Brigitte Ederer: „Das kann nur ein Fake sein“
Interview: Edith Meinhart, Fotos: Michael Rausch-Schott
profil: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das Ibiza-Video gesehen haben? Ederer: Mein erster Gedanke war: Das kann nur ein Fake sein. Man kriegt mit der Maske ja einiges hin, aber die Stimme von Strache war unverkennbar. profil: Sie hielten es nicht für möglich, dass FPÖ-Spitzen einer russischen Oligarchin mit der „Kronen Zeitung“, mit Trinkwasser-Reserven und staatlichen Aufträgen winken? Ederer: Wie ich mitbekommen habe, das ist Realität, habe ich mich gefragt: Wie kann man sich so verstellen? Auf dem Video sieht man Strache so, wie er wirklich ist, in all seiner Großmannssucht. profil: Um die üblichen Themen der Rechtspopulisten schien es an dem Abend in Ibiza kaum zu gehen. Ederer: Das wiederum hat mich nicht überrascht. Die abgetretene Regierung benützte das Ausländerthema auch nur, um alle anderen Themen zuzudecken. Ich habe als junge Abgeordnete den auch noch jungen Jörg Haider erlebt, der damals noch nicht auf das Ausländerthema aus war. Irgendwann hat er gemerkt, dass man damit punkten kann und sich daraufgesetzt.
Es geht Großspendern darum, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, um Einflussnahme und den Versuch, sich eine politische Vorgangsweise zum Nutzen des eigenen Unternehmens zu erkaufen. Das zu erfahren, hat die Öffentlichkeit jedes Recht.
profil: Sagt das Ibiza-Video etwas über den Zustand der Politik insgesamt aus? Ederer: Das zu behaupten, wäre irrsinnig unfair. Wir sehen hier eine verlotterte, versoffene Partie. Ehrlich gesagt hätte ich das auch bei der FPÖ nicht erwartet, aber bei allen anderen Parteien – und das meine ich quer durch – ist so etwas aus meiner Sicht völlig undenkbar. profil: Der Ibiza-Skandal stürzte Österreich in eine der schwersten Regierungskrisen der Nachkriegsgeschichte. Sehen Sie darin eine Chance auf mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung? Oder muss man sich damit abfinden, dass zwischen Wirtschaft und Politik einiges unter der Tuchent läuft? Ederer: Die Parteienfinanzierung muss man jetzt wirklich angehen. Zugegeben, das wird nicht einfach, so wie das in der Praxis läuft: Man sammelt Geld für den Vizekanzler oder einen Abgeordneten. Formal hat das nichts mit seiner Partei zu tun. Es gibt einen Verein, der eine Veranstaltung für einen Politiker macht. Dass keine Gelder direkt an die FPÖ geflossen sind, glaube ich sofort. Das ist ja genau der Zweck von Umgehungskonstruktionen. profil: Wir haben eine der höchsten Parteienförderungen in Europa … Ederer: … was ich gut finde. In einer Demokratie muss es Parteien geben, und sie sollen entsprechend finanziell ausgestattet sein, weil die Alternative Großspender sind, die sich für ihre Zuwendungen selbstverständlich etwas erwarten. Unternehmer sind schließlich keine Philantrophen.
profil: Sind Sie für ein Verbot von Großspenden? Ederer: Das nicht. Es soll jeder spenden, der meint, einer Partei damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen zu müssen. Aber es muss klar deklariert sein, damit die Interessenslagen nachvollziehbar sind, wenn die Partei an die Regierung kommt. Das Problem sind die schwer aus der Welt zu schaffenden Umgehungsmöglichkeiten. Ich glaube allerdings auch, dass kaum noch ein Unternehmer nennenswerte Summen spenden wird, wenn wirklich alles offen gelegt wird. profil: Großspender, die nicht publik werden wollen, berufen sich darauf, dass ihre politische Gesinnung durch die Meinungsfreiheit geschützt sei. Ederer: Es geht Großspendern darum, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, um Einflussnahme und den Versuch, sich eine politische Vorgangsweise zum Nutzen des eigenen Unternehmens zu erkaufen. Das zu erfahren, hat die Öffentlichkeit jedes Recht.
