Bundespräsidentenwahl: Zwischen Rebellion und Staatsräson
Alexander Van der Bellen ließ sich vergangene Woche nicht groß vom Wahlkampf stören. Er trug die Würde des Amtes mit sich wie ein Schutzschild, der zu viel Diskussionen um seine Wiederwahl abwehren sollte. Der Bundespräsident, 78 Jahre alt, war damit beschäftigt, die Republik nach außen zu vertreten. Zum Beispiel im Buckingham Palace. Verglichen mit anderen Empfängen war es ein trauriger und informeller Termin: Es gab keinen Protokollchef, der die Gäste der Reihe nach zu König Charles führte. Van der Bellen ging also, als sich die Gelegenheit bot, zum Sohn der verstorbenen Queen und kondolierte. Nach dem offiziellen Begräbnis empfing der britische Außenminister die Staatsoberhäupter. Dann flog Van der Bellen zur UN-Generalversammlung nach New York.
Wenn die anderen sechs Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl antreten, bewerben sie sich auch dafür: Gerald Grosz würde dann die Königsfamilie besuchen, Michael Brunner zur UN-Generalversammlung reisen, Heinrich Staudinger den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan treffen.
Van der Bellen gefällt sich in der Rolle des staatstragenden Präsidenten, der über den Dingen und Kandidaten steht. Er will das Amt für sich sprechen lassen, auf Diskussionen mit den Mitbewerbern verzichtet er. Nach dem fast ein Jahr langen Wahlkampf 2016 soll seine Wiederwahl problemlos verlaufen, ohne Störungen. Vier Thesen über einen Wahlkampf, bei dem sich erstaunlich viele beweisen müssen.
1. Die Wählerinnen verhalten sich dieses Mal anders
Wenn Peter Hajek in die Rohdaten schaut, dann sieht er: nichts. "Nicht signifikant" nennt es die Meinungsforschung, wenn sich kein oder nur ein geringer Unterschied zeigt. Dabei sollte er in der großen Umfrage von Unique Research für profil und "Heute" deutlich zu sehen sein, der Gendergap. Die Bundespräsidentenwahl bietet die perfekte Bühne, um das unterschiedliche Wahlverhalten von Männern und Frauen vorzuführen: Der Papierform nach sollten Frauen eher grün wählen, also Van der Bellen. Männer eher rechts, also Walter Rosenkranz, Tassilo Wallentin, Gerald Grosz oder Michael Brunner. 2016 ließ sich der Gap in der Stichwahl zwischen Van der Bellen und Norbert Hofer von der FPÖ klar nachweisen.
Aber jetzt ist er nicht signifikant. An der Stichprobe kann es nicht liegen, 1600 Menschen wurden befragt. Jeweils knapp 500 Männer und Frauen gaben an, sicher ihre Stimme abzugeben. Und ihre Präferenzen sind auf die Kandidaten ähnlich verteilt. Machen Frauen bei dieser Wahl also keinen Unterschied, weder passiv noch aktiv?
Ganz so ist es nicht, sagt Alexandra Siegl von Unique Research. Sie hat eine mögliche Erklärung: Die Teuerung könnte den Gendergap geschrumpft haben. Ein Zeichen der Emanzipation ist das aber nicht. Frauen verdienen nach wie vor weniger als Männer und sind von der Krise stärker betroffen. Wer den 9. Oktober als Protestwahl gegen die Bundespolitik sieht, wird nicht für Van der Bellen stimmen-sondern für einen seiner Herausforderer, der sich als Protestkandidat positioniert.
Eines zeigen die Rohdaten aber doch: Mehr Frauen als Männer sind noch unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben werden. Um sie können die Kandidaten noch werben. Am Ende könnten die Wählerinnen doch noch einen signifikanten Unterschied machen.
2. Die Wahl ist auch ein Match zwischen "Kronen Zeitung" und "Österreich"
Vergangene Woche sagte Gerald Grosz, 45, zu profil, er investiere nur 21.000 Euro in seinen Wahlkampf. Mindestens zehnfach höher ist der Wert der Werbung, die er gratis von der Mediengruppe Österreich (Tageszeitung "Österreich-oe24", oe24.at, oe24-TV),von Wolfgang Fellner und dessen Sohn Niki, erhält. Erst in der Vorwoche durfte Grosz auf oe24.at einen Kommentar zum Klimabonus veröffentlichen.
Als "oe24-Kolumnist" ist Grosz seit Jahren Wolfgang Fellners Krawallclown auf allen Kanälen des Medienhauses.
Als "oe24-Kolumnist" ist Grosz seit Jahren Wolfgang Fellners Krawallclown auf allen Kanälen. Im Format "Grosz gesagt" liefert er auf oe24-TV Kurzfilmchen. Und in der Diskussionssendung "Fellner! LIVE" beflegeln der rechte Grosz und der linke Unternehmensberater Sebastian Bohrn Mena einander. Da Grosz Quote bringt, wird auch über seinen Wahlkampf in den "Österreich"-Medien berichtet.
Wallentin schrieb seit 2013 für die Kronen Zeitung. Nach Bekanntgabe seiner Kandidatur wurde seine "Kolumne" eingestellt.
Tassilo Wallentin, 48, war seit 2013 Autor der "Kronen Zeitung". Mit seiner Kandidatur wurde seine wöchentliche "Kolumne" in der Buntbeilage der Sonntagsausgabe eingestellt. Sein neues Buch wurde in der "Kronen Zeitung" aber wohlwollend rezensiert. Und nach Wallentins eher verunglücktem Interview-Auftritt in der "ZIB 2" bei Armin Wolf brachte die "Kronen Zeitung" auf einer Seite lobende Leserbriefe.
