Bullshit-Buster: Die Website Mimikama.at deckt Fälschungen im Netz auf
Die Ruhe hielt nicht. Gerade hatte sich die Stimmung im Netz ein wenig kalmiert, hatten die Feiertage die Flüchtlingsdebatte etwas abkühlen lassen, da ereigneten sich die Übergriffe auf Frauen in Köln (siehe auch Kommentar von Elfriede Hammerl). Das Internet ist nun wieder im Ausnahmezustand. "Wir merken das total. Es gibt kaum ein Thema, über das man derzeit vernünftig diskutieren kann, ohne dass es zu einer extremen Wortwahl käme“, sagt Andre Wolf vom Verein Mimikama.
Im Netz ist es auch deswegen schwer, sachlich zu diskutieren, weil Gerüchte und Fakten, Verschwörungstheorien und wissenschaftliche Erkenntnisse vermischt werden. Aktuell sind beispielsweise folgende Geschichten im Umlauf: Im Wiener Gemeindebau sollen Bewohner die Fenster schließen, wenn sie Schweinefleisch zubereiten - laut einem Schreiben von Wiener Wohnen störe das sonst die muslimischen Nachbarn. In Chemnitz (Sachsen) sind angeblich vier Jugendliche von Asylwerbern verprügelt worden, Bilder zeigen ein ramponiertes Gesicht. Und in Schweden soll eine 75-jährige Frau brutal von Migranten vergewaltigt und verprügelt worden sein, auch hier gibt es ein schockierendes Bild. Die Geschichte von der vergewaltigten schwedischen Pensionistin wurde bereits 22.000 Mal geliked.
Faktenchecker
Doch was ist da dran? Der Deutsche Andre Wolf und der Österreicher Tom Wannenmacher prüfen das. Es ist ihr Job. Die beiden sitzen in ihrem hellen Büro im 3. Wiener Gemeindebezirk und betreiben die Website Mimikama.at, die Fälschungen im Netz offenlegt. Bekannt ist auch ihr Facebook-Auftritt "Erst denken, dann klicken“, wo sie ihre Ergebnisse posten.
Die Geschichte aus dem Gemeindebau etwa war erfunden, ein derartiges Schreiben von Wiener Wohnen gab es natürlich nicht. Auch die Vergewaltigung der 75-jährigen Schwedin stimmt nicht: Das Bild der schlimm verprügelten Seniorin stammt aus Südafrika und hat nichts mit Flüchtlingen zu tun. Die Burschen aus Chemnitz? Sie sollen tatsächlich von Asylwerbern verprügelt worden sein, die Polizei ermittelt hier. Auch das dokumentierte Mimikama.
"Unsere Aufgabe ist es nicht, Seiten zu beziehen, links oder rechts zu sein. Wir überprüfen einfach: Was ist da dran? Und das berichten wir dann den Usern“, sagt Wolf. Dafür wird Mimikama auch geschätzt. 600.000 Facebook-Fans hat ihre Seite "Zuerst denken, dann klicken“ - sie ist somit populärer als Ö3 (466.000 Fans) oder die "Kronen Zeitung“ (140.000 Fans).
"Fälschungen sind oft sehr schnell erkennbar. Es gibt wiederkehrende Muster, etwa, dass keine eindeutige Quellenangabe existiert. Dann steht dort beispielsweise‚ ‚die Tochter des Nachbarns meines Arbeitskollegen hat etwas beobachtet‘“, sagt Wolf. Fälscher bleiben in ihrer sensationellen "EILMELDUNG!!!!“ oft bewusst unkonkret, weil sie sonst zu leicht überführt würden - etwa von der vermeintlichen "Lügenpresse“ oder eben von Mimikama. Wolf und Wannenmacher decken trotz vager Angaben viele Fälschungen auf: Manchmal kann die Polizei in einer Gemeinde ausschließen, dass dort ein besonders auffälliges Verbrechen passiert ist. Mitunter stimmen die erschütternden Meldungen aber auch. In Baden-Württemberg ermittelt die Polizei tatsächlich, weil vier Syrer zwei Mädchen in der Silvesternacht vergewaltigt haben sollen.
Wie die Linken die Rechten in Rage bringen
Natürlich existieren auch Gerüchte oder Bilder von der Linken, die so nicht stimmen. Zum Beispiel war die Behauptung falsch, dass es am Oktoberfest in München jedes Jahr zehn Vergewaltigungen gäbe und die Dunkelziffer bei 200 Taten läge. Die Polizei dementierte dies. Linke Bildfälschungen sehen sie ebenfalls, erzählt Wolf: "Nur sind diese Fälschungen anders, da wird nicht gegen Minderheiten sondern gegen den politischen Feind gestichelt. Zum Beispiel verbreiten Linke gerne das Gerücht, es gäbe tatsächlich Geld für Demoteilnehmer.“ Denn so etwas bringt die Rechten in Rage - eine klassische Trollerei. Als Trolle bezeichnet man Internetuser, die andere auf die Palme bringen wollen.
