Alexander Van der Bellen
Van der Bellen hadert mit der Favoritenrolle

Bundespräsidentenwahl: Van der Bellen hadert mit der Favoritenrolle

Alexander Van der Bellen liegt in allen Umfragen zur Bundespräsidentenwahl ganz vorn. Doch die Favoritenrolle ist auch eine Belastung. Rosemarie Schwaiger über einen Politiker, der mit einigen Ritualen seiner Branche gar nichts anfangen kann.

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Niemand kann schlüssiger darlegen als Alexander Van der Bellen, warum einer wie Alexander Van der Bellen wahrscheinlich nicht Bundespräsident werden wird. "In den letzten 70 Jahren hat bei dieser Wahl immer ein Kandidat von SPÖ oder ÖVP gewonnen“, sagt der frühere Grünen-Chef seit Monaten bei jeder Gelegenheit. "Ich bin klarer Außenseiter.“ Allerdings fügt er jedes Mal hinzu, dass er sich trotzdem ziemlich gute Chancen ausrechne. Zum Abschluss dieses bewährten Programmteils kommt in der Regel eine motivierende Metapher: "Das Fenster war noch nie so weit offen wie jetzt.“ Oder so ähnlich. Dann darf das Publikum erleichtert applaudieren, und der Kandidat grinst ein bisschen schief.

Schuld an diesem Eiertanz sind die Meinungsforscher. Schon im Herbst, als nicht einmal klar war, ob Van der Bellen überhaupt antreten würde, lag er in den meisten Umfragen komfortabel auf Platz eins. Der Abstand zu seinen Verfolgern wurde zwar kleiner, blieb aber bestehen. Wenn die Demoskopen halbwegs wissen, was sie tun, erscheint der Einzug in die Stichwahl praktisch sicher. Aber eben da beginnen die Sorgen: Start-Ziel-Siege sind nur in der Formel 1 üblich. In der Politik gilt die Pole-Position als riskant. Wer weiß, ob die eigenen Anhänger nicht schon vor dem Wahltag das Interesse verlieren?

In Van der Bellens Team herrscht deshalb eine Stimmung irgendwo zwischen Euphorie und Gruseln. Nur noch zwei Wochen sind es bis zur Wahl. Jetzt darf kein Fehler mehr passieren. Und leicht ist der Job sowieso nicht. Mit dem eigenwilligen Professor kann man nämlich nicht einfach Wahlkampf machen wie mit Hinz oder Kunz.

Am 23. Februar im sogenannten "Neos Lab“ in der Wiener Neubaugasse: Die Liberalen werden keinen eigenen Kandidaten stellen, das ist zu diesem Zeitpunkt schon klar. Mitmischen wollen sie trotzdem. Also hat Parteichef Matthias Strolz zwei Hofburg-Bewerber zum Hearing geladen. Irmgard Griss war schon da, an diesem Abend ist Alexander Van der Bellen dran.

Eine Wolke aus Sympathie hüllt Van der Bellen ein, als er endlich ans Rednerpult tritt.

Eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung geht nichts mehr. Der Saal ist rappelvoll, die meisten Besucher müssen stehen. Van der Bellen hatte sich aus dem Nationalrat verabschiedet, bevor die NEOS dort einzogen. Aus pinker Perspektive ist der Mann graue Vergangenheit. Aber das macht nichts, gemocht wird er trotzdem. Eine Wolke aus Sympathie hüllt Van der Bellen ein, als er endlich ans Rednerpult tritt. Dann erzählt er kurz aus seiner Biografie, landet auf verschlungenen Pfaden beim "Roten Börsekrach“ (einer linken Studentengruppe an der Wirtschaftsuni) und streift ein Erlebnis, das er einst mit dem berühmten Kollegen Erich Streissler hatte. Die Geschichte verfügt nicht im klassischen Sinn über eine Pointe, aber das Publikum amüsiert sich prächtig. Schon nach ein paar Sätzen wird der Van-der-Bellen-Effekt schlagend: Die Welt wirkt viel freundlicher, sobald dieser drahtige ältere Herr mit dem Dreitagebart auf der Bühne herumlümmelt, seine berühmten Denkpausen einlegt und sich nach jedem zweiten Satz vernehmlich räuspert. Offenbar kennt der Kandidat seine wohltuende Wirkung: "Eine Person wie ich könnte in einer Situation wie jetzt nützlich sein“, sagt er kokett.

Trotzdem entscheiden sich die NEOS ein paar Tage später, in erster Linie Irmgard Griss zu unterstützen. Diese sei unabhängiger, findet Parteichef Matthias Strolz.

