Bundespräsidentschaftswahl: Die vierte Wahlkampfrunde
Der Geruch nach Schnee und Glühwein liegt in der Luft, bei der Eröffnung des Wiener Christkindlmarktes besonders verdichtet. Bürgermeister Michael Häupl wünscht von der Bühne herab bereits "ein schönes Jahr 2017“. Untrügliche Anzeichen dafür, dass sich ein Jahr zu Ende neigt - und mit ihm der längste und merkwürdigste Wahlkampf, den Österreich je erlebt hat. Erstaunlicherweise hat sich noch immer nicht zu allen durchgesprochen, wer gegen wen wahlkämpft und wofür. "Wer steht denn da?“, fragt eine junge Frau an einem Novembersamstag am Rathausplatz. Die Antwort eines Kameramannes - "Der Van der Bellen“ - hilft ihr nicht recht weiter. "Aha, und wer ist das?“ Auch der Hinweis auf den laufenden Bundespräsidentschaftswahlkampf fruchtet wenig: "Wir haben doch einen Bundespräsidenten … ähm, den, hm, na ja, den halt.“
Sie ist nicht die Einzige, die den Faden verloren hat. Am 4. Dezember wird heuer bereits der vierte Versuch unternommen, das höchste Amt der Republik neu zu besetzen. Die Stichwahl im Mai wurde aufgehoben, hätte ursprünglich im Oktober wiederholt werden sollen, musste jedoch wegen Kleber-Kalamitäten verschoben werden. Richtige Wahlkampfstimmung scheint diesmal nicht aufkommen zu wollen, aber wer weiß, zwei Wochen bleiben ja noch.
Für die Fans reichen Selfies - und mit dem Rest gibt es kaum Berührungspunkte.
Alexander Van der Bellen jedenfalls hat sein Wahlkampfverhalten seit Runde eins nicht verändert. Wenn ihn auf dem Wiener Christkindlmarkt jemand anspricht, posiert er lächelnd für Selfies, gibt mit Engelsgeduld Autogramme, nimmt Alles-Gute-Wünsche und andere freundliche Worte entgegen. Aufdrängen mag er sich aber niemandem, schon gar nicht wildfremden Menschen. Der zwanglose Bürgerkontakt wirkt bei fast allen Politikern peinlich, Van der Bellen verweigert dieses Ritual konsequent. Da kauft er lieber einen Glühwein und entschuldigt sich bei der Standlwirtin, dass "sie so wenig Geschäft macht, weil wir da herumstehen“. Diese entgegnet konziliant: "Ach, das freut mich ja, wenn Sie da sind.“
Das ist das Gute an einem Wahlkampf, in dem schon alles gesagt wurde, und zwar mehrmals: Für die Fans reichen Selfies - und mit dem Rest gibt es kaum Berührungspunkte. Falls an diesem Samstagabend auch Van-der-Bellen-Gegner auf dem Rathausplatz zugegen sein sollten, geben sie sich nicht zu erkennen. Die viel zitierte Blase der Gleichgesinnten existiert auch in der analogen Welt, nicht nur im Internet.
Aber Wien war schon bei der ersten Stichwahl im Mai nicht Van der Bellens Problemzone, ganz im Gegenteil: 63 Prozent wählten den besonnenen Professor hier im Mai, nur 37 Prozent seinen Kontrahenten Norbert Hofer. Dieser Kantersieg in der Hauptstadt, kombiniert mit knapperen Vorsprüngen in Städten wie Linz oder Innsbruck, sicherte dem Ex-Grünen-Chef die hauchdünne Mehrheit in Runde zwei. Auf dem Land dagegen lag Hofer deutlich vorn, vor allem in der Steiermark und in Kärnten.
Ich bin ein begeisterter Städter, aber ich stamme aus dem Kaunertal. (Alexander Van der Bellen)
Seit dem Sommer tourt Van der Bellen durch das Land, besteigt Berge, lässt kaum ein Marillenfest oder einen Kirchtag aus und gibt mit Verve den Alm-Öhi. Musikalisch wird diese neue Seite des Hofburgbewerbers durch Chöre wie "Vandabella wähla“ unterstützt, die außerhalb Vorarlbergs ohne Untertitel nur schwer zu dechiffrieren sind.
