Ist das Land nach links oder nach rechts gerückt? Sieger Van der Bellen, Kandidat Hofer

Bundespräsidentenwahl: Lehren aus dem Duell um die Hofburg

Bundespräsidentenwahl: Lehren aus dem Duell um die Hofburg

Drucken

Schriftgröße

Kämpfen lohnt sich, auch gegen die FPÖ

Alexander Van der Bellen interessiert sich für Fußball. Es kann deshalb sein, dass er am Abend des 24. April an Toni Pfeffer dachte, den einstigen Abwehrspieler der österreichischen Nationalmannschaft. "Hoch wer mas nimma gwinnen“, hatte Pfeffer am 27. März 1999 gesagt, als er zur Halbzeit des Spiels gegen Spanien gefragt wurde, was denn in der zweiten Hälfte noch möglich sei. Österreich lag zu diesem Zeitpunkt schon 0:5 zurück - und verlor schließlich 0:9.

Van der Bellens Ausgangslage war nach dem ersten Wahlgang nicht viel besser als jene der Fußballer. Von seinem Rivalen Norbert Hofer trennten ihn fast 14 Prozentpunkte. Oder anders dargestellt: Der ehemalige Grünen-Chef musste bis zur zweiten Wahl mehr als doppelt so viele zusätzliche Wähler von sich überzeugen wie der FPÖ-Kandidat.

Dergleichen gilt im Grunde als unmöglich. Doch diesmal klappte es. Die Analyse der Wahlergebnisse zeigt, dass Van der Bellen am Ende in all jenen Gemeinden die Nase vorne hatte, in denen er beim ersten Antreten weniger als 15 Prozentpunkte hinten gelegen war. Rückstände zwischen 15 und 25 Punkten verringerte er im Schnitt auf 7,5 Prozentpunkte.

Die FPÖ hat in den vergangenen Jahren ein Siegerimage aufgebaut, das ihre Rivalen auch mental zermürbt. Doch blaue Triumphe sind kein Schicksal, mit dem sich die anderen Parteien abfinden müssen. Das gilt auch für den Bund. Sollte der Neustart von Rot-Schwarz gelingen, könnte es für die derzeit in allen Umfragen vorne liegenden Freiheitlichen wieder eng werden, glaubt der Politologe Fritz Plasser. "Aber das muss mehr sein als bloße Rhetorik. Sonst haben SPÖ und ÖVP wirklich allen Grund, der nächsten Nationalratswahl mit einer gewissen Spannung entgegenzublicken.“

Die Spaltung ist nicht neu, aber anders

Knappe Siege gab es bei Bundespräsidentenwahlen schon öfter. Bis vor Kurzem hielt der Sozialdemokrat Franz Jonas den Rekord, der sich 1965 mit 50,69 Prozent der Stimmen gegen seinen ÖVP-Widersacher Alfons Gorbach durchgesetzt hatte. Auch Heinz Fischer gewann bei seinem ersten Antreten im Jahre 2004 nicht gerade erdrutschartig: 52,39 Prozent mussten damals gegen Benita Ferrero-Waldner reichen. Die Aufteilung der Republik in eine rote und eine schwarze Hemisphäre gehörte lange zur Bedienungsanleitung Österreichs. Auch bei Nationalratswahlen lagen oft nur wenige Prozentpunkte zwischen den zwei Parteien. Niemand sprach deshalb von einer Spaltung des Landes.

Bleibt also im Prinzip alles wie gehabt? Haben sich nur die Farben geändert? Fritz Plasser warnt davor, die historischen Ergebnisse mit dem aktuellen zu vergleichen. "Früher handelte es sich um eine Polarisierung der Lager, heute ist es eine Polarisierung der Wähler.“ Laut einer Analyse, die Plasser mit dem Meinungsforscher Franz Sommer durchführte, unterscheiden sich die Meinungen der Anhänger der zwei Kandidaten in fast jeder Hinsicht diametral: Der typische Hofer-Wähler hat kein Vertrauen mehr in die Politik, sieht in der EU hauptsächlich Nachteile und glaubt, dass es ihm in Zukunft schlechter gehen wird als heute. Für durchschnittliche Van-der-Bellen-Wähler gilt das Gegenteil.