profil: Tut sich Österreich besonders schwer mit Transparenz? Es gibt immer noch kein Informationsfreiheitsgesetz, stattdessen jede Menge Message Control. Ederer: Es ist in anderen Ländern nicht viel besser. Schauen Sie nur, was in den Vereinigten Staaten rund um den Mueller-Bericht oder Trumps Immobiliendeals vor sich geht. Was mir auffällt: Wir haben in Österreich keine Tradition im Umgang mit Transparenz. Es gibt schnell Neiddebatten, Hasstiraden und Aggression. profil: Dass man sich das lieber erspart, ist menschlich nachvollziehbar, aber nicht das einzige Motiv für Geheimniskrämerei. Ederer: Bei Großspendern kommt vielleicht dazu, dass sie nicht wissen, ob ihr Investment richtig ist, sprich, ob die Partei, die sie unterstützen, in die Regierung kommt, und falls nicht, ob sie es sich dann mit den anderen verscherzen. profil: Warum müssen Parteien überhaupt die Hand aufhalten, wenn sie ohnedies gut gefördert werden? Ederer: Wahlkämpfe sind teure Materialschlachten, Medien erwarten Schaltungen. Wie drücke ich das am besten aus? Ich habe in meiner Zeit als Politikerin durchaus eine gewisse Beharrlichkeit von Medienvertretern erlebt, eine starke Nachfrage nach Geld. Da haben Parteien mit Großspenden mehr Möglichkeiten.
Warten wir den Wahlkampf ab, schauen wir, wer sich am Ende durchsetzt.
profil: Das geht in Richtung Nötigung. Ist die Angst vor dem Boulevard so groß, dass Politiker das nie ansprechen? Ederer: Es kann sein, dass die Macht der Medien im Wahlkampf mitunter überschätzt wird. Die Frage ist, wie weit man mit Schaltungen eine günstigere Berichterstattung erwirkt. profil: Der Politikwissenschafter Fritz Plasser nannte Österreich eine Boulevarddemokratie. SPÖ-Kanzler Werner Faymann setzte auf die „Kronen Zeitung“ und „heute“. War das ein Fehler? Ederer: Auch Kanzler Kurz gab nicht dem profil ein Interview, sondern „Österreich“, wie Ihr Herausgeber kritisierte. Das Blatt kann sich aber jederzeit wenden, wie derzeit zu beobachten ist. Ich gehe jede Wette ein, dass die „Kronen Zeitung“ das Ausländerthema schon bald links liegen lassen und sich ganz auf das Umweltthema draufsetzen wird. profil: Damit können Rechtspopulisten wenig anfangen. Ederer: Das wird die Frage sein, wie sie sich da positionieren. profil: Ich würde Sie gerne zur SPÖ fragen: Warum kommt die Partei nicht vom Fleck? Ederer: Rendi-Wagner ist eine angesehene Wissenschafterin und steht als Mutter von zwei Kindern fest im Leben. Das unterscheidet sie von ihrem unmittelbaren Konkurrenten Sebastian Kurz, der von seinem 14. Lebensjahr an Politik gelernt hat. Warten wir den Wahlkampf ab, schauen wir, wer sich am Ende durchsetzt.
profil: Hielten Sie es für klug, die SPÖ-Spitze noch schnell auszutauschen? Ederer: Die Frage stellt sich nicht. Jetzt geht es darum, dass diese Frau, die in ihrem Leben über die Politik hinaus schon so viel geleistet hat, die Sicherheit und den Mut bekommt, Dinge auszusprechen, die sie für richtig hält, auch auf die Gefahr hin, dass ein paar Leute in der SPÖ dann furchtbar böse sind. In so einer exponierten Situation muss man auf sich selbst vertrauen. Der Gründer der Sozialdemokratie war auch nicht von vornherein Politiker, sondern Arzt. Für mich ist das noch nicht gelaufen, zumal der Herr Bundespräsident eine Tür geöffnet hat: Dass eine Frau Bundeskanzlerin werden kann, ist keine Überraschung mehr. Diese historische Aufgabe hat Van der Bellen erledigt. profil: Zurück zum Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik: Ist es nicht schon ein wenig anrüchig, wenn Ex-Politiker zu Konzernen wie Siemens wechseln, die von Aufträgen der öffentlichen Hand leben? Ederer: Ich halte die fehlende Durchlässigkeit für ein echtes demokratiepolitisches Problem. Politiker lernen etwas, das man in Managementschulen nicht vermittelt bekommt, nämlich täglich zu überleben, andere zu überzeugen, das Bohren harter Bretter. Was soll ein Mensch mit 45 machen, wenn er in der Politik aufhört? Es ist schade, wenn ein Ex-Bundeskanzler nach Argentinien gehen muss, weil er seine Fähigkeiten in Österreich nicht einsetzen kann.