Schadenfreude und pure Bösartigkeit, das ist wohl der eine Grund, warum Menschen im Internet Unwahrheiten verbreiten. Eine vielzitierte Studie kanadischer Forscher fand heraus, dass der klassische Internettroll häufig von Sadismus angetrieben wird - und auch von Psychopathie, Narzissmus und Machiavellismus. Als "Machiavellismus“ bezeichnen es Psychologen, wenn jemand rücksichtslos seine persönlichen Interessen verfolgt und Moralvorstellungen lächerlich findet. Trolle finden es also lustig, wenn sie andere manipulieren oder ihnen einen Schaden zufügen (die kanadische Studie heißt deswegen auch "Trolls just wanna have fun“).
Der Ton im Netz ist aber auch insgesamt harscher geworden, dieser Eindruck täuscht nicht. Früher beschäftigte sich Mimikama kaum mit politischen Themen. Tom Wannenmacher, der die Site 2011 gründete, sagt: "Anfangs behandelten wir reine Falschmeldungen auf Facebook. Vieles davon waren Kettenbriefe oder Viren, vor denen ich warnen wollte.“ Als seine Site immer populärer wurde, schmiss er den Job als Werbegrafikdesigner hin und widmete sich ganz Mimikama (das Wort heißt übrigens "gefällt mir“ auf Suaheli). Der Verein finanziert sich über Werbung und über Sponsoring, beschäftigt drei Angestellte und hat elf ehrenamtliche Mitarbeiter im Hintergrund. Andre Wolf zog für diese Arbeit extra von Deutschland nach Wien. Den beiden macht es Freude, Fälscher aufzudecken - in ihrem Büro findet man das passende Spielzeug dazu. An der Wand hängt ein roter Knopf. Wer draufklickt, hört: "Warning, Warning, Bullshit Alert.“
Der Bullshit im Netz hat sich verändert, Flüchtlinge sind eines der größten Themen. "Das begann 2014 mit der Geschichte, Flüchtlinge würden Ebola nach Europa bringen. Damals schon konnte man sehen, dass Asylthemen auf Facebook hochkochen“, sagt Wolf. Häufig lassen sich besonders krasse Erfindungen bis in die rechtsextreme Szene zurückverfolgen. Mimikama fand zum Beispiel heraus, dass ein Politiker der NPD die Geschichte verbreitet hatte, wonach angeblich ein Deutscher namens "Jens“ von Asylbewerbern brutal verprügelt worden war. "SIND DEUTSCHE NUR NOCH FREIWILD?“, fragten rechte Accounts.
Erfundene Zitate als Gefahr
Auch diese Erzählung stimmte so nicht: Ein Spanier hatte den betrunkenen Deutschen geschlagen, kein Asylwerber. Viele Storys haben einen wahren Kern, der aber entfremdet wird. Ebenfalls beliebt: Aus dem Zusammenhang gerissene oder komplett erfundene Zitate. Abraham Lincoln sagte zum Beispiel: "Glaube nicht alles, was du im Internet liest, bloß weil da ein Bild ist mit einem Zitat daneben.“ Zumindest behauptet dies ein Bild auf Facebook.
Solche erfundene Zitate sind manchmal witzig - und manchmal sind sie brutal. Über Eva Glawischnig kursierten Sujets, wonach diese angeblich die Vergewaltigung von Minderjährigen gutheißt. "Schutzsuchende müssen das Recht haben, auf Mädchen loszugehen! ‚Alles andere wäre rassistisch Flüchtlingen gegenüber!‘“, heißt es auf einem Foto. Im Netz tobten viele User. Sie schrieben, Glawischnig gehöre stattdessen vergewaltigt.
Die Grünen schätzen, dass diese Bilder von mehr als 100.000 Menschen in Österreich gesehen wurden. Das ist die Gefahr dieser Fälschungen: Dass manche Bürger niemals die Richtigstellung sehen und weiterhin glauben, eine Politikerin wie Glawischnig fände Vergewaltigungen in Ordnung. Tatsächlich erreicht eine Richtigstellung auf Facebook oft weniger Menschen als die ursprüngliche Lüge - denn emotionale Inhalte werden stärker von Menschen geteilt als weniger aufrüttelnde Korrekturen.
"Das Ziel ist, die ruhige Mitte, die sich bisher in die Debatte nicht eingemischt hat, auch zu polarisieren“, meint Andre Wolf. Diese Strategie geht auf. Dass online eine Polarisierung passiert, legt eine neue Studie von italienischen und amerikanischen Forscher nahe. Sie haben die Postings der vergangenen fünf Jahre von 32 Verschwörungssites und 35 Wissenschaftssites auf Facecook untersucht. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass User großteils dazu tendieren, Inhalte nach einem speziellen Erzählmuster auszusuchen und zu teilen, und den Rest ignorieren sie“, notieren sie. So entstehen "Echokammern“ im Netz - digitale Räume, in denen Menschen hauptsächlich Inhalte konsumieren, die genau ihrer Weltsicht entsprechen. Solche Phänomene gab es schon immer, meint Studienautorin Michela Del Vicario, "nur die Struktur des Internets verschlimmert und verstärkt das.“ Auf Facebook ist es eben einfacher, sich permanent in seiner Meinung bestätigen zu lassen.