Der rechte "oe24"-Kandidat und der rechte "Krone"-Kandidat kämpfen um dasselbe Wählerpotenzial, das sich weitgehend mit der Zielgruppe ihrer Zeitungen deckt. So gesehen ist die Wahl auch ein Stellvertreterkampf der Verleger Wolfgang Fellner und Christoph Dichand.
Habituell passen die jeweiligen Paare gut zusammen. Grosz und Fellner leben ungeniert und wollen im Wahlkampf maximale Aufmerksamkeit gerieren. Wallentin und Dichand wirken zurückhaltender und nehmen das, was sie tun, absolut ernst. In der jüngsten Umfrage von profil liegt Wallentin bei acht, Grosz bei neun Prozent.
3. Wer Social Media nutzt, muss flexibel sein
Womöglich hat Grosz den Entschluss, gegen Van der Bellen anzutreten, schon länger gefasst. So könnte man die digitalen Spuren lesen, die er auf Facebook hinterlassen hat. Im Dezember 2016, als Van der Bellen den Wahlkampf für sich entschieden hatte, feilte Grosz erstaunlich lange am Namen seiner Facebook-Seite. Zuerst probierte er "GeraldG.Grosz", dann "Gerald Georg Grosz",bis er sich für den Titel entschied, den die Seite heute noch trägt: "Gerald G. Grosz".
Mit dem ursprünglichen Namen hat das alles nichts zu tun: "Wir wollen die alte Bundeshymne wieder." 2014 gründete Grosz offenbar die Seite, um enttäuschte Söhne virtuell zu versammeln. Heute hat er sie in Follower für seine Kandidatur umgewandelt. Seine Währung ist die Provokation, er bezahlt mit Schmerzlosigkeit. Geld braucht er auf Social Media nicht mehr zu investieren.
Das ist nicht bei allen so: Als Volksanwalt hat Walter Rosenkranz, 60, einen weniger spritzigen Außenauftritt. Die FPÖ gab in den vergangenen 90 Tagen mehr als 55.000 Euro aus, um seine Beiträge auf Facebook und Instagram zu bewerben. Bei Van der Bellen waren es im selben Zeitraum knapp 30.000 Euro.
Der erste Präsident, der Facebook nutzte, war Heinz Fischer. Bei seiner Wiederwahl ging es auch darum, Erstwähler-erstmals ab 16-anzusprechen. Heute ist die Jugend, das zeigen die Daten von Unique Research, noch vergleichsweise unentschlossen. Aber auch nicht mehr vorzugsweise auf Facebook: Van der Bellen nutzte TikTok, um seine Kandidatur anzukündigen, vernachlässigt die Plattform aber seither etwas. Dominik Wlazny, 35, postet unter seinem Künstlernamen Marco Pogo.
Der Social-Media-König ist aber auch hier Grosz, und er ist Hofnarr zugleich: Seinen 107.000 Followern präsentiert er sich tanzend im Bademantel oder singend in der Dusche.
Tassilo Wallentin bleibt im weißen Hemd und ernst. Der Unternehmer Heinrich Staudinger, 69, und der Impfgegner-Parteichef Michael Brunner, 61, verzichten.
4. Auf die erste Frau muss man noch länger warten
Willkommen zurück im Jahr 1980: Damals begab sich die letzte Bundespräsidentenwahl, die Männer unter sich ausmachten-seither kandidierte immer eine Frau, manchmal auch zwei (1998 Gertraud Knoll und Heide Schmidt gegen Thomas Klestil). Die Zeit der Herrenrunden schien endgültig überwunden. Dann kam 2022, und keine Frau schaffte es auf den Stimmzettel, No-Names wie Barbara Rieger oder Helga Egger scheiterten schon an der 6000-Unterschriften-Hürde.
Auch diesmal wird Österreich nicht die erste Bundespräsidentin bekommen-dabei stand die Gender-Frage gerade bei der Hofburg-Wahl immer wieder im Mittelpunkt. Kein Wunder: Bei anderen Wahlen dominieren Parteien, Ideologien, Wahlversprechen-in die Hofburg wird eine Persönlichkeit gewählt, und das direkt. Irmgard Griss warb bei ihrem Wahlkampf im Jahr 2016 mit Ansteckbuttons dafür, "die Erste" sein zu wollen, kam als Dritte aber nicht in die Stichwahl. Am eindringlichsten buhlte noch Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, von der ÖVP 2004 gegen Heinz Fischer ins Rennen geschickt, um Frauen-Stimmen, auf jedem ihrer Wahlplakate prangte groß "die Erste".Ihre Wahlniederlage quittierte sie folgerichtig mit: "Die linken Emanzen haben mir geschadet."
Die zweite Großpartei, die SPÖ, stellte bisher nur Männer auf. Dabei hatte die damalige Frauenministerin Barbara Prammer 1998 energisch gefordert: "Die Zeit ist reif für eine Frau."Vergeblich, die SPÖ verzichtete damals auf eine eigene Kandidatur, überließ Thomas Klestil bei seiner Wiederkandidatur das Feld und geriet in Erklärungsnotstand, warum sie auf eine Kandidatin verzichtet hatte. Beim nächsten Mal (also 2004) werde das anders, da werde die SPÖ eine Frau aufstellen, versprach damals SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas. Es kam anders, es kamen für die SPÖ Heinz Fischer (Wahlsieger 2004 und 2010) und Rudolf Hundstorfer (Kandidat 2016).
Vielleicht ist 2028 die Zeit reif: Da findet planmäßig die nächste Bundespräsidentenwahl statt.