Das Urvertrauen in die Welt, das ich früher hatte, ist weg.
profil: Sie gingen zu Siemens Österreich. Ederer: Ich habe damals vereinbart, dass ich mit staatlichen Aufträgen möglichst nichts zu tun habe. Natürlich waren im Bereich Medizintechnik auch Spitäler unter den Kunden; die Hauptzielgruppe aber waren niedergelassene Radiologen, und in der Sparte Industrie war ich von der öffentlichen Hand überhaupt sehr weit weg. Medien und die Bevölkerung hätten gerne, dass Ex-Politiker am Schwedenplatz betteln gehen, man will sie im Staub sitzen sehen. Bei mir war es so, dass ich erst, als ich zu Siemens nach Deutschland gegangen bin, zum Good girl wurde. Ich hatte es in den Vorstand eines internationalen Konzerns geschafft, darauf konnte man stolz sein. profil: Die Debatte wiederholte sich bei Ihrer ehemaligen Parteikollegin Sonja Wehsely. Ederer: Ja, weil man sich in diesem Land einfach nicht vorstellen kann, was eine Ex-Politikerin anderes können sollte, als öffentliche Aufträge zu organisieren. Dabei ist sie für eine junge Medizinsparte weltweit zuständig. Aus dem Konzern höre ich, wie froh man ist, sie zu haben. Man meldet mir das sicher nicht zurück, um mir etwas Gutes zu tun. profil: Sie waren Österreich-Chefin, als ein Siemens-Korruptionsskandal die deutsche Wirtschaft erschütterte. Der Konzern hatte systematisch und weltweit bestochen. Fast der gesamte Vorstand wurde entlassen. Sie mussten selbst in einem Verfahren aussagen. Ederer: Ich hatte drei Interviews mit amerikanischen Rechtsanwälten. Diese Erfahrung wünsche ich niemandem. So hatte ich mir bis dahin die Umgangsformen in autoritären Systemen vorgestellt. profil: Danach wurden strenge Compliance-Regeln eingeführt. Ederer: Für mein Empfinden waren sie anfangs sogar ein bisschen zu streng. Es gab eine Diskussion, ob Siemens seine wichtigsten Kunden weiter zu den Salzburger Festspielen einladen darf. Inzwischen hat sich das alles wieder normalisiert.
profil: Was blieb von dieser Erfahrung für Sie persönlich? Ederer: Ich habe in meinem Leben nie jemanden bestochen. Aber ich bin öfter eine Extra-Meile gegangen, etwa als es um ein Spital in Rumänien ging, ein Land, in dem Siemens damals Fuß fassen wollte. Ich weiß nicht, ob ich dieses Engagement noch einmal an den Tag legen würde. Heute denke ich bei jeder Mail darüber nach, wie jemand, der mir böse gesinnt ist, das in zwei Jahren auslegen könnte. Das Urvertrauen in die Welt, das ich früher hatte, ist weg. profil: Wie geht es Ihnen als Ex-Siemens-Managerin, wenn die SPÖ trommelt, dass Konzerne per se böse sind? Ederer: Das trommelt sie nicht; diese Botschaft wird medial verbreitet. Und was heißt böse? Tech-Giganten wie Google oder Facebook machen enorme Umsätze und zahlen nur wenig Steuern. Wir müssen von nationalen auf internationale Spielregeln kommen. Es ist lächerlich, dass wir nicht zumindest auf europäischer Ebene eine einheitliche Steuergesetzgebung zustande bringen, idealerweise akkordiert mit den Vereinigten Staaten oder auch China. Das meint die Zuspitzung „Mensch statt Konzern“. Wenn sich die Wiener Städtische oder Raiffeisen davon betroffen fühlen, ist das an den Haaren herbeigezogen. profil: Sie haben mehrfach davor gewarnt, dass Europa als Industriestandort gegenüber Amerika und China ins Hintertreffen gerät. Warum hat der Kontinent so schlechte Karten? Ederer: Weil es keine europäische Industriepolitik gibt. Wir bräuchten dringend drei, vier Konzerne wie Eads/Airbus. Außerdem haben wir es verabsäumt, Plattformen und Clouds zu schaffen, die nicht notwendigerweise besser wären als Google und Amazon, aber man könnte sie im Sinne eigener, europäischer Interessen regulieren. Technologisch haben wir Terrain verspielt. Viel zu spät bemühen wir uns jetzt um eine Batterieerzeugung für Elektroautos. Das Rennen haben wir eigentlich schon verloren, es sei denn, es gelingt uns, neue Technologien voranzutreiben, etwa Wasserstoff oder Batterien aus einem neuen Speichermaterial. Nur müssten wir dafür in Forschung und Entwicklung investieren. Das sehen Nationalstaaten zu wenig.