Alexander Van der Bellen war der längstdienende Bundessprecher in der Geschichte der Grünen. Anschließend saß er noch zweieinhalb - frustrierende - Jahre für die Grünen im Wiener Gemeinderat. Kein anderer hat die Partei so geprägt wie der Tiroler mit russisch-estnischen Wurzeln. Die Öffentlichkeit staunte nicht schlecht, als Van der Bellen zum Auftakt seiner Kampagne bekanntgab, er sei ein unabhängiger Kandidat und eben nicht für die Grünen im Einsatz. Zugleich bezahlt die Partei aber den kompletten Wahlkampf und stellt die Mitarbeiter dafür ab. Eigentlich fehlt bloß noch, dass Eva Glawischnig jedes Mal verschwörerisch zwinkert, wenn sie über die Bundespräsidentenwahl spricht.

Der humorvolle Intellektuelle

Die ganze Sache habe ihm "viel Ärger eingetragen“, gestand Van der Bellen in der ORF-Sendung "Wahlfahrt“. In dieser Form würde er das wohl nicht mehr machen, erklärte er. Andererseits hat der Mann ja recht, wenn er annimmt, dass er für deutlich mehr Bürger wählbar ist als seine Partei. Das war schon früher so. Van der Bellen war der humorvolle Intellektuelle unter den Öko-Bewegten. Bei ihm konnte man einigermaßen sicher sein, dass er seine Freizeit nicht in das Selberbasteln von Krötentunnels investierte. Als Universitätsprofessor für Volkswirtschaft brachte er zudem einen gewissen Realitätssinn in die grüne Wunderwelt. Aber ganz reibungslos lief es oft nicht. "Waren Sie jemals bei einem grünen Bundeskongress?“, sagt Van der Bellen bei einer Podiumsdiskussion, als er wieder einmal gefragt wird, warum er nicht ganz offiziell für seine ehemalige Partei antrete. Den basisdemokratischen Auswahlprozess hat er sich diesmal erspart. Im Alter von 72 war die Zeit reif, endlich ohne die anstrengende Sippschaft Karriere zu machen.

Seinem gewohnten Umfeld bleibt der Kandidat aber treu. An einem kalten Samstagvormittag im März hat sich der Wahlkampftross auf dem Wiener Karmelitermarkt angesagt. In dieser Gegend des 2. Bezirks wohnen überdurchschnittlich viele Grün-Wähler. Das Gros der Anrainer fühlt sich jung und hip, verdient gut, isst gesund, denkt links. Eine annähernd sortenreine Bobo-Zone.

Van der Bellen kommt, wie immer, eine Viertelstunde zu spät. Als er endlich zwischen den Marktständen auftaucht, sind die anwesenden Journalisten schon ziemlich durchfroren. Und sehr viel wärmer wird ihnen auch in der folgenden Stunde nicht. Van der Bellen ist im direkten Bürgerkontakt ein Anti-Wahlkämpfer. Nein, erklärt er auf Anfrage, er werde sicher keine ihm unbekannten Menschen ansprechen. Aber falls jemand mit ihm reden wolle, freue ihn das natürlich. Erst einmal ist das nicht der Fall. Also stellt er sich in die Warteschlange vor einem Käsestand. Danach braucht er noch dringend Paprika und Frühlingszwiebeln.

Immerhin wird er von einigen Passanten erkannt und posiert brav für Selfies. Doch so souverän und unterhaltsam Van der Bellen an einem Rednerpult sein kann, so ungelenk wirkt er auf diesem Terrain. Für den Höhepunkt des Events sorgt der Zufall in Gestalt eines älteren Herrn. "Ich hab Sie zwei Mal narkotisiert, wissen Sie noch? Freut mich, dass es Ihnen gutgeht“, sagt dieser. Van der Bellen muss kurz nachdenken, dann fällt der Groschen. "Ha, Sie sind das!“ Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Anästhesisten, der ihn vor über zehn Jahren bei einer Operation im Linzer Krankenhaus betreut hatte. Man unterhält sich angeregt, und endlich hat auch der Kandidat ein bisschen Spaß an seinem Termin. Er habe gehört, dass Patienten im Aufwachraum die unsinnigsten Dinge von sich geben, erzählt Van der Bellen. "Ich soll in klagendem Ton gefragt haben: ‚Wo sind meine Zigaretten?‘“

Das möglichst distanzlose Anquatschen von Wildfremden gilt als Königsdisziplin im Wahlkampf - wahrscheinlich zu Unrecht. Einschlägiges Talent eines Bewerbers sagt über dessen Fähigkeiten als Politiker ja wirklich nicht viel aus. Allerdings verlangt das Ritual, wenigstens ein paar solcher Termine zu absolvieren. Sonst heißt es gleich, der Kandidat sei abgehoben. Van der Bellens Mitarbeiter beißen bei solchen Gelegenheiten die Zähne zusammen und lächeln bemüht. Groß ändern wird den Chef sicher niemand mehr.