Das Gros der Bürger fühlt sich keiner Partei mehr verpflichtet. Man wählt nach persönlicher Interessenslage oder aufgrund taktischer Überlegungen, aber nicht mehr aus Tradition oder Verbundenheit. Plasser und Sommer geben an, dass 70 Prozent der Hofer-Wähler keiner Partei emotional nahe stehen. Unter den Wählern Van der Bellens gelte diese Diagnose immerhin noch für jeden Zweiten.

Es ist egal, ob die FPÖ mitspielen darf oder nicht

Macht es die Freiheitlichen stärker, wenn sie mitregieren dürfen? Oder nützt es ihnen mehr, wenn sie sich als Opfer politischer Ausgrenzung darstellen können? Experten streiten seit Jahrzehnten über den richtigen Umgang mit dieser Partei. Die Bundespräsidentenwahl lieferte neuen Diskussionsstoff, aber keine vernünftigen Antworten. Norbert Hofer gewann unter anderem in Kärnten, wo die FPÖ mit Jörg Haider lange den Landeshauptmann gestellt hatte und jetzt eine rot-schwarz-grüne Koalition regiert. Er gewann aber auch in der Steiermark, wo der frühere SPÖ-Landeschef Franz Voves sogar zurückgetreten war, um eine schwarz-blaue Koalition zu verhindern. Und er gewann im Burgenland, wo seit einem Jahr Rot-Blau amtiert. Alexander Van der Bellen dagegen siegte unter anderem in Vorarlberg (früher schwarz-blau, jetzt schwarz-grün) und in Oberösterreich (seit Herbst 2015 schwarz-blau). Fazit: Die politischen Landesfarben machten bei dieser Wahl überhaupt keinen Unterschied. Für die Zukunft muss das aber nichts heißen. Es kann weiter diskutiert werden.

War das jetzt ein Links- oder ein Rechtsruck?

Selbst innerhalb derselben Partei gehen die Meinungen auseinander. Für Johannes Voggenhuber, den ehemaligen Bundessprecher der Grünen, ist das Wahlergebnis ein Rechtsruck. Es sei verheerend, "dass eine rechtsextreme Partei nach dem höchsten Staatsamt greift und in diesem Land (...) 50 Prozent der Stimmen bekommt“, erklärte er. Voggenhubers Parteifreund Michel Reimon bejubelte etwa zeitgleich auf Twitter, dass es ausnahmsweise wieder einmal eine linke Mehrheit im Land gibt.

Wenn nur zwei Kandidaten zur Wahl stehen, ergibt es sich fast zwangsläufig, dass beide mehr Stimmen bekommen, als die dahinter stehenden Parteien normalerweise auf sich vereinen. Noch dazu gaben viele Wähler ihr Votum nicht aus praller Überzeugung, sondern zähneknirschend ab - mit dem vorrangigen Ziel, den Sieg des jeweils anderen Kandidaten zu vereiteln. Laut einer Wahltagsbefragung des Instituts SORA wünschten sich nur 39 Prozent der Hofer-Wähler unbedingt einen Bundespräsidenten Norbert Hofer. Bei Van der Bellen lag dieser Wert mit 29 Prozent noch niedriger. Fast 40 Prozent aller Wähler erklärten, es sei ihnen hauptsächlich darum gegangen, den Erfolg des Gegenkandidaten zu verhindern, bei weiteren 26 Prozent spielte diese Überlegung zumindest eine Rolle. Der Großteil dieser Bürger wird bei nächster Gelegenheit wieder anders votieren.

Landluft allein macht nicht blau

Wie grüne Inseln stechen die neun Landeshauptstädte und ein paar andere große Kommunen aus einem tiefblauen Meer heraus: Die Österreich-Karte mit den Wahlergebnissen zeigt auf einen Blick, wie sehr sich Stadt und Land in ihren politischen Vorlieben unterscheiden. In ländlichen Gegenden lag Norbert Hofer im Schnitt 20 Prozentpunkte vor Alexander Van der Bellen, in größeren Städten und deren Umland verhielt es sich umgekehrt. Warum wählen die Stadtbewohner mehrheitlich links und die Bürger auf dem Land großteils rechts?

