Bundesheer: Ein Offizier lieferte militärische Geheimnisse an die Russen
Donnerstagabend vergangener Woche brach in höchsten Regierungskreisen Hektik aus. Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) musste dringend den Kanzler sprechen. Doch Sebastian Kurz befand sich auf dem Heimflug vom Treffen der Europäischen Volkspartei in Helsinki. Was der Verteidigungsminister dem Regierungschef schließlich telefonisch mitteilte, war von einiger Brisanz: Ein Bundesheer-Offizier hatte 20 Jahre lang – bis 2018 – für die Russen spioniert. Den Vizekanzler erreichte Kunasek bei einem Gansl-Essen mit Medienvertretern. In der Folge kam es zu Telefonaten und SMS-Verkehr zwischen Kurz, Heinz-Christian Strache und den Koalitionskoordinatoren Gernot Blümel und Norbert Hofer. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Oberbefehlshaber des Bundesheeres wurde informiert.
Freitagvormittag traten Kurz und Kunasek schließlich vor die Presse. Obwohl die Ermittlungen erst begonnen haben, war der Kanzler schon zu einem klaren Urteil gelangt: „Hier liegt ein Fall von Spionage vor.“ Dies werde „das Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union nicht verbessern“. Denn: „Spionage ist inakzeptabel.“
Doch wie gelang es dem Oberst, über 20 Jahre lang nicht aufzufliegen? Warum erfolgte die Enttarnung des Spions gerade jetzt? Und wie brisant waren die Informationen, die er den Russen steckte?
Verdacht des Verrats von Staatsgeheimnissen
Am 25. Oktober hatten Beamte des Heeresabwehramts den verdächtigen Salzburger Offizier, einen 70-jährigen Oberst im Ruhestand, einvernommen. Vergangenen Freitag wurde der Staatsanwaltschaft Salzburg schließlich eine Sachverhaltsdarstellung übergeben. Diese prüft nun wegen des Verdachts des Verrats von Staatsgeheimnissen (Paragraf 252 Strafgesetzbuch). Ob die Staatsanwaltschaft die Verhängung der U-Haft über den pensionierten Offizier beantragen will, war bei Redaktionsschluss von profil noch offen. Der entscheidende Hinweis auf den Spion kam laut Regierung von einem „befreundeten Dienst“. Laut profil-Informationen handelte es sich um einen militärischen Nachrichtendienst, mutmaßlich den deutschen Militärischen Abschirmdienst (MAD). In westlichen Diensten werden die engen Kontakte der Regierungspartei FPÖ zu Russland mit Skepsis beobachtet. Gut möglich, dass der Tipp des befreundeten Dienstes die österreichischen Kollegen auch daran erinnern sollte, wo der gemeinsame Gegner sitzt.
Was bisher unbekannt war: Zwar handelt es sich bei dem mutmaßlichen Spion um einen Salzburger, allerdings war er nicht in einer Salzburger Garnison oder einer nachgeordneten Dienststelle tätig, sondern direkt im Verteidigungsministerium in Wien. Insgesamt sieben Verteidigungsminister von ÖVP, FPÖ und SPÖ (Werner Fasslabend, Herbert Scheibner, Günther Platter, Norbert Darabos, Gerald Klug, Hans Peter Doskozil, Kunasek) hatten somit einen Spion im oder aus dem eigenen Haus. Allein die Dauer der Spitzeltätigkeit macht diese schon brisant. Die Informationen, die der Offizier weitergab, waren aber nicht top secret. Ein Oberst ist im Verteidigungsministerium ein eher rangniedriger Offizier und dient maximal als Referatsleiter. Die wirklich wichtigen Posten bekleiden die Generalsränge.
Kontakte über Satellitenkommunikation und Weltempfänger
Der aufgeflogene Spion hatte jedoch Zugang zu Telefonlisten, internen Kommunikationssystemen, Dienstplänen. Laut profil-Informationen lieferte er den Russen Infos aus diversen Sachbereichen und allen Waffengattungen. Laut „Kronen Zeitung“ liefen die Kontakte zu seinem russischen Verbindungsmann über Satellitenkommunikation und einen Weltempfänger. Für seine Spionagetätigkeit soll er in 20 Jahren insgesamt nicht mehr als 300.000 Euro erhalten haben. Allzu wertvoll dürften seine Informationen wohl nicht gewesen sein.
Auch wenn er aufgrund seiner eher nachrangigen Funktion im Verteidigungsministerium keine konkreten militärischen Geheimnisse verraten konnte, hatten die Tätigkeiten des Spions für den russischen Militärnachrichtendienst GRU durchaus einen Sinn. So lieferte der Bundesheer-Oberst auch Psychogramme der obersten österreichischen Generäle. Im GRU konnte man deshalb zumindest teilweise wissen, wie diese ticken – und dieses Wissen eventuell nutzen: Im Frühjahr 2016 traf der damalige Generalstabschef Othmar Commenda mit seinem russischen Amtskollegen Walerij Gerassimow trotz der EU-Sanktionen wegen der Krim-Annexion vertraulich in Moskau zusammen. Ohne Commendas Wissen wurde das Treffen von russischen Journalisten im Nebenraum aufgezeichnet, die prompt und äußerst zugespitzt vermeldeten, das österreichische Bundesheer wolle entgegen der EU-Sanktionen mit Russlands Streitkräften kooperieren. Commenda war damit desavouiert.
Auch kleinste Details sind für militärische Nachrichtendienste interessant. So soll der Bundesheer-Oberst unter anderem Infos über Österreichs Artilleriesysteme weitergegeben haben, die für die Russen nun ebenfalls brauchbar sein könnten: Vor einem Jahr kaufte der Nachbar Lettland 47 gebrauchte Panzer-Haubitzen vom Bundesheer.