Es mag nicht sonderlich glaubwürdig sein, wenn ausgerechnet der besonnene Professor für den Fall seines Hofburg-Einzugs eine Staatskrise verspricht. Aber die Ablehnung der Freiheitlichen ist im Wahlkampf ein Alleinstellungsmerkmal und schon deshalb wertvoll.

Ein paar Wochen später hat Van der Bellen wieder einmal einen Marktrundgang hinter sich gebracht, ohne auf die bevorstehende Wahl hinzuweisen. Jetzt steht er im ORF-Landesstudio Salzburg vor einem Mikrofon und beantwortet die Fragen von Hörern. Genau genommen handelt es sich um einen kleinen Betrug. Anrufen dürfen nämlich nur Zuhörer aus Tirol - und diese denken, der Politiker sitze im Innsbrucker Studio. Leider ließ sich das mit dem Terminkalender nicht vereinbaren. Also wird mithilfe der Technik getrickst. Gleich der erste Anrufer will wissen, warum Van der Bellen einen Kanzler Strache nicht angeloben würde. Zwei weitere Herren haben dieselbe Frage. Die Antwort darauf ist immer dieselbe: Er habe persönlich überhaupt nichts gegen Heinz-Christian Strache, sagt Van der Bellen. Aber die FPÖ sei gegen die EU, überlege sogar einen Austritt, und damit könne sich ein Bundespräsident nicht einfach abfinden.

Es mag nicht sonderlich glaubwürdig sein, wenn ausgerechnet der besonnene Professor für den Fall seines Hofburg-Einzugs eine Staatskrise verspricht. Aber die Ablehnung der Freiheitlichen ist im Wahlkampf ein Alleinstellungsmerkmal und schon deshalb wertvoll. Außerdem hören es links orientierte Sympathisanten gerne, wenn einer der FPÖ vor den Karren fährt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass Van der Bellen sein Versprechen noch geringfügig adaptiert, sollte er in die Stichwahl kommen - je nachdem, wer dann sein Gegner sein wird.

Alexander Van der Bellen will sich im Wahlkampf nicht zu sehr verbiegen. Aber ein bisschen was geht immer. So revidierte er seine ursprünglich positive Haltung zum Freihandelsabkommen TTIP ziemlich deutlich. Die "Kronen Zeitung“ habe ihn daran erinnert, dass es dabei auch um Landwirtschaft und Gentechnik gehe, erklärte der Kandidat.

Spagat in Flüchtlingskrise

Zur Flüchtlingskrise fielen eine Reihe zum Teil widersprüchlicher Aussagen. Einmal räumte er ein, dass Österreich weitere 90.000 Asylanträge kaum schaffen würde, dann beklagte er die Bekanntgabe einer Höchstgrenze. Mehrfach kritisierte er die Grenzschließungen, mahnte aber, "nicht blauäugig“ zu sein, wenn Menschen mit anti-israelischer Einstellung nach Österreich kämen.

Der Spagat zwischen Pragmatismus und grünem Programm gelingt Van der Bellen nicht immer sehr elegant. Aber oft genug reicht es, die Botschaft dem jeweiligen Publikum anzupassen. Am Montag der Vorwoche steht er im obersten Stock des Tech-Gate, eines modernen Hochhauses in der Wiener Donaucity. Gefeiert wird der offizielle Start in den Intensivwahlkampf, und gekommen sind lauter Menschen, die von ihrem Favoriten moralisch Erbauliches hören wollen. "Widerstehen wir der Versuchung, die alten Zäune wieder hochzuziehen. Das kostet nur Geld und bringt genau gar nichts“, sagt Van der Bellen in seiner Ansprache und bekommt tosenden Applaus.

Zu den neuen Bekanntschaften, die man in einem Wahlkampf zwangsläufig schließt, gehört seit Donnerstag auch Hias, ein etwa 30 Jahre alter Schimpanse im Tierschutzhaus. Madeleine Petrovic, ebenfalls früher Parteichefin der Grünen und heue Präsidentin des Tierschutzvereins Wien, hatte alle Kandidaten in das weitläufige Areal nach Vösendorf eingeladen. SPÖ-Bewerber Rudolf Hundstorfer war als Erster dort. Also konnte auch Van der Bellen nicht Nein sagen. Ziemlich beeindruckt steht er gegen Ende des Rundgangs vor dem Gehege, in dem Hias mit seiner Artgenossin Rosi lebt. Der Affe wäre ein prima Wahlkämpfer. Kaum hat er mitgekriegt, dass sich jenseits des Plexiglases etwas tut, kommt er angeturnt und macht Faxen vor den Besuchern. "Na, selbstbewusst ist er“, sagt Van der Bellen. "Da kann man sich was abschauen.“

Vielleicht nicht unbedingt für die Hofburg. Aber für den nächsten Marktspaziergang.

Rosemarie Schwaiger