Das sei im Prinzip schon immer so gewesen, sagt der Meinungsforscher Peter Hajek, nur habe sich das bei früheren Wahlgängen auf SPÖ und ÖVP verteilt. "Die gesellschaftliche Konsistenz zwischen Stadt und Land ist gleich geblieben.“ Hajek macht vor allem unterschiedliche Lebensentwürfe und Lebensstile dafür verantwortlich. "Menschen in der Stadt ticken einfach anders.“

Das Wahlergebnis scheint ein paar beliebte Klischees zu bestätigen: Auf der einen Seite der weltoffene Großstädter, der Multikulti schätzt und über den eigenen Tellerrand hinausblickt. Auf der anderen Seite der traditionsfixierte Dorfbewohner, der es am liebsten hätte, wenn alles so bliebe, wie es immer war. Aber in den Tiefen der Statistik finden sich noch ein paar weitere Erklärungen für die unterschiedlichen politischen Vorlieben: Die zehn politischen Bezirke mit den höchsten Pro-Kopf-Einkommen sind ausnahmslos urbanes Gebiet. Unter den zehn Bezirken mit den niedrigsten Einkommen befinden sich mehrheitlich ländliche Regionen. Österreichs Akademiker konzentrieren sich auf die Landeshauptstädte und deren Umgebung; Schulen und Universitäten sorgen ebendort für ein niedrigeres Durchschnittsalter. Besserverdiener, Akademiker und Junge bilden exakt das Biotop, in dem die Grünen auch abseits dieser Bundespräsidentenwahl stets überproportional punkteten. Umso mehr galt dies jetzt in der Stichwahl.

Tiefes Einatmen von Landluft oder die Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Feuerwehr führt also nicht automatisch zu Präferenzen für die Freiheitlichen. Ein paar andere Faktoren wiegen schwerer.

Und was ist jetzt mit den Flüchtlingen?

Die Asylkrise war auch im Bundespräsidentenwahlkampf das dominierende Thema. Laut Analyse der Experten Plasser und Sommer sind 67 Prozent der Bürger für die Festlegung von Obergrenzen, und 60 Prozent finden, der Plafond sei bereits erreicht. Alexander Van der Bellen ist mit beiden Sichtweisen nicht einverstanden und hat dennoch haarscharf gewonnen. Ein Widerspruch? Nicht unbedingt. Anders als Politiker häufig zu glauben scheinen, verlangen die Wähler von ihren politischen Favoriten keine hundertprozentige Bedarfsabdeckung. Man kann sich auch für jemanden entscheiden, dessen Ansichten man in einigen Punkten überhaupt nicht teilt. Allerdings sind die Rollen in diesem Fall klar verteilt: 85 Prozent der Hofer-Wähler halten die Kapazitäten für erschöpft, 59 Prozent der Fans von Van der Bellen sind der Ansicht, Österreich könne sehr wohl noch weitere Flüchtlinge aufnehmen.

Entschieden hat der Kern-Faktor

Ohne den Wechsel im Kanzleramt und an der Spitze der SPÖ wäre die Wahl anders ausgegangen. In diesem Punkt sind sich alle Experten einig. Werner Faymanns Rücktritt und die Amtsübernahme durch Christian Kern nahmen gerade so viel Druck aus dem Kochtopf, dass die Aufholjagd Van der Bellens möglich wurde. SORA-Chef Günther Ogris bezifferte den Wert dieser Gratis-Unterstützung jüngst mit vier bis fünf Prozentpunkten. "Der Kanzlerwechsel war in dieser Zeit das stärkste, wichtigste Ereignis. Es ist vollkommen klar, dass sich das auswirkt“, sagt Ogris.

Wenigstens indirekt spielte die SPÖ also doch noch eine Rolle bei der Bundespräsidentenwahl 2016. Vielleicht ist das ein Trost für die Genossen.

Rosemarie Schwaiger