Wien-Neubau, das sogenannte "NEOS-Lab“, die Denkwerkstatt der Liberalen. Viele junge, hippe Menschen drängen sich hier, ganz wie im Februar, als Van der Bellen quasi zum Hearing antrat - und durchfiel. Damals entschieden sich die Pinken, die ihrer Ansicht nach unabhängigere Kandidatin Irmgard Griss zu unterstützen. "Herzlich willkommen zu unserer halbjährlichen Veranstaltung mit Van der Bellen“, heißt es zur Begrüßung nicht ohne Ironie. Da Griss nicht mehr zur Wahl steht, surft Van der Bellen diesmal auf einer Woge der Sympathie. Eine halbkritische Frage muss er sich allerdings gefallen lassen: Wie authentisch er denn sei, schließlich sehe man ihn neuerdings sogar im Trachtenjanker. "Steht mir aber gut, oder“, kontert Van der Bellen schlagfertig. "Ich gebe zu: Der Janker ist neu. Mein Anzug ist aber auch ziemlich neu.“ Dann wird er ernst: "Ich komme vom Land, das haben viele vergessen. Ich bin ein begeisterter Städter, aber ich stamme aus dem Kaunertal.“
Das sorgt bei Politikinteressierten mittlerweile nicht mehr für Verblüffung. Seit der ersten Wahlkampfrunde betont Van der Bellen bei jeder Gelegenheit seine Herkunft und seine Liebe zur Heimat. Davon abgesehen hat er einen langen, wechselvollen Weg zurückgelegt; in jeder Wahlkampfrunde musste er eine andere Rolle ausprobieren.
Schuld daran sind nicht zuletzt die Meinungsforscher. Er startete in der Favoritenrolle und lag in fast allen Umfragen komfortabel auf Platz eins, deutlich vor den Kandidaten der ehemaligen Großparteien. Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol erlebten beim ersten Wahlgang im April zwar wie prognostiziert ihr Waterloo, Van der Bellen aber schaffte es nur deutlich abgeschlagen auf Platz zwei und mit Mühe und Not in die Stichwahl. Fast hätte ihm Irmgard Griss, das soignierte Angebot für bürgerliche Systemverdrossene, ein frühes Ausscheiden beschert. Die Lehre aus Runde eins: Die Pole-Position ist in der Politik eher hinderlich.
Es folgten: eine Schockphase über den Triumph von Norbert Hofer, Veranstaltungen mit Künstlern und bürgerlichen Honoratioren wie Flüchtlingskoordinator Christian Konrad, ein Aufbäumen der Internetgeneration, die mit Aktionen wie "Ruf deine Oma am Land an“ mobilisierte - und nicht zuletzt Christian Kern, der für Schwung im Regierungsteam sorgte und den weit verbreiteten Frust über das politische System vorübergehend mit dem Glanz des Neuen vertrieb. All das reichte, wie Van der Bellen zu sagen pflegt, "arschknapp“ für Platz eins - aber nur ein paar Wochen lang, dann hieß es: Alles wieder auf Anfang. Die Lehre aus Runde zwei: Rechne stets mit dem Verfassungsgerichtshof.
Wir haben im Mai schon gewonnen, wir werden wieder gewinnen. (Alexander Van der Bellen)
Die Hofburg blieb leer, die Aufhebung der Wahl wurde selbst unter Juristen immer strittiger, die Attacken auf Van der Bellen immer untergriffiger (bis hin zum Gerücht einer Krebserkrankung). Die Mischung aus trotzigem "Es bleibt dabei“ und einem Mini-Amtsbonus des einmal schon gewählten Kandidaten schien ihm im Oktober einen Vorsprung zu garantieren. Dann kam das Wahlkartenkleberfiasko. Lehre aus Runde drei: Die Bananenrepublik Österreich steckt voller Überraschungen.
Nun, in Runde vier, traut sich kaum mehr ein Meinungsforscher eine Prognose zu äußern; die wenigen Umfragen, die es gibt, sagen wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus - mit leichten Vorteilen für Norbert Hofer, denn von der einstigen scharfen Polarisierung ist mittlerweile wenig zu spüren. Der Dauerwahlkampf zehrt, das Publikum kämpft mit Motivationsproblemen. Van der Bellen reagiert darauf mit der ihm eigenen Selbstironie.
