Bundespräsident Van der Bellen und ÖVP-Chef Karl Nehammer in der Hofburg
Regierungsbildung

Nehammer nimmt Auftrag zur Regierungsbildung an

Niemand will mit der Kickl-FPÖ koalieren. Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragte daher ÖVP-Chef Karl Nehammer mit der Bildung einer Regierung - dieser nahm den Auftrag "in aller Redlichkeit und Ernsthaftigkeit an."

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Dienstag ÖVP-Chef Karl Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt. Überdies habe er ihn ersucht, umgehend Verhandlungen mit der SPÖ aufzunehmen. Geklärt werden soll weiters, ob es einen dritten Partner brauche. Dieses Vorgehen begründete er bei einer Stellungnahme in der Hofburg damit, dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl keinen Koalitionspartner finde, der ihn zum Bundeskanzler mache. 

Karl Nehammer nahm den Auftrag am Nachmittag in einem Statement "in aller Redlichkeit und Ernsthaftigkeit an." Der Kanzler deutete auch an, dass er eine Dreier-Koalition anstrebt. Nehammer peilt nämlich eine "stabile von einer breiten Mehrheit im Nationalrat getragene Bundesregierung" an. Zur Erinnerung: ÖVP und Sozialdemokraten haben nur ein Mandat Überhang.

Dass Alexander Van der Bellen von der Usance abgehe, nach der bisher der Bundespräsident immer dem Vorsitzenden der jeweils stimmenstärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben hat, begründete Van der Bellen damit, dass es diesmal einen "völlig unüblichen Fall" gebe. Denn niemand wolle mit der stimmenstärksten Partei in einer Regierung zusammenarbeiten.

"Bei der Nationalratswahl am 29. September handelte es sich nicht um ein Rennen, in dem die Partei, die als erste durchs Ziel geht, automatisch die Regierung stellt", erklärte Van der Bellen. Laut Verfassung gehe das Recht vom Volke aus. "Und das Volk sind wir alle: die 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler der FPÖ und die 1,3 Millionen der ÖVP und die eine Million der SPÖ und die 450.000 der NEOS und 400.000 der Grünen und alle anderen, die andere Parteien gewählt haben, oder ungültig oder nicht zur Wahl gingen." Und "niemand kann alleine das ganze Volk für sich beanspruchen", sagte der Bundespräsident wohl in Richtung Kickl.

Für eine stabile Regierung sei eine Mehrheit von 50 Prozent im Nationalrat nötig. In den Gesprächen mit den drei Parteichefs von FPÖ, ÖVP und SPÖ hätten sich die medial kolportierten Aussagen derselben "voll und ganz bestätigt", nämlich dass es für Kickl nur eine Regierung mit ihm als Bundeskanzler geben könne und die anderen nicht mit Kickl regieren wollen.

Van der Bellen nannte die von Nehammer und Babler ihm gegenüber genannten Gründe für die Ablehnung einer Regierung mit Kickl: Sorgen um die liberale Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, um die europäische Ausrichtung, die Putin-Nähe der FPÖ, massive Sicherheitsbedenken der ausländischen Geheimdienste, eine spaltende und herabwürdige Sprache, ein rückwärtsgewandtes Frauenbild und die fehlende Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen.

Daher müsse nun "auf anderem Wege" eine stabile Regierungsmehrheit gesucht werden, begründete der Bundespräsident die Beauftragung Nehammers mit der Regierungsbildung. Er habe den ÖVP-Chef und bisherigen Bundeskanzler bereits am Vormittag darüber informiert, berichtete er. Er vertraue auf "Augenmaß und Verantwortungsgefühl" von ÖVP, SPÖ und allen weiteren beteiligten Parteien.

SPÖ-Chef Andreas Babler zeigte sich eine Aussendung "offen" für "konstruktive Gespräche". Eine Koalition werde es mit der SPÖ nur geben, "wenn wir gemeinsam Lösungen für die großen Herausforderungen finden, vor denen Österreich steht". Bedingung sei, reale Verbesserungen für die Bevölkerung gemeinsam umsetzen zu können: "Ein 'Weiter-wie-bisher', das wollen wir nicht", ist sich Babler offenbar diesbezüglich mit Nehammer einig.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sieht trotz der Erteilung des Regierungsbildungsauftrags an ÖVP-Chef Karl Nehammer durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen weiterhin Chancen für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei. An die blauen Wähler gewandt schrieb er am Nachmittag via sozialen Medien: "...ich verspreche Euch: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Heute ist nicht aller Tage Abend." Die NEOS bekundeten unterdessen erneut ihren Willen zur Zusammenarbeit.

Van der Bellen habe "die Bevölkerung wissen lassen", dass er "mit den bewährten und normalen Prozessen unserer zweiten Republik bricht" - und "nicht den Wahlgewinner und Erstplatzierten der Nationalratswahl - also die FPÖ - mit der Regierungsbildung beauftragt", schrieb Kickl auf Facebook. "Das mag für ganz viele von Euch wie ein Schlag ins Gesicht wirken", aber all diesen verspreche er, dass eben das letzte Wort noch nicht gesprochen sei.

