie Abu Nidal, war aber auch dem österreichischen Altbundeskanzler Bruno Kreisky verbunden. Wie passte da die Tragödie von Schwechat ins Bild?

Offenbar gab es „hausgemachte“ Gründe, wie neue Dokumente nahelegen: Abu Nidal hatte schon 1981 Terror in Österreich verbreitet (siehe Kasten am Ende). Zwei Killer und der „Führungsoffizier“ Bahij Y. konnten damals verhaftet werden. Vor allem Letzteren wollte Abu Nidal freipressen. Als Geheimverhandlungen Ende 1985 zu nichts führten, drohte er mit Vergeltung.

Gaddafi versprach dort, alles zu unternehmen, „was in seiner Macht stehe“.

Das veranlasste Kreisky, sich einzuschalten. Am 12. Dezember 1985, etwas mehr als zwei Wochen vor dem Anschlag in Schwechat, rief er einen Vertrauten an – den damaligen OECD-Botschafter in Paris, Georg Lennkh. Diesen beauftragte er mit einer vertraulichen Mission – nämlich Abu Nidals „Dienstherrn“ Gaddafi um Hilfe zu bitten. Das Treffen zwischen Lennkh und Gaddafi fand am 16. Dezember 1985 um 11.15 Uhr statt – und zwar nicht, wie sonst üblich, im Beduinenzelt des libyschen Staatschefs, sondern im Tiefparterre eines Kasernen-Hauptgebäudes in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Gaddafi versprach dort, alles zu unternehmen, „was in seiner Macht stehe“.

Der Anschlag ereignete sich trotzdem. Anfang 1986, also kurz nach dem Attentat, erhielt Kreisky eine „Botschaft der libysch-arabischen Führung“. Darin stand zu lesen: „Als ihr Gesandter österreichische Informationen überbracht hatte, dass die Gruppe Abu Nidal Anschläge in Wien plant, sind wir unmittelbar danach von dem Ereignis auf dem Wiener Flughafen überrascht worden, bevor ein Kontakt mit ihm zustande gebracht werden konnte.“

Tatsächlich hatten sich die Terroristen vom syrischen Bekaa-Tal aus auf den Weg gemacht. Denn auch das Regime von Hafiz al-Assad zählte damals zu den Unterstützern von Abu Nidal. Gut möglich, dass die Killer tatsächlich nicht mehr zurückzupfeifen waren. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, trafen die österreichischen Behörden eine Vereinbarung mit Abu Nidal, die der Leiter der Staatspolizei verhandelte. Bis 1993 stellte die Staatspolizei Angehörigen der Organisation eine Wohnung in Wien zur Verfügung, die in Zusammenarbeit mit einem „befreundeten Dienst“ überwacht wurde. Dafür endete die Phase des Nahostterrors in Österreich.

Der Anschlag in Schwechat hatte die Wende bedeutet: Davor hatte die auch antisemitisch motivierte Gewalt vor allem jüdische Auswanderer und Synagogen­besucher getroffen. Nun fühlte sich jeder bedroht und verletzbar. In der „Kronen Zeitung“ hieß es damals: „Der Terror kennt keine Grenzen, keine Neutralität, sein Kriegsschauplatz ist überall, sein Opfer kann jeder sein.“ Mit dem Doppelschlag von Schwechat und Rom vor 30 Jahren begann jener schrankenlose Terrorismus, mit dem Europa auch heute konfrontiert ist.

INFOKASTEN

Abu Nidals Terrorspuren

Anschläge in 20 Staaten, rund 900 verletzte oder getötete Opfer: Lange vor dem Islamischen Staat (IS) war der Name Abu Nidal („Vater des Kampfes“) gleichbedeutend mit Terror. Der Gründer der Organisation, Sabri al-Banna, 1937 in Jaffa geboren, hatte sich ­ursprünglich der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ­angeschlossen. Doch 1974 brach Abu Nidal, wie er sich nannte, mit Jassir Arafat und gründete seine eigene Gruppe. Die PLO war dem Radikalen zu moderat geworden. Fast zwei Jahrzehnte lang ließ Abu Nidal brutale Anschläge verüben: 1982 betraten zwei Terroristen ein jüdisches Restaurant in Paris und eröffneten das Feuer. Sechs Menschen starben, 22 wurden verletzt. 1985 wurde eine Granate in ein Café in Rom geworfen. 1986 traf es Passagiere eines Pan-Am-Flugs in Karatschi und Synagogenbesucher in Istanbul. Ein Drittel von Abu Nidals Opfern waren freilich Palästinenser: Dichter, Intellektuelle und PLO-Anführer, die für Verständigung mit Israel eingetreten ­waren. Der Terror Abu Nidals endete erst, als ihn die Geheimdienste Libyens und Syriens Ende der 1980er-Jahre fallenließen. 2002 wurde der „Vater des Kampfes“ in Bagdad von Saddam Husseins Geheimpolizei ermordet.

Als Transitland für jüdische Emigranten aus dem damaligen Ostblock nach Israel war Österreich in den Nahostkonflikt involviert. Im Jahr 1973 nahmen Palästinenser in der Grenzstation Marchegg Emigranten aus der Sowjetunion als Geiseln, die erst nach stundenlangen mühevollen Verhandlungen freigelassen wurde. Die Gefahr weiterer Anschläge war real. Daher knüpfte Bundeskanzler Bruno Kreisky Kontakte zu Arafats PLO und zu Gaddafi. Das sollte präventiv Sicherheit schaffen. Doch diese Rechnung ging nur bedingt auf, denn Abu Nidal wollte jede Entspannung zwischen Israel und Palästinensern verhindern. Deshalb traf sein Terror gerade Länder wie Österreich, die sich um Vermittlung bemühten.

Vier Jahre vor dem Anschlag in Schwechat wurde am 1. Mai 1981 der Wiener SPÖ-Stadtrat Heinz Nittel, der Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, vor seiner Wohnung erschossen. Wenige Monate später, am 29. August 1981, überfielen Abu-Nidal- Killer den Wiener Stadttempel, als Gläubige eine Bar-Mizwah feierten. Die Bilanz: zwei Tote und 21 Verletzte. Abu Nidal versuchte, die inhaftierten Attentäter freizukaufen – als dies gescheitert war, folgte der Anschlag in Wien-Schwechat.