Seine größte Stunde: Bundespräsident Van der Bellen und die Krise
Wenn später historische Dokumentationen über die Tage der Regierungskrise 2019 erstellt werden, wird man um diese ikonografischen TV-Bilder nicht herumkommen: Ein junger Mann und ein älterer Herr treten aus einer Tapetentür in Maria Theresias ehemaliges Schlafzimmer und nehmen dort Aufstellung, wo jenes Bett der Monarchin stand, in dem die Asthmatikerin ihren letzten Seufzer tat. Der Ältere mahnt vor angetretenen Journalisten und Kameraleuten zu Besonnenheit, Vertrauensaufbau und Gesprächsbereitschaft; der Jüngere lobt sich meist zuerst selbst, um dann dem vom Älteren Gesagten vollinhaltlich zuzustimmen.
„Ganz starke Bilder“
Wohl noch nie seit Beginn seiner Amtszeit erfreute sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen so hoher Zustimmung wie seit dem täglichen Pas de deux mit Kanzler Sebastian Kurz. Auf allen Kanälen des Internet-Gezwitschers deponieren selbst konservative Poster, wie froh sie seien, den ehemaligen Grünen und nicht den derzeitigen FPÖ-Chef Norbert Hofer zum Präsidenten zu haben. „Der Mann der Stunde“ titelte der „Kurier“ vergangenen Mittwoch auf der Aufmacherseite: „Beruhigend, vorausschauend, entschlossen“ sei der 75-Jährige ans Werk gegangen.
Allzu beruhigend, meinen manche in der SPÖ. „Kurz hat gesagt: ,Ich bringe die neuen Minister.‘ Und Van der Bellen hat gesagt: ,Ich sorge für die Mehrheit im Nationalrat.‘ Angeblich aus Gründen der Stabilität. Er sieht ausgerechnet Kurz als Stabilitätsfaktor.“ Jeden Tag habe er dem Kanzler im Maria-Theresien-Zimmer „ganz starke Bilder“ ermöglicht und ihm schließlich jeden Wunsch erfüllt, so der Groll links der Mitte.
Der grüne Bundespräsident – ein Mann mit Schlagseite zum rechtspopulistischen Kanzler?
Alexander Van der Bellen hat sich immer wieder kritisch, wenngleich nicht überhart zur Politik der Regierung geäußert. Als Innenminister Herbert Kickl gleich nach seiner Amtsübernahme anregte, Flüchtlinge „konzentriert“ an einem Ort zu halten (die Assoziation mit Konzentrationslagern war unvermeidlich), forderte der Präsident „verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache“ ein. Das Liederbuch der Burschenschaft des niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer („Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“) nannte Van der Bellen „verabscheuungswürdig“.
Van der Bellen: „Zu sagen, dazu nichts zu sagen, das empfinde ich als zu wenig“
Manchmal bekam auch der Kanzler selbst etwas Fett ab. Als der damalige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus dem US-Milliardär George Soros vorwarf, das Einschleusen von Migrantenströmen nach Europa zu unterstützen („Es gibt stichhaltige Gerüchte“), belustigte sich der Präsident im profil-Interview „als Wissenschafter“ über den Begriff „stichhaltige Gerüchte“ und rügte danach Kurz, weil dieser von „zulässiger inhaltlicher Kritik“ an Soros gesprochen hatte.
Zum Vorwurf von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dieser sei nach einem NATO-Treffen betrunken herumgestolpert, wollte der Kanzler gar nicht Stellung nehmen, was der Bundespräsident sanft kritisierte: „Zu sagen, dazu nichts zu sagen, das empfinde ich als zu wenig.“
Auch gegen die auf Wunsch der FPÖ vom Kanzler eilfertig zugesagte Ablehnung des UN-Migrationspakts sprach sich Van der Bellen aus: „Ich hoffe sehr, dass die österreichische Bundesregierung alles daransetzen wird, den drohenden Verlust von Ansehen und Glaubwürdigkeit Österreichs auf internationaler Ebene abzuwenden.“
„Eleganz, ja Schönheit unserer österreichischen Bundesverfassung“
Ein Rüffel des Präsidenten war direkt an Sebastian Kurz gerichtet. Im vergangenen November kritisierte er gleich in mehreren Zeitungsinterviews die seiner Meinung nach überhastete Einführung des 12-Stunden-Tags ohne Einbindung der Sozialpartner und der Opposition. Diese Maßnahme war ein Herzenswunsch der ÖVP gewesen.
