Brunnen vor dem Tore: Oberwart, Norbert Hofer und die Wahl
Wahrscheinlich hat kaum jemand so gebangt wie die Künstler rund um das „Offene Haus Oberwart“ (OHO). Seit ihrer Eröffnungsausstellung „Was von der Nazi-Herrschaft übrig blieb“ im Jahr 1989 werden der Schriftsteller Peter Wagner und der bildende Künstler und Obmann des OHO, Wolfgang Horwath, von den Freiheitlichen immer wieder als „linke Kulturmafia“ und „Linksterroristen“ diffamiert. Die rot-braune Koalition sei ein „Dammbruch“, der die Freiheitlichen peu à peu salonfähig mache, sagt Wagner. Jetzt habe man die Bescherung. Sein Sieg sei der erste Schritt, um Heinz-Christian Strache zum Kanzler zu machen, sagt Alfred Masal, Geschäftsführer des OHO.
Im Bezirk Oberwart hat Norbert Hofer nicht nur hoch, sondern haushoch gewonnen. Mit Lokalpatriotismus allein ist das nicht zu erklären. Nach Ansicht von Horwath symbolisiert Hofer den „starken Mann“, und das komme in einem historischen Grenzland wie dem Burgenland besonders gut an.
Wie Kärnten hat auch das Burgenland seine Identität einst aus dem Deutschtum geschöpft. Mit seiner mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung gehörte es lange Zeit zu Ungarn, ehe es 1921 zu Österreich kam. Nur zehn Jahre später hatten die Nationalsozialisten die Schulen und Lehrerbildungsanstalten im Bezirk Oberwart erobert. 1939 waren die burgenländischen Juden vertrieben, und die „Zigeuner“ kamen in Konzentrationslager. Der Bezirk Oberwart war eine Hochburg dieses Geistes.
Die Selbstvergessenheit der Burgenländer ist beachtlich. Auch das scheint mit Hofers Erfolg in dieser Region zu tun zu haben.
Wenn man heute die Gegend von Rechnitz nahe der ungarischen Grenze im Osten bis nach Pinkafeld im Westen quert, fährt man durch blühende Landschaften mit schmucken Häuschen. Der Laubwald steht in zartem Frühlingsgrün. Auf einer weichen Kuppe bei Oberschützen taucht überraschend ein klobiger Tempel auf. Die Weite der Landschaft macht ihn besonders mächtig. Es handelt sich um das sogenannte „Anschluss-Denkmal“ in Oberschützen, eingeweiht im Jahr 1939. Es steht da wie damals. Nur der vergoldete Reichsadler mit dem Hakenkreuz fehlt, ebenso die kupfernen Feuerschalen. In offiziellen Postkarten der Gemeinde wurde das Unding als Touristenattraktion vermarktet. Jörg Haider feierte dort einen Festkommers mit Burschenschaften, im Jahr 1991 Jahr, als Norbert Hofer Mitglied der FPÖ wurde.
Die Selbstvergessenheit der Burgenländer ist beachtlich. Auch das scheint mit Hofers Erfolg in dieser Region zu tun zu haben. Man hat verdrängt, dass um die Jahrhundertwende halbe Dorfbevölkerungen im Bezirk Oberwart in die USA ausgewandert waren: junge Männer, Wirtschaftsflüchtlinge. Vergessen hat man die EU-Gelder, die das Burgenland als Ziel-1-Förderungsgebiet in den vergangenen Jahrzehnten bezogen hat, die seine Ortskerne so schmuck aussehen lassen, und seine Thermen, die heute Touristen anlocken.
Hier ist Hofer aufgewachsen. Hier steht sein Haus. Hier haben 73 Prozent für Hofer gestimmt.
Kaum eine Viertelstunde von Oberschützen entfernt befindet sich Pinkafeld. Hier ist Hofer aufgewachsen. Hier steht sein Haus. Hier haben 73 Prozent für Hofer gestimmt, obwohl die FPÖ nur ein einziges Mandat im Gemeinderat hat. In Pinkafeld ist es schön: der sprichwörtliche Brunnen vor dem Tore, die Kirche, ein kleiner Bahnhof. Alles wirkt wie eine einzige riesige Märklin- Modelleisenbahnanlage mit Fallerhäuschen aus den seligen 1950er- und 1960er-Jahren. Straßenschilder weisen zum Zahnarzt und zur Fußpflege. Auf dem Hauptplatz steht ein pittoreskes Gebäude, in dem früher die Pinkafelder Spar- und Kreditbank residierte, in der Hofer senior Direktor wurde. Hier war jene deutschnationale Burschenschaft untergebracht, der Nobert Hofer angehört. Und hier war der Alt-Freiheitliche Rudolf Jauschowetz Lehrer gewesen, zu dessen Schülern die späteren FPÖ-Politiker Walter Meischberger und Gernot Rumpold gehörten.
Dem sozialdemokratischen Bürgermeister von Pinkafeld, Kurt Maczek, früherer Lehrerkollege von Jauschowetz, war es 2002 gelungen, die traditionell schwarze Gemeinde umzudrehen. Über Hofer sagt er: „Wir kennen einander, wir schätzen einander.“
Der sozialdemokratische Bürgermeister von Rechnitz, Engelbert Kenyeri, kämpft schon lange mit dem Ruf seiner Gemeinde. In den letzten Kriegstagen wurden in Rechnitz 200 Juden erschossen, und nach 1945 wollte keiner etwas gewusst haben. „Heute setzt sich die Jugend mit alldem auseinander. Aber sie sagt: Was hat das mit uns zu tun?“, sagt Kenyeri. In Rechnitz hat Hofer über 70 Prozent bekommen. Warum? „Die Koalition auf Landesebene gibt den Freiheitlichen Aufwind“, meint Kenyeri.