Regierung

Wie Christoph Wiederkehr die Schulen retten will

Lehrermangel, Schulabgänger ohne Deutschkenntnisse, überholte Lehrpläne – Österreichs Bildungssystem versagt. Welche Reformen am dringendsten sind.

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Das Bildungsministerium? „Planlos“! Die Bildungsdirektionen? „Schlangengruben“! Die Lehrer-Gewerkschaften? Nicht mehr als eine „destruktive Vorfeldorganisation der ÖVP“! In seinem im September des Vorjahres erschienenen Buch „Schule schaffen“ rechnet Christoph Wiederkehr, 34, mit dem heimischen Schulsystem ab. Damals war der gebürtige Salzburger, Absolvent des Erzbischöflichen Privatgymnasiums Borromäum, Bildungsstadtrat in Wien. Seit zwei Wochen ist er Bildungsminister in der Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos und hat die Chance, die Konzepte seiner Partei im „planlosen“ Ministerium umzusetzen. 

Leicht wird das nicht. Bildungspolitik ist die wohl komplexeste Materie überhaupt. Ein Mitspracherecht haben oder beanspruchen: der Bund, die Länder, die Gemeinden, die Gewerkschaften, die Wirtschaft, die Lehrer, die Eltern, die Bildungsforschung und die Schüler. Auch deswegen dauern Reformen mitunter so lange, dass sie bei ihrer Umsetzung schon wieder reformbedürftig sind. 

Die Neos sehen die Bildungspolitik als Kern vom Kern ihrer politischen Programmatik. Parteigründer Matthias Strolz wollte den Schülerinnen und Schülern „die Flügel heben“. Seine Nachfolgerin an der Parteispitze, Beate Meinl-Reisinger, warf der Vorgängerregierung „Bildungsversagen“ in Österreich vor. Christoph Wiederkehr soll nun die klaffenden Lücken im heimischen Bildungssystem füllen: vom Lehrermangel über die gescheiterte Integration bis zu veralteten Lehrplänen. Er hat viel zu tun.

Lehrermangel

Bis zum Jahr 2030 geht rund ein Drittel der etwa 127.000 Lehrerinnen und Lehrer in Pension. Auch wenn die Zahl der Lehramtsstudenten steigt und die Ausbildung verkürzt wurde, bleibt der Lehrermangel ein Grundproblem des Bildungssystems.

Der Vorgänger von Christoph Wiederkehr, ÖVP-Minister Martin Polaschek, eröffnete mit „Klasse Job“ eine neue Schiene für Quereinsteiger aus anderen Berufen. Voraussetzung sind ein Fachstudium und mindestens drei Jahre Berufspraxis. Dafür winkt von Beginn an ein reguläres Lehrergehalt. Die fehlende pädagogische Ausbildung wird berufsbegleitend nachgeholt. Wiederkehr führt Polascheks Programm fort und will es sogar auf die Volksschulen ausdehnen.

Nach 900 Quereinsteigern im ersten Jahr (2022/2023) von „Klasse Job“ sank die Zahl im Vorjahr auf 600. Der neue Minister beabsichtigt, Tausende für das Projekt zu gewinnen. Am Ende sollen 20 Prozent aller Lehrer Quereinsteiger sein. Den stärksten Turbo würden deutlich höhere Gehälter zünden. Doch dafür fehlt das Geld. Zumindest sollen Vordienstzeiten der Quereinsteiger großzügiger angerechnet werden. Doch Mario Steiner, Bildungsexperte am Institut für Höhere Studien, ist überzeugt, Quereinsteiger würden die Abgänge in die Pension nicht wettmachen.

Deswegen müsse das Berufsbild insgesamt wieder attraktiver werden. Dafür entscheidend: Lehrer sollten vor allem Lehrer sein – und nicht Sozialarbeiter, Psychologen oder Verwaltungsassistenten. Dafür brauchen sie Unterstützung durch multiprofessionelle Teams, die schwer zu finden sind. Was den Personalmangel an Schulen insgesamt noch verstärkt.

Kindergärten

In der neuen Regierung ressortieren die Kindergärten erstmals zum Bildungsministerium. Die Elementarpädagogik wird damit auch formal zum Einstieg in die Bildungslaufbahn aufgewertet. „Der Kindergarten ist entscheidend. Jeder Euro, denn ich hier investiere, kommt siebenfach zurück“, sagt Steiner.

Das spektakulärste Vorhaben in der Elementarpädagogik ist die bundesweite Einführung des zweiten verpflichtenden Kindergartenjahrs, um die Deutschkenntnisse der Kleinsten vor dem Schuleintritt zu verbessern. Dazu will der Bund für 2026 80 Millionen Euro extra aufbringen. Weiters kündigt Schwarz-Rot-Pink eine „Qualitäts- und Ausbauoffensive“ in der Elementarpädagogik an. Kindergartengruppen sollen kleiner und bundesweite Qualitätsstandards eingeführt werden.

Das Fernziel einer „Garantie auf Vermittlung eines ganztägigen und ganzjährigen Kinderbildungs- und -betreuungsplatzes“ mutet allerdings utopisch an. Diese Garantie wird aus heutiger Sicht schon allein am eklatanten Mangel an Elementarpädagoginnen scheitern. Allein an den öffentlichen Kindergärten der Stadt Wien sind derzeit 740 Stellen unbesetzt. In den privaten Einrichtungen der Hauptstadt fehlen etwa 1000 Pädagoginnen. Ein Problem: Bis zu 50 Prozent der Absolventinnen der Bildungsanstalten für Elementarpädagogik (BAfEP) gehen nach ihrer Ausbildung nicht in den Beruf oder arbeiten bloß Teilzeit. Bis 2030 könnten in Österreich nach einer Studie der Universität Klagenfurt 13.700 Fachkräfte fehlen. Kommt die schwarz-rot-pinke Kindergarten-Platzgarantie, würde sich die Situation dramatisch verschärfen.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.