In der tragenden Rolle, die er seit dem Auftauchen des Ibiza-Videos auf Österreichs großer Bühne spielt, fühlt sich Alexander Van der Bellen sichtlich wohl. Als er vergangenen Montag gemeinsam mit Sebastian Kurz die von der FPÖ geräumten Ressorts aufgefüllt hatte, schwärmte er von der „Eleganz, ja Schönheit unserer österreichischen Bundesverfassung“. Ähnlich hatte das sein Amtsvorgänger Heinz Fischer gesehen.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass zwei von links ins Amt gekommene Bundespräsidenten just jene Passagen der Verfassung hoch loben, die vor genau 90 Jahren erst auf Druck der faschistischen Heimwehren in diese aufgenommen worden waren.
Bundespräsident war in der 1920er-Verfassung eine lahme Ente
Die Sozialdemokraten wollten 1918 gar keinen Präsidenten – er erinnerte sie zu stark an den Kaiser. Zwar ließen sie sich zwei Jahre später dazu überreden, einen schwachen Bundespräsidenten in die neue Bundesverfassung zu schreiben, eine Volkswahl lehnten sie aber strikt ab: Diese würde nur den „Cäsarenwahn“ des Gewählten fördern.
Der Bundespräsident war in der 1920er-Verfassung eine lahme Ente, seine Kompetenzen ähnelten jenen, die der deutsche Bundespräsident heute hat. 1929 machten die Heimwehren in ihrem Kampf gegen die parlamentarische Demokratie Druck auf die christlich-soziale Regierung, den Präsidenten zum „starken Mann“ hochzurüsten. Eine Verfassungsnovelle sollte das ihnen verhasste Parlament schwächen, in dem die Sozialdemokraten seit 1927 die stärkste Partei waren. Für eine Verfassungsänderung waren aber auch ihre Stimmen erforderlich, man drohte ihnen mit der finanziellen Aushungerung des Roten Wien. Der sozialdemokratische Chefverhandler, Wiens Landtagspräsident Robert Danneberg (er wurde 1942 in Auschwitz ermordet), konnte die Änderung der Verfassung nicht verhindern, reklamierte aber als letztes Sicherheitsnetz die Volkswahl hinein.
„Der Kanzler stand neben ihm und hielt schon Wahlreden“
Der Bundespräsident bekam daraufhin das ihm noch heute zur Verfügung stehende Waffenarsenal – vom Oberbefehl über das Heer bis zum Recht, die Regierung ohne Begründung zu entsorgen. Auch der Bundeskanzler wurde nun nicht mehr vom Parlament gewählt. 1945 wurde die Verfassung von 1929 einfach übernommen, weil man unter dem Damoklesschwert der sowjetischen Besatzer keine Verfassungsdiskussion riskieren wollte.
Die weitgehenden Rechte des Präsidenten sind auch der Grund für den Tadel an seiner Vorgangsweise in den vergangenen Tagen: Van der Bellen, so die Kritiker, hätte mehr herausholen und darauf pochen müssen, „dass das Übergangskabinett keine türkise Alleinregierung wird, was sie ja de facto ist“. Insbesondere die SPÖ stört, dass Van der Bellen immer wieder darauf bestand, alle Beteiligten müssten sich nun staatstragend und nicht parteipolitisch verhalten, dies aber offenbar nur in Richtung Opposition sagte: „Der Kanzler stand neben ihm und hielt schon Wahlreden.“
Die größte Stunde des Präsidenten dürfte freilich noch bevorstehen: Stürzt Sebastian Kurz am Montag über einen Misstrauensantrag, kann der Bundespräsident einen Kanzler seiner Wahl bestellen. Laut Verfassung könnte Alexander Van der Bellen sogar einen Passanten in sein Büro bitten und ihn zum Bundeskanzler küren.
Sehr wahrscheinlich ist das nicht.