Von 2015 bis jetzt war Migration das dominierende Thema. Binnen zwei Monaten wurde es durch eine junge Frau aus Schweden abgelöst.
profil: Sie waren in Ihren politischen Anfängen vehement gegen die EU. Wie kommt Ihnen das heute vor? Ederer: Kürzlich habe ich beim Zusammenräumen ein Heft gefunden, wo ich etwas über die EU als Zusammenschluss des Kapitalismus geschrieben habe. Zum Glück gibt es davon nur ein Exemplar. profil: Heute sammeln sich die Europa-Skeptiker bei den Rechtspopulisten. Dräut ein nationalistisches Zeitalter? Ederer: Ich sehe das Problem. Auf der anderen Seite löste ausgerechnet der Brexit eine Pro-Europa-Bewegung aus. Die klassischen Parteien sollten daraus die Lehre ziehen, dass sie sich tatsächlich zu wenig um die Sorgen der Menschen vor Ort gekümmert haben. profil: Das heutige Europa wirkt überrollt von Entwicklungen: Migration, Klimawandel, Digitalisierung. Wo bleibt die Zukunft? Wo bleibt die Zuversicht? Ederer: Von 2015 bis jetzt war Migration das dominierende Thema. Binnen zwei Monaten wurde es durch eine junge Frau aus Schweden abgelöst. Diesen raschen Wechsel kann ich selbst noch nicht einordnen. profil: Dazu kam das Video des jungen YouTubers Rezo, der globale Probleme wie den Klimawandel adressiert. Dabei interessiert sich seine Generation angeblich nicht für Politik und erst recht nicht für die großen Fragen der Menschheit. Ederer: Und er fordert Weltmaßnahmen ein, etwas, das es seit der Gründung der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, die auch eine internationale Bewegung war – zumindest in Nordamerika und Europa –, nicht mehr gegeben hat. Manches erinnert mich an meine Jugend. Ich wollte auch den Sozialismus in der Welt. Als wir in führende Positionen gekommen sind und gemerkt haben, wir schaffen das nicht, haben wir uns auf das konzentriert, was wir unmittelbar ändern konnten. profil: Was wünschen Sie sich von der nächsten österreichischen Regierung? Ederer: Zusammenarbeit mit allen politischen Kräften in diesem Land.
Zur Person
Brigitte Ederer, 63, gelernte Volkswirtin, ehemalige SPÖ-Spitzenpolitikerin und später Siemens-Österreich-Chefin, war ab 2010 als Personalchefin der deutschen Siemens AG für weltweit rund 350.000 Beschäftigte zuständig. Davor saß sie im Nationalrat, wirkte als EU-Staatssekretärin an Österreichs Beitritt zur EU mit und lenkte als Bundesgeschäftsführerin die Geschicke der SPÖ. Ederer sitzt heute in den Aufsichtsräten von Infineon, Boehringer Ingelheim, Schoeller-Bleckmann Oilfield, Wien Holding und Marinomed Biotech; in der ÖBB musste sie nach Antritt der türkis-blauen Regierung dem FPÖ-Mann Arnold Schiefer weichen.