Der Wahlausgang sei ein "unüberhörbarer Ruf nach Veränderung und Erneuerung" gewesen, so Kickl. Er sehe es daher auch heute so, wie er es bisher getan habe: "Es ist unsere staatspolitische Verantwortung, die Hand weiter ausgestreckt zu halten." Die FPÖ wolle für Österreich arbeiten und sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. "Es liegt nicht an uns."

Man werde sehen, welche Koalition am Ende der Entwicklung stehen werde. "Wenn es nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler geht, kann es nur eine Regierung unter der Führung der FPÖ sein", untermauerte der FPÖ-Chef trotz der jüngsten Entwicklungen seinen Kanzler-Anspruch und nahm Anleihen an einem Zitat Van der Bellens: "Ich bin davon überzeugt, dass die Schönheit der Demokratie darin besteht, dass die Durchsetzung des Wählerwillens zwar mitunter gebremst und verlangsamt, aber letztendlich nicht verhindert und gestoppt werden kann."

Die NEOS hatten bereits zuvor erklärt, sie stünden für "ernsthafte Sondierungsgespräche" zur Verfügung. Voraussetzung dafür sind aus NEOS-Sicht "ein ehrlicher Wille zu Reformen und ein Klima des Vertrauens auf Augenhöhe", hieß es in einer Stellungnahme. Gleichzeitig dankten die NEOS Van der Bellen für die "klare Entscheidung". Der Ball liege nun bei Nehammer, der nun Möglichkeiten für eine stabile Mehrheit auszuloten habe. Aus pinker Sicht drängt die Zeit dafür, denn die "Lage in Österreich" lasse es nicht zu, bei der Suche nach einer handlungsfähigen Regierung Zeit zu verlieren.

Ebenso ihre Bereitschaft zu Sondierungsgesprächen äußerten am Nachmittag die Grünen. "So wie mit Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger habe ich letzte Woche auch ein vertrauensvolles Gespräch mit Karl Nehammer geführt. Wir Grüne werden jedenfalls weiter in konstruktivem Austausch mit diesen drei Parteien bleiben und uns auch allfälligen ehrlichen und offenen Sondierungsgesprächen oder Regierungsverhandlungen nicht verschließen", so der Grüne Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler in einem Statement.

Kritik an Van der Bellen kam von den Freiheitlichen aus den Ländern. Die Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek (FPÖ) sieht nun eine "Koalition der Gescheiterten" auf Österreich zukommen. Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp sah einen "schwarzen Tag für die Demokratie" und die "Koalition der Verlierer ante portas", der steirische FPÖ-Landesparteiobmann Mario Kunasek, der am 24. November eine Landtagswahl zu schlagen hat, warnte davor, dass die "Koalition der Verlierer" ein Vorbild für die Steiermark sein könnte. Niederösterreichs Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) kritisierte Van der Bellen und dessen "Hinterzimmer-Packeleien gegen den Willen der Bevölkerung". Und für den Tiroler FPÖ-Chef Markus Abwerzger beweise der Regierungsbildungsauftrag, "dass das Staatsoberhaupt rein parteipolitisch agiert". Der burgenländische Landesparteiobmann Alexander Petschnig kritisierte in einer Aussendung den "Bruch mit allen Usancen der 2. Republik".
 

Erstmals nicht der Erste

Mit dem Auftrag an ÖVP-Obmann Karl Nehammer hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik nicht den Spitzenkandidaten der stärksten aus der Nationalratswahl hervorgegangenen Partei mit der Regierungsbildung betraut. Dass letztlich nicht die Nummer Eins unter den Parteien eine Koalition bildete und den Kanzler stellte, gab es mit der ÖVP-FPÖ-Koalition nach der Wahl 1999 zwar schon, allerdings ohne Auftrag des Bundespräsidenten.

Der damalige Wahlsieger trotz herber Verluste, die SPÖ unter Viktor Klima, musste mit 67 Tagen auch am längsten auf den - letztlich gescheiterten - Regierungsbildungsauftrag durch Bundespräsident Thomas Klestil warten. Angesichts der vertrackten Situation - die FPÖ wurde erstmals Zweite, die drittgereihte ÖVP wollte in Opposition gehen, die stimmenstärkste SPÖ schloss eine Koalition mit den Freiheitlichen aus - erteilte Klestil elf Tage nach der Wahl an SPÖ-Chef Viktor Klima zunächst nur einen "Sondierungsauftrag". Erst nach wochenlangen Gesprächen mit allen Parteien, in die sich auch Klestil aktiv einschaltete, erhielt Klima fast zehn Wochen nach der Wahl einen formellen Regierungsbildungsauftrag.

Nachdem die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP scheiterten, erneuerte Klestil den Regierungsbildungsauftrag an Klima, der sich nun auch auf eine SPÖ-Minderheitsregierung erstreckte. Unterdessen verhandelte ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel allerdings bereits ohne Regierungsbildungsauftrag mit den Freiheitlichen. Klestil blieb schließlich nichts anderes übrig, als am 4. Februar 2000 die schwarz-blaue Regierung 124 Tage nach der Wahl anzugeloben.