Wien, die Marx-Halle im ehemaligen Zentralviehmarkt. Mit Dekoration oder sonstigen Behübschungen hat sich Van der Bellens Team beim Wahlkampfauftakt nicht weiter aufgehalten; als musikalische Beschallung wurde passenderweise "One More Time“ gewählt. Van der Bellen sagt: "Machen wir uns nichts vor. Wir sind im elften Monat, da brauchen wir Kraft und Energie.“ Er garniert das mit seinem berühmten schiefen Lächeln, einem Appell an die Vernunft und an das Ansehen Österreichs, und Durchhalteparolen: "Kopf hoch, wir gewinnen das. Wir haben im Mai schon gewonnen, wir werden wieder gewinnen. Mit eurer Hilfe schaffen wir das.“ Das Publikum in der kargen Halle klatscht und stellt sich für Selfies mit dem "Sascha“ an.
Prominente Grüne sind wenige darunter. Schließlich tritt ihr Ex-Chef als unabhängiger Kandidat an. Spätestens nach dem langen Wahljahr 2016 dürfen die Grünen nicht mehr als chaotischer Haufen bezeichnet werden - sie waren das Gegenteil: überdiszipliniert, zurückhaltend bis an die Grenze zur Selbstaufgabe, extrem bemüht, den Wahlerfolg durch irgendwelche kecken Äußerungen nur ja nicht zu gefährden. Seit Monaten sind die Grünen fast von der Bildfläche verschwunden. Es wird ihnen schwer fallen, wieder auf Oppositionsmodus umzuschalten, vor allem dann, wenn dem Bundespräsidentschafts- wirklich bald ein Nationalratswahlkampf folgen sollte.
Doch jetzt lautet das Hauptproblem für das Team Van der Bellen, potenzielle Wähler zu mobilisieren. Seit Mai sind 17.065 Junge dazugekommen, die 16 wurden; auch die Zahl der wahlberechtigten Auslandsösterreicher stieg um 30 Prozent auf exakt 56.539. Am härtesten umkämpft ist aber die Zielgruppe der SPÖ- und ÖVP-Anhänger, die keinen eigenen Kandidaten haben.
Einige im Saal finden offenbar, ich wäre ein guter Bundespräsident. (Alexander Van der Bellen)
Das Gewerkschaftszentrum an der Donau, ein karger Schulungssaal. Gewerkschafter haben zur Veranstaltung "Lernen wir Van der Bellen kennen“ geladen. Er spricht über die Finanzkrise und die falschen Rezepte der EU, das Phänomen Donald Trump, seine Zeit als Universitätsassistent. All das wird freundlich akklamiert. Den stärksten Applaus des Abends bekommt jedoch ein alter Mann, der zur rar gewordenen Spezies der SPÖ-Stammwähler gehört und von seiner Hauptschulzeit im Jahr 1934 erzählt: "Die FPÖ war stets in Gegnerschaft zur Gewerkschaft, das ist für uns der Grund, für den VdB zu stimmen.“ Van der Bellens Schlussappell fällt weniger kämpferisch aus: "Wenn Sie im Betrieb, im Bekanntenkreis noch ein bisschen werben könnten, würden Ihnen viele dankbar sein, darunter auch ich.“ Später, nach dem Gulasch, wird ihm eine alte Frau drei Mal Spucken über die Schulter andeuten. Soll Glück bringen.
In der SPÖ-Klientel tut sich Van der Bellen leichter. ÖVP-Anhänger sind eher unentschlossen, die ÖVP-Spitze deklariert sich auch in der vierten Wahlrunde kaum. Als Bundespräsident der Herzen wird der Ex-Grüne in dieser Wählergruppe das Rennen nicht machen.
Daher verlegt er sich, etwa bei einer Diskussionsveranstaltung des "Kurier“, auf eine Ausweichvariante. Ein paar Fragerunden sind absolviert, Freihandel, Rechte des Bundespräsidenten abgehandelt. Und Van der Bellen kommt mit seinem Argument für Unentschlossene: "Einige im Saal finden offenbar, ich wäre ein guter Bundespräsident. Ein paar haben aber nicht geklatscht. Die bitte ich zu überlegen: Wer wäre denn das geringere Übel?“